Kapitel 15 - So gut wie tot.

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Mein Atem spielte verrückt und ich presste meine beiden Hände vor den Mund um einen weiteren Schrei zu unterdrücken. Die Gestalt hinter mir trat noch einen Schritt näher an mich heran und jeder Winkel meines Körpers zuckte zusammen. Von hinten strich er meine Haare zur Seite, sodass die rechte Seite meines Halses frei lag. Sofort strömte die Kälte an diese Stelle, doch mein Herz pochte das Blut wie verrückt durch meinen Kreislauf, weshalb ich es kaum bemerkte. Ich hörte wie er tief die Luft einsog und leicht stöhnte. Das Geräusch bereitete mir eine Gänsehaut an jeder Stelle meines Körpers. Ich wusste, dass er sogleich seine Zähne entblößen und in meinen Hals rammen würde. Meine Gedanken war leer und ich vernahm alles wie gedämpft. Doch mit einem Mal, wenige Sekunden bevor es passieren würde, schoss mir nur ein einziger Gedanke in den Kopf. Es war bloß ein einziges Wort, doch in dem Moment war es meine Rettung:

RENN!

Sofort hörte ich auf mein Unterbewusstsein und ich war selbst überrascht von meiner kurzen Reaktionszeit. Der Mann schien ebenfalls für ein paar Sekunden verwirrt, dann schrie er mir etwas hinterher, doch ich vernahm noch immer alles wie gedämpft, daher verstand ich nicht was er sagte. Ich war wie in einer Blase und jegliche Gedanken in meinem Kopf waren wie weggefegt, alle meine Körperfunktionen waren auf das Rennen beschränkt worden. Zuerst steuerte ich auf mein ursprüngliches Ziel, Sophie's Haus zu, doch recht schnell erkannte ich, dass der Vampir, wie nun unschwer trotz der Distanz zu erkennen war, bereits dort auf mich wartete. Ich fragte mich schon gar nicht mehr, wie er so schnell da sein konnte, denn das wohl eine der speziellen Fähigkeiten nach der Verwandlung. Ich erinnerte mich an Damien, wie er ebenfalls unglaublich schnell den Weg bis zu meiner Veranda hatte zurücklegen können. Der Mann, der hinter mir gestanden hatte, lehnte nun lässig an der Haustür und ich bei dem Gedanken, dass er Sophie etwas antun könnte, einfach los, in der Hoffnung irgendjemand in dieser gottverdammten Stadt würde mich bemerken. Sein Grinsen wurde dabei immer breiter und er hatte kupferfarbenes Haar, alles andere konnte ich nicht erkennen. Es war mir aber auch einfach vollkommen egal. Dieser Mann, dieser Vampir will mich töten, nur das zählte. Nur das war wichtig. Die Straßen waren wie leer gefegt, niemand war in Sichtweite, der mir helfen könnte, was natürlich mal wieder typisch war. Es würde mich nicht wundern, wenn dieser Vampir dafür gesorgt hätte.

Ich war auf mich allein gestellt, wie immer. Ruhig bleiben, murmelte ich immer wieder vor mich hin, doch das war leichter gesagt als getan. Wie von allein kehrten meine Beine dann aber um, einfach immer geradeaus. Dann erreichte ich die Kreuzung, ohne mich noch einmal nach ihm umzudrehen. Vermutlich dachte er gerade darüber nach, wie er am wenigsten Blut verschwendend würde. Mir wurde eiskalt, doch ich schlug mir den Gedanke aus dem Kopf. Ich würde nicht sterben. Ich würde es schaffen, doch dann müsste ich die Abkürzung durch den Wald nehmen. Egal wieviel Angst ich vor diesem Wald hatte, egal wieviel schlimme Erinnerungen er wieder zum Leben erweckt, ich musste die Abkürzung nehmen. Das war meine einzige Chance.

Andernfalls wäre ich binnen weniger Minuten tot. Ich war schockiert über meine innere Ruhe, in Anbetracht dessen, dass ich sowieso so gut wie tot war. Irgendwas in meinem Inneren trieb mich immer weiter voran, schnurstracks in den unheimlichen Wald, der jetzt im Licht der Dämmerung noch bedrohlicher wirkte. Die Äste knackten unter meinen Füßen, doch ein anderes Geräusch war nicht zu hören. Hatte er etwa aufgegeben? Das war unmöglich. Der Gedanke wäre zu wunderbar, als dass er wahr sein konnte. Aber ich hielt daran fest, um nicht zu verzweifeln in meiner aussichtslosen Situation. Ich war noch nie so schnell gerannt in meinem Leben. Aber allein die Vorstellung, Zähne an meinem Hals zu spüren, tat so weh, dass es mich immer weiter anspornte, weiter zu laufen. Egal wie sehr meine Knochen schmerzten, ich gab nicht auf. Es gab Hoffnung, redete ich mir immer wieder ein. Äste streiften beim Rennen mein Gesicht und es brannte wie verrückt. Bestimmt würde das Spuren hinterlassen , doch dieses Risiko musste ich eingehen, wenn ich nicht lieber tot sein wollte.

Ich wollte nicht sterben. Nicht so. Irgendwann, wenn ich auf ein glückliches und erfülltes Leben zurückblicken könnte, dann vielleicht? aber nicht so. Nicht hier. Nicht jetzt. Es gab soviel was ich noch tun wollte, so viel was ich noch sagen wollte. Ich würde Damien sagen, dass ich ihn liebte, dass es mir total egal sei, dass er ein Vampir ist und das wir zusammen sein könnten. Egal wie eine Beziehung zwischen einem Vampir und einem Menschen auch aussehen mag.
Ich war verwundert über meine eigene Ehrlichkeit und dachte darüber nach, ob es wahr war. Aber es stimmte, ich wollte ihm nichts mehr sagen als das, denn jeder Zentimeter auf meinem Körper brannte vor Sehnsucht nach ihm.

Aber das alles schien plötzlich egal zu werden. Es löste sich in dem Moment in Luft auf, als meine Beine abrupt abbremsten und ich verzweifelt versuchte das Gleichgewicht zu halten, da ich etwa fünf Meter entfernt, hinter einigen Sträuchern und dünnen Bäumen, den Vampir erblickte, der mich töten wollte.
Er hatte mich noch nicht gesehen und schaute sich suchend um. Das Lächeln auf seinen Lippen, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Schnell duckte ich mich hinter einen dicht bewachsenen Strauch und machte mich so klein wie möglich. Fast traute ich mich nicht mehr zu atmen, so still versuchte ich zu sein. Jedes winzige Geräusche könnte mein Ende bedeuten und dessen war ich mir nur allzu bewusst.
Plötzlich zerriss seine Stimme die vorhandene Stille. Sie war rau und doch klang sie recht jung. Seine Worte ließen mich zusammenzucken und lösten Gleichzeitig Verwirrtheit in mir aus.

"Jägerin! Kleine Jägerin, wo bist du?"

Seine Stimme klang freundlich, aber es war diese Art von Freundlichkeit wie man sie aus Horror-Filmen kannte. Sein hämisches Lächeln schwang fast in seiner Stimme mit.

Was meinte er mit Jägerin? Ich war keine Jägerin, so viel stand fest. Genau genommen war er der Jäger und ich sein Hauptgang. Fand dieser seltsame Mörder das etwa lustig? Ich war verängstigt, verzweifelt und wütend zu gleich. Er würde nicht aufgeben, das stand fest. Meine Chancen standen also gleich Null. Seine Schritte hallten über den Boden und es wurde allmählich immer dunkler. Ich würde bald nichts mehr erkennen können, war mir aber nicht sicher wie es um ihn stand. Erneut ertönte seine höhnische Stimme und meine Haare stellten sich zu Berge.

"Du bist mir schon zwei Mal entkommen. Ein Drittes Mal passiert mir das sicher nicht."

Für einen kurzen Moment war ich ein klein wenig erleichtert, dass ich mir das ganze doch nicht eingebildete hatte. Doch es hielt nur für wenige Sekunden an, da mir bei der Vorstellung, dass dieser Kerl mich die ganze Zeit über verfolgt und beobachtet hatte, plötzlich schlecht wurde.

Die Schritte und damit das Rascheln brachen ab und ich hielt ängstlich den Atem an. Dann war ein lautes Geräusch, fast wie ein Sprung zu hören und mir war schlagartig bewusst, dass ich sterben würde. Ich schloss die Augen und versuchte verzweifelt an irgendetwas schönes zu denken. Mir fiel lediglich der Kuss mit Damien ein und ich verspürte ein warmes Gefühl in meiner Brust. Welch Ironie, dachte ich, dass ich nun von einem Vampir getötet werden würde, während ich an den Kuss mit einem anderen Vampir dachte.
Der Moment kam mir ewig vor und nichts passierte. Schließlich öffnete ich dann doch wieder die Augen und kein Vampir war zu sehen. Ich drehte mich um, doch er war wie verschwunden. Ich wagte einen Blick über die Sträucher und auch dort war alles mucksmäuschenstill.

Erleichtert atmete ich auf und entschied, die Chance zu nutzen um wegzurennen. Ich erhob mich so schnell ich konnte und neue Hoffnung überströmte mich. Doch diese wurde jäh zerstört, als plötzlich eine Hand nach meinem Arm griff und mich blitzschnell gegen einen Baum drückte. Seine grauen Augen funkelten und er lächelte amüsiert. Er hatte im Grunde ein sehr schönes Gesicht, seine Haut war leicht gebräunt und seine Lippen unfassbar voll, doch dann verwandelten sich seine Augen wie auf Knopfdruck in rote Löcher und seine Haut wurde von schwarzen Linien übersäht. Ich zitterte am ganzen Leib, doch seine Hände ruhten auf meinen Schultern und pressten mich noch fester gegen den Baum. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und ich musste mir eingestehen, dass ich Angst hatte, unglaublich große Angst.

"So", wisperte er, nahe an meinem Ohr. Zwischen unseren Körpern war nur wenig Platz weshalb ich seine Körperwärme fühlen konnte.

"Was mache ich nun mit dir, kleine Jägerin?"

Ich war gefangen. Ich konnte mich nicht bewegen. Diesmal gab es keinen Ausweg.
Diesmal nicht.

Ich war so gut wie tot.

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Es bleibt spannend, hoffe ich und ich hoffe es gefällt euch 💕

Danke für eure lieben Kommentare, das bedeutet mir so viel!

DARK BLOODWhere stories live. Discover now