Nur Schattentänzer reagieren so auf Schlangen

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Sona und Nyx treten gerade aus der Tür, als wir diese erreichen und sehen Finnick fragend an.

„Ich möchte Mona gerne einweihen." Ohne Umschweife, ohne breite Erklärungen sagt er es. So, wie er meine Hand am ersten Abend genommen hat. So, wie er mir gesagt hat, dass er mich mag. So scheint er zu sein. Direkt. Irgendwie gefällt mir das.

Sona und Nyx scheinen gerade nicht so begeistert von Finnicks direkter Art zu sein und verziehen missmutig die Gesichter. Wenn Estera, Mirea oder Severin mich so mustern würden, würde ich ganz schnell meine Worte zurücknehmen und mich verkriechen, doch Finnick sieht sie lediglich an. Nicht herausfordernd, sondern ganz sachlich.

„Mona, versteh das nicht falsch", sagt Nyx zu mir und kratzt sich am Kopf.

„Wir wissen nichts über dich." Sona beendet den Satz für ihn. Ich nicke. Eigentlich wollte ich nur Finnick einweihen, doch vielleicht können sie mir ja helfen. Ich denke jedenfalls nicht, dass sie mich verraten würden. Wie ich darauf komme, kann ich nicht erklären, aber sie wirken vertrauenswürdig. Auch wenn ich noch nicht sicher bin, was hinter ihrer zum Teil seltsamen Kommunikation steckt.

„Ich habe Finnick alles erzählt, was es über mich zu wissen gibt." Ich versuche möglichst wenig meiner Unsicherheit in meiner Stimme hörbar zu machen, ohne dabei unverschämt zu klingen. Finnick nickt neben mir und sagt dann etwas, was meine Neugier endgültig entfesselt: „Und ich glaube, dass wir sie gut gebrauchen können." Sona und Nyx sehen sich an und nicken dann.

„Na gut", sagt Sona knapp und setzt sich in Bewegung. Nyx nickt in ihre Richtung und wir folgen zu dritt. Finnick drückt noch einmal meine Hand und lächelt mir aufmunternd zu. In was für eine Situation habe ich mich da hineinmanövriert?

***

„Das Hauptquartier der Schlangen. Willkommen", verkündet Nyx, als wir die große Lagerhalle betreten, die sich östlich des alten Turms im Fertigungsviertel befindet. Mein Kopf schnellt zu ihm herum und ich gehe in Verteidigungspose: Knie gebeugt, die Arme leicht vom Körper abgespreizt und bereit, eine Waffe zu zücken. Sona und Nyx runzeln die Stirn, als sie meine Reaktion sehen. Erst Finnicks Lachen entschärft die Situation.

„Du musst uns für eine kriminelle Bande halten", erläutert er mir lächelnd. Ich blicke mich nur misstrauisch um. Sona und Nyx schaut mich immer noch skeptisch, aber nicht mehr misstrauisch an.

„Entgegen unserem Ruf sind wir keine Assassinen." Sonas Stimme klingt zwar freundlich, aber ihr Blick analysiert jede meiner Bewegungen. Sie spricht es nicht aus, doch der Vorwurf hängt in der Luft. Ich presse die Lippen zusammen und richte mich wieder auf. Entspanne meine Schultern.

„Du meinst, im Gegensatz zu mir." Da. Die Worte sind raus. Nyx und Finnick sehen einander und dann uns an. Unschlüssig, als wüssten sie nicht, ob sie lachen oder eingreifen sollten. Ich weiß es ja selbst nicht. Sona ist undurchschaubar. Ich gebe mir Mühe unbedrohlich auszusehen.

„Deine Reaktion gerade hat dich verraten. Nur Schattentänzer reagieren so auf Schlangen." Sie zuckt mit den Schultern und lächelt entschuldigend. Die Situation entspannt sich merklich.

„Aber lass uns doch an einen gemütlicheren Ort gehen, um das zu besprechen." Ihre Stimme klingt jetzt wieder wirklich herzlich. Ich scheine irgendeine Art von Test bestanden zu haben. Nyx und Sona gehen vor, Finnick und ich folgen. Finnick drückt mir dabei zuversichtlich die Hand. Ich sehe ihn an und sein Lächeln muntert mich auf. Wir betreten durch eine stählerne Schiebetür eine Wohnküche, deren Aufteilung mich unangenehm an die Mission von heute Abend erinnert. Gemeinsam verteilen wir uns auf den Sesseln und dem Sofa, die im hinteren Teil des Raumes stehen. Finnick und ich setzen uns nebeneinander auf das Sofa, wobei er sich so nah neben mir platziert, dass sich unsere Oberschenkel berühren.

„Erzähl uns doch etwas von dem, was du Finnick vorhin erzählt hast, damit wir entscheiden können, wie viel wir dir erzählen wollen." Dieses Mal ist es Nyx der spricht. Die offene Körperhaltung und Entspanntheit seiner massiven Schultern zeigen jedoch, dass die ernsten Worte eher eine Formalität sind. Also fange ich an. Ich erzähle erneut, wer ich bin, wo ich herkomme, dass ich bei den Schattentänzern aufgewachsen bin. Was ich nicht erzähle ist, was heute Abend passiert ist. Das kann ich einfach nicht. Dafür erzähle ich, warum ich mir Maskenteile ins Gesicht kleben muss. Finnick mustert mich von der Seite, als würde er sich vorstellen, wie ich ohne die Gesichtsmodifikationen aussehe. Ich lächle ihn an und hebe eine Augenbraue, wie um zu sagen: Später vielleicht.

Sona und Nyx tauschen ebenfalls einen Blick aus und scheinen zufrieden mit dem, was ich ihnen erzählt habe, denn sie nicken und Sona beginnt mir zu erzählen, wer die Schlangen sind und was sie eigentlich tun.

„Es gibt Menschen in dieser Stadt, die von der Regierung verfolgt werden. Sie werden gesucht und getötet, weil sie in der Lage sind das System der Überwachung zu unterwandern, indem sie ihr Aussehen verändern." Den bedeutungsvollen Blick auf meine Maskenteile bemerke ich kaum, da mein Herz plötzlich ganz langsam pocht.

„Sie ändern nicht nur, wie ihr Gesicht aussieht, sondern können ihr gesamtes Äußeres ändern, was der Regierung natürlich nicht gefällt. Seit mehreren Jahren versuchen wir also, diese Menschen ausfindig zu machen und in Sicherheit zu bringen, bevor der Staatsapparat und seine offiziellen und inoffiziellen Häscher es tun." Die Art, wie sie die inoffiziellen Häscher betont, lässt mich eine Hand vor meinen Mund schlagen. Finnick sieht mich alarmiert an und fragt mich, was los sei, doch ich kann nicht antworten.

SchattentänzerWhere stories live. Discover now