Kapitel 32 - endlose Trauer

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Verwirrt und misstrauisch zugleich kniff ich leicht die Augen zu und beobachtete, wie Damien gekonnt den Blickkontakt zu mir vermied. In seinen Augen lag Besorgnis, aber auch etwas, dass ich zum Ersten Mal sah, als er mir erzählt hatte, wie meine Tante wirklich gestorben war.
Sofort schwappte eine Welle der Trauer in mir auf, aber ich schluckte sie so gut es ging hinunter um mich darauf zu konzentrieren, was mir Damien unter allen Umständen verschweigen wollte.
"Nein. Ich weiß, dass du mir etwas verschweigst. Egal wer es ist, ich werde es sowieso irgendwann rausfinden und mittlerweile bin ich ganz gut im Auffassen von schlechten Nachrichten."

Ich erwartete ein Lächeln, ein angedeutetes Schmunzeln oder irgendwas vergleichbares, doch Damien hob nur den Blick und sah mich mit dem selben Ausdruck an wie vorhin. Auf meinem Rücken breitete sich eine schnell wachsende Gänsehaut aus und die Angst, die ich jedes Mal wenn sich eine schlimme Nachricht ankündigte, verspürte ließ mich zusammenzucken. Jedes Mal wenn ich dachte ich hätte das schlimmste überstanden, angefangen von den Angriffen, die ich hinnehmen musste, bis zu den schrecklichen Erkenntnissen darüber, dass nichts in meiner Welt so war wie es scheint, traf mich das Schicksal noch härter.
Er erwiderte nichts, sein Blick war leer und bedauernd. "Bitte, Damien."
Dann schluckte er schwer als er sagte: "Wieso muss immer ich dir diese schlimmen Dinge mitteilen. Ich fühle mich dabei wie ein Todesbote." Erst lächelte ich über seine Bemerkung , doch langsam begann mein Gehirn zu arbeiten und mir wurde bewusst, dass jemand tot sein musste, der mir etwas bedeutet hatte. Schneller als ich blinzeln konnte, reagierte mein Körper auf diese Erkenntnis und ich spürte wie sich meine Augen mit Tränen füllten. Wer würde es dieses Mal sein? Doch nicht...
"Bitte sag es ist nicht meine Mum. Bitte nicht.", schluchzte ich und vergrub derweilen mein Gesicht in meinen Händen.
Damien seufzte und beugte sich vor um mich in den Arm zu nehmen. "Ssschhh.", versuchte er mich zu beruhigen, während ich weiterhin in seinen kräftigen Armen schniefte und nach Atem rang.
"Nein. Deine Mutter ist nicht tot." Wie ein schwerer Stein, der sich in Windeseile aufgebaut hatte, fiel mir die Erleichterung von der Brust und für kurze Zeit hörte ich auf zu weinen.
"Aber Sophie ist es."

Einmal, ich war ungefähr 8 Jahre alt, bin ich gemeinsam mit meinem kleinen Bruder in den Park gegangen. Auf dem Weg dorthin klammerte er sich so fest an meine Hand, dass ich das Gefühl hatte, ich müsste ihn vor irgendetwas beschützen und dass ich für ihn verantwortlich war. Wenig später kamen einige meiner Freunde vorbei und erst als eine von ihnen laut aufschrie und mit dem Finger nach oben zeigte, bemerkte ich dass Finn auf das hohe Gerüst der Schaukel geklettert war und uns begeistert zuwinkte. Mit Tränen in den Augen schrie ich ihm zu, er solle auf keinen Fall springen, aber er tat das, was alle kleinen Brüder tun. Er hörte nicht auf mich.
Die Sekunde, in der er sprang.
Das Geräusch, als er auf dem Boden aufschlug.
Der Ausdruck auf seinem Gesicht, als er reglos auf dem Boden lag.
Das war der schlimmste Augenblick meines Lebens. Die Schuld und die vernachlässigte Verantwortlichkeit strömten auf mich ein und ich konnte nichts tun als heulen und schreien. Das Gefühl, dass einer der Menschen, die ich am Meisten liebte tot sein könnte, war so unbeschreiblich und zerreißend, dass ich dachte ich würde es nicht überleben.

Genau so fühlte ich mich als Damien mir sagte, dass meine Beste Freundin tot war.
Mit einem Mal drosselte das alles auf mich ein und genau wie damals fühlte ich mich auch mit schuldig. Hätte es etwas geändert, wenn ich ihr von den Vampiren erzählt hätte? Vermutlich hätte sie mehr aufgepasst, wäre vielleicht zu Hause geblieben? Ich schrie vor lauter Schmerz auf, was Damien dazu veranlasste, mich näher an sich heran zu ziehen.
"Es tut mir so Leid, Zoey, erneut. Könnte ich irgendetwas tun, glaub mir ich würde es ändern."
Ich versuchte mich auf das Geräusch seines Atems zu konzentrieren, aber immer wieder wanderten meine Gedanken zurück zu Sophie. Die Momente mit ihr, die mir jetzt so kostbar erscheinten, weil ich nie wieder so einen erleben würde, erschienen vor meinem inneren Auge. Erneut schluchzte ich auf und vergrub mein Gesicht in Damiens, mittlerweile durchnässtem Shirt. Wie sie wohl gestorben sein mag? Wie er sie wohl kaltblütig ermordet hat? Ich wollte es mir nicht vorstellen, mein Pensum an Schmerz, Mitgefühl und Schuld war schon lange überfüllt und es würde mich noch mehr um den Verstand bringen. Genau wie bei meinem Bruder dachte ich, ich könnte es nicht überstehen. Dieses Mal nicht. Sophie war ebenso wie eine Schwester gewesen und das einzige, dass mich jetzt noch bei klarem Verstand hielt war Damiens warme Brust und das Geräusch seines pochenden Herzens.
Mit einem Mal, so als würde jemand einen Schalter umlegen, schlug meine unendliche Trauer in Wut und Hass um.
"Wer war es dieses Mal? Derselbe, der meine Tante getötet hat?", schrie ich lautstark ohne daran zu denken, dass der Rest meiner Familie schon lange schlief. "Beruhige dich. Bitte Zoey. Das bringt doch nichts!", antwortete er eindringlich aber bedacht.
"Du weißt es! Sag es mir!" Ich löste mich aus unserer Umarmung und funkelte ihn wütend an. Er schien kurz überrascht, fing sich aber relativ schnell wieder um mich wieder an seine Brust zu ziehen.
"Nein, ich weiß es nicht. Aber es ist auch nicht wichtig. Ich bin hier, bei dir. Hörst du?"
Diesmal war ich mir absolut sicher, eine Spur von Schuld in seiner Stimme zu hören. Aber sobald sich ein grausamer, unwahrscheinlich beängstigender Gedanke in mein Unterbewusstsein schlich, schloss ich die Augen und versuchte ihn zu verdrängen.
Es war einfach unmöglich, dass Damien meine beste Freundin getötet hat.

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