29.

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Ich sah mich in dem Haus um. Nun, da Damian weg war, konnte ich mir wenigstens einen Überblick darüber verschaffen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Mafiaboss so bescheiden lebte, wie das hier den Anschein machte.

Tatsächlich bildete eine großzügige Glasfront den hinteren Teil des kleinen Häuschens und in geringer Entfernung konnte ich einen See glitzern sehen, dem ich mich so schnell nicht nähern würde. Die letzte Erfahrung, die ich mit einem See gemacht hatte, hatte schließlich in einem Beinahe-Tod resultiert und ...

Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu verbannen, aber er verblieb in meinem Kopf. Das war das erste Mal gewesen, dass ich Damian geküsst hatte, und langsam fiel es mir schwerer, die Erinnerung daran zu verdrängen. Vielleicht auch bedingt durch den letzten ... Vorfall im Krankenhaus. Da war es weniger Notsituation gewesen und trotzdem hatte ich mich dafür entschieden.

Mit einem Ruck wandte ich mich von den Fenstern ab und versuchte mich darauf zu konzentrieren, das Haus kennenzulernen. Vielleicht konnte ich jetzt die Drohung, die ich Damian gegeben hatte, wahr machen und seinen Tresor finden. Wenn ich meine hundert Dollar hatte, gab es schon mal einen Grund weniger, weshalb ich weiterhin bei ihm blieb. Dann mussten wir nur noch das mit den Jungs klären und dann könnte ich einfach abhauen und diese ganze Eskapade hinter mir lassen.

Nie wieder Damian sehen.

Nie. Wieder.

Ich schluckte gegen das seltsame Gefühl in meinem Hals an und stieg die knarzende Holztreppe in den oberen Stock des Hauses hinauf. Irgendetwas musste sich finden lassen, dass meine Gedanken in eine andere Richtung lenken würde.

Leider war mir das nicht vergönnt, denn im nächsten Moment hörte ich die Tür im Untergeschoss zugehen. Damian war zurückgekehrt. Und mit ihm hoffentlich mein Kaffee.

Ich stürmte die Treppe hinunter, bis ich vor Damian stand. Er schaffte es kaum ein »Ich bin zurück« herauszubringen, da schnappte ich ihm schon einen Becher aus der Hand und nahm einen Schluck.

Sofort spürte ich, die Lebensgeister erwachen, angefeuert durch das schwarze Wasser des Lebens. Reagierte ich über? Ganz bestimmt nicht.

Auch wenn Damian drauf und dran schien, etwas anderes zu sagen.

»Danke«, brachte ich heraus und nahm den zweiten Schluck. Meine Laune verbesserte sich praktisch sofort, auch wenn dieses Mal eindeutig ein amüsiertes Lächeln über Damians Gesicht huschte.

Ich ignorierte es. Schließlich wollte ich nicht, dass meine gute Laune sofort wieder verflog.

»Willst du wirklich im Flur stehen bleiben?«, fragte Damian, immer noch ein leichtes Lächeln auf den Lippen.

»Solange ich Kaffee habe, bleibe ich überall stehen«, sagte ich und nahm demonstrativ noch einen Schluck.

»Ich nicht. Also entscheide du.«

Er prostete mir mit seinem eigenen Kaffeebecher zu und drehte sich ab. Und ich musste mich mit der Frage auseinandersetzen, ob er mir gerade zugezwinkert hatte. Und damit, ob ich ihm folgen konnte. Wollte.

Aber wenn ich mich dazu entschied, im Flur stehen zu bleiben, war die Gefahr groß, dass ich mich wieder an Dinge erinnerte, die ich lieber vergessen wollte. Dann watschelte ich lieber Damian hinterher und versuchte mich irgendwie von diesen Gedanken abzulenken.

»War es einsam im Flur?«, begrüßte er mich, als ich zu ihm ins Esszimmer kam und schon bereute ich meine Entscheidung und wäre beinahe wieder umgedreht. Stattdessen ließ ich mich neben ihn auf das Sofa fallen.

»Sehr einsam.« Wenn er unbedingt wieder süffisant sein wollte, konnte ich das auch.

Als ich über meinen Kaffee zu Damian hinüber blinzelte, durfte ich dann auch feststellen, dass er mich irritiert musterte.

Das gefiel mir, aber ich ließ mir natürlich nichts anmerken. Ich würde ihn so lange zappeln lassen, wie ich konnte.

»Das habe ich im Krankenhaus auch schon bemerkt.« Der irritierte Ausdruck aus Damians Blick verschwand und zurück blieb eine jugendliche Verschmitztheit, die viel lockerer war als die kühle Miene des Mafiabosses. Auch das Eis seiner Augen schien etwas weicher als noch vor einem Moment.

»Im Krankenhaus habe ich dir wieder einmal den Hintern gerettet«, erwähnte ich, aber das Grinsen auf Damians Gesicht änderte sich nicht im Geringsten. »Du warst aber derjenige, der das länger ausgehalten hat, als für die reine Glaubwürdigkeit notwendig gewesen wäre.«

»Nach einem reinen ›Aushalten‹ sah es bei dir aber auch nicht aus.«

»Daran sieht man nur, wie schlecht du Frauen verstehst.«

»Ich verstehe Frauen hervorragend«, sagte Damian und beugte sich leicht zu mir. »Und ich glaube, du kannst mir nicht so lange widerstehen wie ich dir.«

»Pah«, machte ich herablassend und etwas lauter als nötig, um zu verhindern, dass mein Herzschlag sich verräterisch beschleunigt hatte. »Willst du es darauf ankommen lassen, Lansky?« Ich richtete mich ebenfalls aus meiner entspannten Position auf und brachte uns dadurch näher aneinander. »Bist du dir wirklich sicher, dass du dieses Spiel nicht verlieren würdest?«

»Ich spiele nur, wenn ich weiß, dass ich nicht verliere.«

»Hybris ist schon so manchem zum Verhängnis geworden.«

»Hybris ist es nur, wenn ich mich selbst überschätze.« Ein Funkeln lag in seinen Augen. Das Glitzern von Schneeflocken, die spielerisch im Wind tanzten. Zu leicht wäre es, sich in dem Schauspiel zu verlieren.

»Dann beweis es.«

Unsere Gesichter waren nur noch Zentimeter voneinander entfernt, ich spürte seinen heißen Atem über meine Haut streifen.

Er antwortete nicht, verharrte aber an Ort und Stelle.

»Du willst dich also nicht gerade vorbeugen«, stichelte ich mit rauer Stimme. »Du willst nicht wissen, wie sich meine Lippen auf deinen anfühlen würden? Du möchtest deine Hände nicht an meine Hüften legen und mich zu dir ziehen? Du denkst nie darüber nach, was hätte sein können, wenn wir uns unter anderen Umständen kennengelernt hätten?« Bei jedem Satz wurde meine Stimme ein wenig leiser, die Worte am Ende mehr ein Wispern.

Ich war mir beinahe sicher, dass ich seinen Atem stocken hören konnte. Aber dann lehnte er sich nach vorne, zwang mich, ein winziges Stück zurückzuweichen.

»Und was ist mit dir?« Seine Stimme war kaum lauter als meine. »Möchtest du nicht wissen, wie sich das, was du bisher vorgespielt hast, anfühlen würde, wenn es nicht nur ein Spiel wäre. Wenn du dir nicht länger vormachen würdest, dass du ein Herz aus Eis hast, das nie für jemanden schmilzt. Wenn du dir einmal – nur einmal – erlauben würdest, etwas außer Abneigung und Hass für jemanden zu empfinden? Hast du nie darüber nachgedacht?«

»Ich kann nicht«, flüsterte ich und jetzt glühte mein Gesicht vor einer Hitze, bei der ich nicht hätte sagen können, woher sie stammte. »Du wirst diese Kontrolle niemals über mich bekommen.«

»Aber du willst es.«

Seine Worte hätten Fluchtinstinkt in mir auslösen müssen, aber stattdessen weckten sie den Drang, mich zu ihm zu beugen, mich in ihm zu verlieren, mich all dem hinzugeben, was er gerade gesagt hatte. Aber ... ich konnte nicht. Ich konnte doch nicht. Oder?

Sein Blick ruhte auf meinem, suchte in meinen Augen eine Antwort, wenn ich ihm schon mit Worten keine gab.

Konnte ich für einen Augenblick nachgeben und die Erfahrung hier in dieser Hütte zurücklassen, wegschließen wie in dem Tresor, den ich nicht gefunden hatte? Nur dass ich Damian leider nicht zurücklassen konnte. Wollte. Durfte. Was auch immer. Leider verriet mein Gehirn mich gerade und erlaubte mir nicht, einen klaren Gedanken zu fassen.

Erst als etwas Warmes und Weiches meine Lippen traf, fand ich zurück in die Realität. Damian hatte die letzten Zentimeter zu mir überwunden.



Hi, eine kleine Anmerkung von mir: Das nächsten Kapitel wird ein reines NSFW-Kapitel. Wer es nicht lesen möchte, der kann es also getrost überspringen, ohne etwas vom Plot zu verpassen.

The Mafia King and the Ice QueenWhere stories live. Discover now