Irgendwie fühlt es sich richtig an.

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Der Tag vergeht wieder quälend langsam, obwohl ich lange geschlafen habe. Ich versuche das flaue Gefühl loszuwerden, indem ich extra hart trainiere, doch ich bin voller Energie und gleichzeitig irgendwie benebelt, wie betrunken. Kaz kommt in den Trainingsraum und ich überlege kurz, ob ich gehen soll, als er mich herausfordernd ansieht. Vielleicht ist ein bisschen Prügelei mit ihm genau das Richtige, damit ich mich wieder wie ich selbst fühle. Ich hebe also das Kinn und erwidere seinen Blick. Sein Halbgrinsen werde ich ihm zuerst vom Gesicht wischen, entscheide ich und lächle selbst eine diabolische Variante des Gefühls, das seit vorgestern in meiner Brust haust. Wir gehen beide in Bereitschaftsstellung und ich lande meinen ersten Schlag seitlich gegen seinen Kiefer. Sein Halblächeln verschwindet tatsächlich und er wird ernst. Und so schlagen und treten wir uns, ringen auf dem Boden miteinander und trotz meiner immer noch empfindlichen Finger besiege ich Kaz, indem ich ihm nach einer gefühlten Ewigkeit die Beine wegziehe, sodass er außerhalb des Rings landet. Die Euphorie des Sieges löst das letzte Bisschen Zurückhaltung und ich fange an zu lachen. Kaz stützt sich auf die Ellenbogen und guckt verwundert zu mir hoch.

„Wo auch immer du diese Energie hernimmst, ich will auch etwas davon", grummelt er und ich antworte ihm mit einer obszönen Geste. Den Raum verlassend blicke ich mich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, wie er mich nachdenklich mustert.

„Möchtest du vielleicht ein Foto von mir machen? Dann kannst du mich immer anstarren", schnarre ich und strecke ihm die Zunge raus. Sein verdutztes Gesicht ist es wert, dass ich mir jetzt vorkomme wie eine Siebenjährige.

***

Nach einer ausgiebigen Dusche lege ich mich in einen Liegestuhl auf der Terrasse, um vor mich hinzudösen. Ist es seltsam, wie offen Finnick sich mir gegenüber verhalten hat, oder kommt es mir nur so vor? Ich habe eigentlich eine gute Menschenkenntnis, aber bin auch misstrauisch. Es macht mich halb wahnsinnig, dass ich nicht einschätzen kann, ob das ein normales Verhalten ist. Ich komme mir vor wie ein Einsiedler. Es passiert doch jeden Tag unzählige Male, dass Menschen andere Menschen ansprechen und ihre Hände anfassen. Sogar mehr Körperkontakt habe ich schon bei anderen beobachtet, die sich offensichtlich gerade erst kennen gelernt haben. Dass Finnick sich mir so selbstverständlich genähert hat, ist bestimmt normal. Der Gedanke, dass er das vielleicht oft mit Mädchen macht, kann mich auch nicht gerade beruhigen. Gestern hatte er jedenfalls nur Augen für mich. Meine Lippen verziehen sich unwillkürlich zu einem Lächeln. Heute Abend werde ich ja sehen, wie es weitergeht. Sich darüber verrückt zu machen ist blödsinnig. Das habe ich mir heute schon mehrfach gesagt. Es hilft. Für eine kurze Weile.

Ein Knall irgendwo unten lässt mich aufschrecken. Ich muss eingenickt sein. Einen Blick auf die Uhr werfend richte ich mich auf. Kurz vor Mitternacht. Ich strecke mich und schlurfe in mein Zimmer, wo ich anfange, meine Maske herzurichten und mich anzuziehen. Ich entscheide mich für ein dunkelrotes Trägertop und die schwarze Hose mit den Kristallverstärkungen. Ich versuche mir einzureden, dass ich mich nur so sorgfältig schminke, um kein Risiko einzugehen. Nicht wirklich erfolgreich. Dass die Farbe meines Lippenstiftes zur Farbe meines Tops passt, ist das ultimative Anzeichen dafür, dass ich ein peinlicher Idiot bin. Trotzdem lächle ich meinem Spiegelbild zu, bevor ich aus dem Fenster klettere. Der Weg ist mir mittlerweile so vertraut, dass ich kaum noch hinsehen muss, um die Wandvorsprünge zu finden, die mich nach unten befördern. Unten angekommen schalte ich wie immer den Camouflagemodus wieder aus und mache mich auf den Weg. Da heute Sonntag ist, ist die Stadt nicht ganz so voll wie an anderen Abenden. Das Arcadia ist trotzdem gut gefüllt. Doch heute ist es etwas anders eingerichtet. Das Klavier steht nicht auf der Bühne, sondern weitere Tische mit Stühlen und überall sind Spielkarten, Spielbretter und Würfel auf den Tischen verteilt.

„Heute ist Spieleabend", sagt eine Stimme, die mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf wollte, direkt in mein Ohr. Dass Finnick es wieder geschafft hat, sich an mich heranzuschleichen, ohne dass ich es bemerke, wäre mir unheimlich, aber bei der Lautstärke, die in diesem Raum immer herrscht, ist es eigentlich keine Kunst. Ich drehe mich zu ihm um und lasse ihn meine Hand nehmen, um mich zu dem Tisch mit seinen Freunden zu führen. Ich werde von Sona, Nyx, Mako und Loria freudig begrüßt und winke grinsend mit meiner freien Hand. Finnick und ich setzen uns nebeneinander an den Tisch und Mako und Loria beginnen damit, mir die Regeln des Kartenspiels zu erklären, das sie nun spielen wollen. Ich versuche den Worten zu folgen und nur mein jahrelanges Training in strategischem Denken ermöglicht es mir, die Regeln zu verstehen, während Finnicks Hand meine hält. Zwischendurch drückt er sie manchmal leicht, was es noch schwieriger macht, nicht den Faden zu verlieren. Ich drücke zurück und werfe einen Seitenblick auf das Lächeln, das sich auf seinem Gesicht breit macht.

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