36.

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»Hey, aufwachen!« Licht stach mir wie mit einer Nadel in die Augen. Ich wollte die Hand heben und mich davor schützen, aber ich konnte meine Hand nicht spüren.

Ich kniff die Augen zusammen, in der Hoffnung, irgendetwas erkennen zu können. Da war eine dunkle Silhouette vor einem grellen Licht.

»Wer ...?«, krächzte ich, aber mehr als dieses Wort kam nicht über meine Lippen. Meine Mundhöhle und mein Rachen fühlten sich an, als hätte sie jemand gründlich mit Schleifpapier bearbeitet.

»Meine Güte, hart im Nehmen bist du wirklich nicht, oder?«, sagte eine Stimme grob, aber das grelle Licht wurde etwas von mir weg gedreht.

Langsam klärte sich mein Blick etwas. Ich saß auf einem Stuhl, die Arme so straff hinter meinem Rücken gefesselt, dass sie taub waren.

Vor mir, wie hätte es anders sein können, stand Mark. Ich verzog das Gesicht und widerstand dem Drang, ihm entgegen zu spucken. Widerstand nur deswegen, weil ich mir nicht sicher war, schon genug Kontrolle über meinen Körper zu haben.

»Wo ist ... Damain«, brachte ich heraus. Meine Stimme fühlte sich nicht nur an wie von einem Reib-Eisen bearbeitet, sie klang auch so. Das, was vor der Bewusstlosigkeit gekommen war, war so verschwommen.

Hatte das Gegengift überhaupt richtig gewirkt? Wenn er auch betäubt wurde, wie reagierte dieses Mittel mit den Resten des Zyankali in seinem Körper?

Ich testete, ob ich die Fesseln lösen konnte, blieb aber erfolglos.

»Damian ist gerade unwichtig.« Unwillig wandte ich den Blick zurück zu Mark. »Was zählt, sind du und ich.«

Meine Kehle fühlte sich nicht wund genug an, als dass ich mir das verächtliche Schnauben hätte verkneifen können.

»Was soll das denn bitte heißen?«, fauchte ich. »So leid es mir tut, ich stehe nicht so auf Leute, die versuchen, mich umzubringen, mich durch die halbe Welt jagen und dann auch noch entführen.«

Meine Stimme protestierte bei jedem Wort, aber immerhin hatte ich den Satz an einem Stück herausgebracht.

»Ich hoffe, dass du diese Meinung noch einmal überdenkst«, sagte Mark ruhig. »Es kann nur zu deinem Vorteil sein.«

»Wo ist Damian?«

Prompt blitzte Wut in Marks Augen auf. »Nicht hier.« Er atmete einmal tief durch. »Wir haben Wichtigeres zu besprechen. Ich habe nämlich Pläne mit dir, meine Liebe, bei denen er nur im Weg stehen würde.«

Ich schluckte. Es fehlte nur noch das dramatische Bösewichtslachen und schon könnte man Mark in einem Bilderbuch oder einem Bond-Film unterbringen. Aber vielleicht sollte ich ihn reden lassen.

»Was willst du?«, spuckte ich ihm entgegen.

»Ich möchte mit dir zusammenarbeiten«, antwortete Mark schlicht und das erwischte mich doch unerwartet. Er wollte was?

Der erwartungsvolle Ausdruck in Marks Gesicht verriet mir: Ich hatte ihn nicht falsch verstanden.

»Was?«, fragte ich und war stolz, das wenig eloquente ›Hää?‹ zurückgehalten zu haben.

»Du hast mich schon verstanden«, erwiderte Mark kühl.

»Verstanden, ja«, brachte ich heraus. »Aber Sinn ergibst du keinen.«

»Dann lass es mich erklären.« Mark stützte die Ellenbogen auf und musterte mich über zusammengelegte Fingerspitzen. »Erinnerst du dich noch an Riley?«

Eiseskälte durchschoss mich. Natürlich erinnerte ich mich an Riley. Seinetwegen hatte ich überhaupt mit Damian zusammengearbeitet. Aber dafür hatte ich schon sehr lang nicht mehr an ihn gedacht.

»Was hast du mit ihm gemacht?«, fragte ich tonlos.

Natürlich war er bei Mark. Ich hatte es geahnt, aber die Bestätigung fühlte sich noch immer surreal an.

»Ich habe gar nichts mit ihm gemacht. Hör bitte auf, mich als ein Monster darzustellen«, erwiderte Mark.

Ich warf ihm einen ›Bitte was?‹-Blick zu, aber er achtete nicht auf sie.

»Ich habe deinen Freund Riley nur eingeladen, mit mir zu plaudern und ein Tässchen Tee zu trinken. Wie alte Freunde.«

»Wie freiwillig war dieses Tässchen Tee?«, spottete ich.

Mark lächelte schmal. »Es wurde weniger freiwillig, als er leider nicht mit mir zusammenarbeiten wollte.«

Gefälschtes Bedauern machte sich auf seinen Zügen breit. Mark machte eine kurze Pause und wartete offenbar auf eine Antwort. Ich war nicht bereit, ihm eine zu geben.

»Gut«, sagte er dann, plötzlich im nüchternen Tonfall. »Du bist also nicht an höflichem Smalltalk interessiert. Kommen wir zum Geschäftlichen.«

Ich durchbohrte ihn mit Blicken.

»Dein Freund Riley hat einige Fähigkeiten, von denen ich und meine Jungs gern Gebrauch machen würden. Er weigert sich aber, mir zu helfen. Also braucht er wohl einen kleinen Anstoß.«

»Und ich soll dieser Anstoß sein?«, schlussfolgerte ich und bedachte Mark mit einem weiteren verächtlichen Blick. »Träum weiter.«

»Ich glaube, du siehst noch nicht ganz, mit welchen Vorteilen für dich das verbunden wäre«, sagte Mark trocken. »Beispielsweise mit deinem Leben.«

»Wie verführerisch.«

»Außerdem würde auch Damian am Leben bleiben. Möglicherweise zumindest.« Er machte eine beiläufige Handbewegung, die wohl eher dem dramatischen Effekt diente. »Wie du siehst, ist eine Zusammenarbeit mit mir unabdingbar, wenn du am Leben bleiben möchtest.«

Ich hielt einen Augenblick inne. »Was willst du von Riley?«, fragte ich dann. Mark konnte ich sein Angebot immer noch um die Ohren schlagen, wenn ich mehr Informationen hatte.

Marks Blick verdunkelte sich. Wie es aussah, hatte ich ihn in seiner Bösewichtsrede unterbrochen. »Er hat Beziehungen«, sagte er schließlich. »Ein ganzes Netz von Beziehungen, das ich ausbauen könnte, um uns allen einen Vorteil zu verschaffen.«

»Was für Beziehungen?«, hakte ich nach. Wurde nicht für gewöhnlich die gefesselte Person verhört?

»Er unterhält ein ganzes Netzwerk an Kontakten«, sagte Mark nüchtern. »Er hat es von sich aus aufgebaut, aber er hatte nie Ambitionen, es zu etwas Größerem zu machen, das seinen Fähigkeiten gerecht wird. Deswegen bin ich auf ihn aufmerksam geworden. Ich und meine Jungs, wir können seine Kontakte gebrauchen, aber er verwehrt sie uns.«

»Er hat bestimmt seine Gründe«, sagte ich und konnte mir gerade noch verkneifen, zu ergänzen: ›Vielleicht, weil du ein Idiot bist‹.

»Dann solltest du ihn dazu bringen, diese Gründe über Bord zu werden. Allein deshalb haben wir nur mit Betäubungsgeschossen auf dich gezielt.«

Ich schluckte. Wenigstens wusste ich nun, weshalb ich hier war und noch lebte. »Ich soll also ein Druckmittel gegen Riley sein?«


The Mafia King and the Ice QueenWhere stories live. Discover now