Ich sterbe. Ich weiß es.

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Ich sterbe. Ich weiß es. Da hilft es auch nicht, dass ich hören kann, wie die Lagerhaustür laut auffliegt und weitere Schritte in den Raum stürmen. Ich höre Stimmen. Kinderstimmen. Seltsam. Vermutlich halluziniere ich. Ich spüre, wie mein Gesicht sich transformiert, wie ich zum Schluss nicht mehr daran glaube, anders auszusehen, als ich es tatsächlich tue. Wie ich mir nicht mehr weismache, dass mein Gesicht sich in einem nicht der Realität entsprechenden Zustand befindet. Aber entsprachen die Veränderungen wirklich nicht der Realität? Yanto hat gesagt, die gesamte Zellstruktur verändere sich. Wenn das so stimmt, kann ich vielleicht-

Ich sammle meine letzten Bewusstseinsfetzen und konzentriere mich darauf, nicht verletzt zu sein. Während ich spüre, wie mein Herz aussetzt. Als ich eigentlich schon tot bin, gewinnt mein letztes Bisschen Wille und ich fühle, wie die Wunden sich wieder schließen. Stotternd lässt sich auch mein Herz wieder zum Schlagen überzeugen und ich öffne die Augen gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Kaz, der jetzt wieder sein eigenes Gesicht trägt, auf dem Boden kniend aufgeregt mit einem kleinen blonden Mädchen redet, das vor ihm steht.

Das Mädchen kommt mir bekannt vor. Ich muss kurz überlegen, dann habe ich es. Es ist die kleine Ratte. Cassia. Sie hält sich auf Abstand zu ihm und mustert ihn mit zusammengekniffenen Augen. Cassia traut ihm nicht. Kluges Mädchen, sie sieht auch nicht die Pistole, die er hinter seinem Rücken in der Hand hält. Ich richte mich langsam auf, nicht nur, weil ich keine Geräusche verursachen will, sondern auch, weil ich meiner Wunderheilung noch nicht ganz traue, aber ich habe keine Schmerzen.

In meiner Tasche finde ich eine Tube Nährgel, die ich leersauge und mache mich bereit. Einen Zeigefinger an die Lippen legend erhebe ich mich. Das Leben auf der Straße hat Cassia klug gemacht, denn sie bemerkt mich, verzieht aber keine Miene. Jetzt wo ich ihn töten könnte, sträubt sich etwas in mir dagegen. Ich sehe meine Chance, ihn leben zu lassen. Ein Wurfmesser aus meinem Gürtel ziehend, atme ich ruhig ein und ziele auf Kaz' Hand, die die Waffe umklammert. Beim Werfen lasse ich die Luft aus meiner Lunge ausströmen und treffe.

Aber Kaz wäre nicht Kaz, wenn er durch so eine Lappalie aufzuhalten wäre. Er schreit lediglich auf und dreht sich bereits schießend, bevor er mich sieht, um. Ich werde getroffen und es tut weh, doch es ist nur der Arm und so gehe ich weiter auf ihn zu. Kaz' Augen, die mich mittlerweile erkannt haben, sind weit aufgerissen und sein Mund fängt immer wieder an, Worte zu formen, ohne sie auszusprechen. Seine Bewegungen sind fahrig und die Pistole fällt klatternd zu Boden. Die Verletzungen und der Schock, dass ich doch nicht tot bin, scheinen selbst ihm zuzusetzen und er kriecht nach hinten, genau in Cassias wartende Arme. Sie drückt ihn in einem festen Klammergriff an sich und hält ihm ein Messer an den Hals. Als ich nah genug bin, erkenne ich, dass es das Messer ist, was ich ihr gegeben habe. Ich hebe eine Augenbraue und sie lächelt grimmig.

Ich krame einige Kabelbinder aus meinen Taschen und gemeinsam machen wir uns daran, den um sich schlagenden, buckelnden und keifenden Kaz zu fesseln. Ich stelle gerade sicher, dass alles wirklich festsitzt und nicht einmal ein Metamorph sich daraus befreien kann, als er mir ins Gesicht spuckt. Ich bin zunächst nur angewidert, bis ein brennender Schmerz meine Wange hinunterläuft. Gerade rechtzeitig reiße ich eine behandschuhte Hand hoch, bevor er mich am Auge treffen kann. Spuckgift. Ich schlage ihm so mit der Faust ins Gesicht, dass er die zweite Ladung an meinem Handschuh nun selbst abbekommt und zur Sicherheit noch ein paar Mal hinterher, bevor er Cassia anspucken kann. Er kreischt, doch so wie ich ihn kenne mehr vor Wut als vor Schmerz.

„Du kannst mich nicht loswerden. Wenn du mich nicht tötest, werde ich dich finden. Ich kenne dich und ich werde dafür sorgen, dass du bereust, dich nicht für mich entschieden zu haben! Ich bin ein Metamorph, ich könnte jede Person sein, die dir begegnet." Er spuckt beim Reden Blut und stemmt sich gegen seine Fesseln.

Dann fange ich seinen Blick ein und wische mir das Spuckgift aus dem Gesicht. „Ich weiß ja nicht, wer dir das Metamorphen beigebracht hat. Aber ich habe offenbar mehr gelernt als du", sage ich und lasse meine verätzte Wange vor seinen Augen heilen.

„DU! Wer hat dir das beigebracht?" Seine Schreie werden zunehmend inkohärent und so beschließe ich, ihm eine doppelte Ladung Betäubungsmittel mit der zweiten Handschuhpistole zu verabreichen. Als das Sedativ wirkt, wird das Schreien zu einem Brabbeln.

„Estera hat gesagt, ich dürfte es dir irgendwann beibringen, weißt du? Dann wärst du mir dankbar gewesen. Und wir ... Aber sie haben ... immer vertagt..." Ich winke ihm noch zu, als er die Augen endlich schließt.

SchattentänzerWhere stories live. Discover now