Zusammenhänge ergeben sich im Lauf der Recherche

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Der alte Turm ist nicht weit entfernt, an der Hauptstraße entlang sind es zwei Häuserblöcke. Ich entscheide mich jedoch für einen kleinen Umweg durch Seitenstraßen und kleine Gassen. Unten angekommen wende ich mich also nach links, weg von den grellsten Neonlichtern in etwas weniger beleuchtete Straßen. Auch die Menschen sind immer noch zahlreich, aber weniger gedrängt. Ohne Camouflagemodus ist der Mantel silbrig-grau und fällt gar nicht auf. Metallic ist momentan modern. Die tief ins Gesicht gezogene Kapuze ist zum Glück ebenfalls passend, da es, wie so oft, in Strömen regnet. Das ist das beste Wetter zum Ausspähen, da weniger Menschen unterwegs sind und diese sich meist darauf konzentrieren schnell an ihr Ziel zu kommen.

So schlängle ich mich also durch die nächtlich herumstromernden Leute. Viele offensichtlich berauscht. Einfachste Ziele. Ein unauffälliges Gift, dann ein heftiger Stoß und sie fallen so, dass sie sich das Genick brechen und es für einen tragischen Unfall unter Dogeneinfluss gehalten wird. Ich gehe drei Häuserblöcke weit und wende mich erneut nach links. Vorbei an noch mehr Menschen. An einer Straßenecke werde ich von einer Drohne zur Stichprobenkontrolle angehalten. Ich muss also meinen Finger auf das Scanpad der Drohne legen und trotz Regen meine Kapuze anheben, damit sie mein Gesicht scannen kann. Als sie grünes Licht gibt, gehe ich weiter.

Wenige Kapseln düsen an mir vorbei, die meisten Leute wollen offenbar an der frischen, wenn auch nassen, Luft sein. Ich gehe bis zum Ende des Viertels und stoße auf eine große Parkanlage, in deren Mitte ein massiver antiker Turm aus Backsteinen steht. Er ist nicht besonders hoch, zumindest nicht im Vergleich zu den Wolkenkratzern der Stadt, aber dafür, dass er ohne Kräne gebaut wurde, ist sein Anblick beeindruckend. Seine Steine haben im Verlauf der Jahrhunderte so viel gesehen und er steht immer noch hier. Ein Gefühl von Kleinsein befällt mich. Unwichtig in diesem großen Ganzen. Eine absurde Existenz ohne Konsequenz. Mit läuft ein Schauer über den Rücken.

Ich schüttle den Gedanken ab und gehe am Rand des Parks entlang. Die Menschen hier wirken zwielichtiger. Kaum jemand käme auf die Idee, nachts auf der Ostseite des Turms herumzulungern. Nicht unbedingt, weil die Menschen glauben, dass es gefährlich ist, sondern weil es dort nichts Interessantes gibt. Was der Grund dafür ist, dass dort fast unbehelligt Drogendeals abgewickelt werden, illegale Waffen den Besitzer wechseln und andere krumme Geschäfte geschehen.

Ich ignoriere die misstrauischen und neugierigen Blicke, die meine Schritte verfolgen. Etwas in meinem Gang hält ihre Besitzer davon ab, mich als Beute zu betrachten. Aufrecht mit gestrafften Schultern und mit bestimmten Schritten geradewegs aufs Ziel zu. Dass ich relativ groß bin, ist sicherlich auch von Vorteil. Ich finde schnell das Lagerhaus, das ich gesucht habe und beginne, den Camouflagemodus einschaltend, es auszuspähen.

Nach einer halben Stunde des Auskundschaftens mache ich Rast auf einem benachbarten Dach und überprüfe die Daten, die meine VR-Brille mir über den Ort liefert. Die Wärmebildkamera aktivierend stelle ich fest: In dem Lager sind Menschen. Fünf. Sie sitzen. Sonst ist in der näheren Umgebung niemand außer mir. Nachdem ich die Funkverbindung des Mikrofons vorbereitet habe, das ich als Wanze platzieren will, klettere ich wieder von dem Dach. Dann schleiche ich gebückt zu dem Fenster, das der sitzenden Gruppe am nächsten ist und lege das selbsthaftende Mikrofon auf meinen Zeigefinger, den ich ganz langsam und vorsichtig nach oben zum Fenster schiebe. Langsam, ganz langsam nähere ich meinen Finger dem Fensterglas an und drücke das Mikrofon darauf fest.

Ich bin unschlüssig, ob ich hierbleiben und live mithören oder das Gespräch aufnehmen soll. Wenn ich etwas Spannendes verpasse, werde ich mich ärgern. Ich starte die Übertragung und habe mich nach kurzer Zeit entschieden. Sie sprechen gerade darüber, wer welchen Belag auf seiner Pizza haben will. Dann fragt jemand, ob sie wirklich wieder Pizza essen wollen und eine Diskussion bricht los. Also schalte ich die Übertragung ab und starte die Aufnahme. Von nun an wird mein Earpod die Gespräche abhören und aufzeichnen. So kann ich morgen nach bestimmten Begriffen in den Gesprächen suchen. Ich brauche vor allem Informationen, die Namen und Tätigkeiten betreffen. Denn selbst wenn die Mörder meiner Eltern nicht mehr hier verkehren, kann ich über diese Menschen vielleicht trotzdem die richtigen Leute finden. Woran ich diese dann erkennen soll, weiß ich noch nicht, aber das sollte einen nie abhalten. Zusammenhänge ergeben sich im Lauf der Recherche. Zumindest sagt Severin das immer.

Ich schalte den Camouflagemodus meines Mantels aus und nehme die Kapuze ab, bevor ich mich auf den Weg zurück zum Appartement mache und nehme dieses Mal den Weg entlang der Hauptstraße. Falls jemand mich bemerkt haben sollte, werde ich hier zwischen den Menschenmassen verschwinden. Aus Bars und Clubs dröhnen Bässe und Gelächter und Transportkapseln sausen vorbei. Neonfarben spiegeln sich auf der nassen Straße und lassen die ganze Stadt wie ein schillerndbuntes Meer aussehen. Eigentlich wollte ich den Heimweg dazu nutzen, das Gespräch in der Lagerhalle zu belauschen, muss jedoch die Live-Übertragung irgendwann abbrechen, weil ich mich nicht auf das Gespräch konzentrieren kann. Die Stadt lenkt mich ab. Die Bässe und Melodiefetzen, die aus den Clubs dröhnen. Die Gerüche, die aus den Imbissbuden und Bistros wabern, die Menschen in ihren exzentrischen Outfits, die Farben und Geräusche. Ich fühle mich lebendig.

Mit eingeschaltetem Camouflagemodus klettere ich wieder an der Wand hoch und durch das offenstehende Fenster. Ich entledige mich meiner Stiefel und des Mantels, doch bevor ich den Rest ausziehen kann, überwältigt mich die Müdigkeit und ich lasse mich auf mein Bett fallen, wo ich binnen Sekunden einschlafe.

SchattentänzerWhere stories live. Discover now