Metamorph

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„Ich wusste doch, dass du mir nicht wehtun würdest", sagt Finnick schmunzelnd zu mir. Das Schmunzeln wird zu einem wölfischen Halbgrinsen und sein Urheber wirft mich ab. Wie kann das sein? Ist das, was ich dummerweise sagen will, aber wie so oft, ist mein Mund schneller als mein Gehirn und ich höre mich „Metamorph" sagen.

„Du bist also doch nicht dumm, sondern einfach langsam." Es ist Finnicks Gesicht, das diese Worte sagt. Aber Kaz' Stimme. Und es ist Kaz' Körper, der nach mir tritt. Trotz verletztem Fuß. Jahrelanges, stupides, hartes Training ist das Einzige, was mich rechtzeitig reagieren lässt und ich rolle zur Seite. Mein Körper geht in eine Art Automatikmodus und ich springe auf.

„Lass uns diesen Unsinn jetzt beenden", sagt Finnick mit Kaz' Stimme zu mir und er breitet die Arme aus.

„Wir machen diese Schwächlinge hier fertig, gehen zu den Meistern und sagen ihnen, dass du mit mir zusammengearbeitet hast." Sein Tonfall ist diplomatisch. Als würde er mir ein großzügiges Angebot machen. Als wäre ich diejenige, die am Boden liegt.

„Zusammengearbeitet?" Wieder ist es mein Mund, der spricht, bevor ich bewusst darüber nachdenke und Informationen herausfiltern und verarbeiten kann. Kaz-Finnick, anders kann ich nicht über ihn denken, seufzt.

„Manchmal stehst du echt auf dem Schlauch. Ich sage es mal so: Du bist nicht der einzige Maulwurf", sagt er übertrieben langsam und deutlich. Informationen verbinden sich auf einmal in meinem Hirn. Aber es klickt noch nicht richtig. Hat er die Schattentänzer ausgespäht? Nein, das ergibt keinen Sinn.

„Du hast die Schlangen infiltriert? Wussten die Meister, von dieser Aktion?" Ich denke an Sona und Nyx, an Mako und Loria. Meine Freunde.

„Nein. Denn auch ich wollte dir ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk machen. Eine freie Entscheidung. Nur für dich." Er hat tatsächlich die Nerven, dabei zu lächeln. Mit Finnicks Gesicht. Ich kann nicht entscheiden, ob ich es küssen oder zu Brei schlagen will.

„Warum? Du tust nichts einfach so. Wieso solltest du mich nicht verraten?", frage ich, vor allem um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.

„Du bist blind, oder?" Ein Halblächeln. Nicht das wölfische Grinsen, sondern ein weicheres, müdes Ding. Ich verstehe es nicht.

„Vielleicht bin ich blind oder dumm oder langsam oder was auch immer du mich noch nennen willst. Ich frage dich jetzt und will eine richtige Antwort: Was hast du davon?" Endlich spreche ich diese Frage aus, die ich mir bei all seinen Spielchen immer gestellt habe.

„Was würdest du sagen, wenn ich dir jetzt meine Liebe gestehe?" Er sagt es so beiläufig, dass ich lospruste.

„Das ist erstens keine Antwort und zweitens Schwachsinn. Du liebst nur dich selbst", fauche ich ihn an und will gerade eine Waffe aus meinem Gürtel ziehen, um ihn zum Reden zu bringen, doch sein unbewegter Blick lässt mich innehalten.

„Was meinst du, wer auf die Idee für diese Mission heute gekommen ist? Ohne mich wüsstest du doch nichtmal, dass diese zwei Aasfresser überhaupt leben." Ich erinnere mich an das Gespräch, das ich durch die Bürotür belauscht habe.

„Du wusstest, dass ich zuhöre", flüstere ich mehr, als dass ich spreche. Über den Lautsprecher im Kragen hört er es aber trotzdem klar und deutlich. Und grinst.

„Ich kenne dich, Rae. Ich weiß, was du fühlst und was du deswegen tun wirst. Und ich weiß auch, dass dieses weichgespülte Allemenschenretten der Schlangen nichts für dich ist." Ich schüttle den Kopf. Er kann mein Gesicht nicht sehen, aber die Bewegung genügt, damit er mit den Augen rollt.

„Sei ehrlich. Wenn nicht zu mir, dann wenigstens zu dir selbst. Ich habe doch gesehen, wie du diesen Collin erst schikaniert und dann umgebracht hast. Und ich habe auch gesehen, wie du gerade entgegen der Abmachung Leo und Dorrit hinrichten wolltest. Ich. Kenne. Dich. Wir teilen die gleiche Dunkelheit." Meine Gedanken rasen. Kampfgeräusche kommen näher, Waffen klirren, jemand schreit. Ich kann mich nicht konzentrieren. Aber ich muss das hier irgendwie zu Ende bringen und an anderer Stelle helfen.

„Du bist wahnsinnig", keuche ich und stürze mich mit einem Messer auf ihn herab.

Er pariert mit der Klinge an seinem unverletzten Arm und zieht mich an seine Brust. Ich liege nun rücklings auf ihm. Und er hält mich in einem festen Klammergriff. Optionen rattern durch meinen Kopf. Meine Arme kann ich nicht bewegen, aber wenn ich im richtigen Moment meine Beine in den Boden stemme, könnte ich mich befreien. Ich muss lediglich einen guten Augenblick abwarten.

Kaz' Finger berühren den Mechanismus zum Öffnen der Maske und er beginnt mir ins Ohr zu zischen:

„Ich habe alles für dich getan, Rae. Hab dafür gesorgt, dass die Meister in die andere Richtung sehen, wenn du mit deinen Egotrips dein Leben gefährdest. Hab sichergestellt, dass du vorsichtig bist, dir den Rücken freigehalten, deine Spuren verwischt und dir immer wieder den Ball zugespielt." Ich lasse ihn all diese Dinge in mein Ohr zischen und warte auf meine Gelegenheit. „Aber du verliebst dich in einen blassen Schwächling. Am Anfang dachte ich, du hättest Mitleid. Wie du weggerannt bist. Ich dachte, es wäre Ekel, weil so jemand dich mag. Aber als du gestern Kontaktlinsen getragen hast, die wie meine Augen aussahen, wusste ich, dass du nicht nur auf Idioten stehen kannst." Mir dreht sich der Magen um. Finnick ist tatsächlich Kaz. Kaz war die ganze Zeit Finnick. Kurz empfinde ich einen Anflug von Scham, der aber schnell einer brodelnden Wut Platz macht. Er hat mich ausgenutzt. Und zwar nicht einfach auf seine übliche Kaz-Art, mit der er alle Menschen als Spielfiguren auf seinem Schachbrett benutzt. Er hat meine persönlichen Vorlieben analysiert und mich zur Zuneigung manipuliert.

„Aber weißt du, ich kann dieses Gesicht für dich tragen, wenn wir-" Kaz-Finnick kommt nicht dazu, seine Worte zu beenden - wie lange hat er darauf gewartet mir das alles zu erzählen? - denn ich stemme mit aller Kraft meine Beine in den Boden, schaffe es so, mich aufzubäumen und eine Hand freizubekommen, mit der ich mich auf seinen angeschossenen Fingern abstütze. Ich drehe mich um und richte meine Handschuhpistole auf seine Brust.

„Blablabla. Bist du jetzt fertig mit deinem Superschurkenmonolog?", blaffe ich ihn an und entsichere die Waffe. Wenn Sona mir wirklich einen Vorwurf dafür machen will, dass ich ihn erschieße, dann kann ich auf die Schlangen verzichten.

„Du kannst mich doch nicht so erschießen", ruft er da plötzlich mit Finnicks Stimme und verzerrt erschrocken sein Gesicht. Wenn er denkt, dass diese Nummer zweimal zieht, hat er sich aber geschnitten. Ich will abdrücken, als ich verstehe, dass die Vorstellung nicht mir gilt, sondern der Person hinter mir.

„Mona, du Verräterin!" Es ist Makos Stimme, nach der ich mich jetzt umdrehe. Makos wutentbranntes Gesicht und seine großen Bärenpranken, denen ich ausweiche. Und bevor ich ein Wort der Warnung oder Erklärung aussprechen kann, bevor ich auch nur „Vorsicht!" rufen kann, ist es Makos Kopf, der von einer Kugel aus Kaz-Finnicks Pistole durchbohrt wird. Es sind Makos Augen, die sich verdrehen und Makos Körper, der dumpf auf dem Boden aufschlägt. Entsetzt drehe ich mich wieder zu meinem am Boden liegenden Gegner und seinem hämischen Grinsen um.

Ich habe zu lange gezögert, Kaz aus dem Verkehr zu ziehen und jetzt hat er einen meiner Freunde erwischt. Ohne weiteres Zögern ziehe ich die Pistole aus meinem Gürtelhalfter und feuere drei Schüsse in Kaz-Finnicks Brust ab.

Die Schüsse durchdringen den Anzug, er keucht vor Schmerz auf, doch er blutet nicht.

„Ich hab doch gerade gesagt, dass du mich so nicht erschießen kannst. Danke für das Stahlseidehemd", grinst er und ich bin so perplex über meine eigene Dummheit, dass ich zu spät auf seinen Kopf ziele. Kaz hat schon abgedrückt. Ich kann nur reagieren und mich so wegdrehen, dass ich nicht am Kopf getroffen werde. Dafür kassiere ich aber einen Schuss in den Rücken und der sengende Schmerz, der meine Schulter durchfährt, wird direkt gefolgt von einem weiteren, der durch meine Brust zieht. Ich sehe, wie mein Blut beim Austreten der Kugel aus mir herausspritzt. Mein Oberkörper explodiert in Schmerz und ich spüre kaum, wie meine Knie den Boden berühren.

„Ein bisschen traurig ist es ja schon, dass es so enden muss", schnarrt mir Kaz' Stimme ins Ohr.

„Ich hatte wirklich gehofft, du würdest dich richtig entscheiden. Ich hätte dich retten können." Er muss zu mir herübergekrochen sein. Als ich seine Hand an meiner Wange spüre, bringe ich mich dazu, ihn anzusehen und blicke in seine schwarzen Tunnelaugen. Es fällt tatsächlich eine Träne aus seinem Gesicht und benetzt meine Wange, bevor sich meine Augen schließen und mein Geist wegdriftet.

SchattentänzerWhere stories live. Discover now