32.

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Für einen Moment schien die Welt still zu stehen. Tausende Gedanken rasten durch meinen Kopf. Angefangen mit: Was zur Hölle macht er denn hier?

Denn in den Raum trat niemand anderes als Mark, die Arme in großer Showmaster-Geste ausgebreitet, als wollte er uns willkommen heißen.

»Ich war der Meinung, ich hätte etwas verloren«, sagte er in lockerem Plauderton. »Und seht an, ich habe es gefunden.«

Ich wich einige Schritte zurück und mir wurde bewusst, wie wenig Bewegungsfreiheit ich doch in dem Kleid hatte. Ich warf einen Blick auf Damian. Er hatte nicht einmal die Zeit gehabt, sich wieder anzukleiden, und stand oberkörperfrei vor Mark. Trotz der abstrusen Situation blitzte in meinem Kopf der Gedanke auf, dass dieser Vergleich zweifellos zu Damians Gunsten ausfiel.

»Wenn man nicht gut genug auf etwas aufpasst, läuft man immer in Gefahr, dass es abhanden kommt«, bemerkte Damian in einem Tonfall, als hätte er einen alten Freund zufällig auf der Straße getroffen. Aber irgendetwas sagte mir, dass gerade dieser Ton dafür sprach, dass Damian innerlich kochte.

Ich sah mich im Raum nach einer Art von Fluchtmöglichkeit um. Zwar könnten wir eine Chance gegen Mark haben, aber ich bezweifelte, dass er allein gekommen war.

Mein Blick wanderte zu der Verkäuferin, die immer noch im Raum stand, aber keinesfalls Angst zeigte. Ich biss die Zähne zusammen. Nun, dann wusste ich immerhin, wer uns an Mark verraten hatte.

Der hingegen musterte uns beinahe gelangweilt. »Ihr wart eine nette Beschäftigung in den letzten Tagen«, sagte er. »Aber ihr versteht sicherlich, dass dieses Katz-und-Maus-Spiel nun ein Ende haben wird. Ich habe noch wichtigere Dinge zu tun, als euch den ganzen Tag hinterher zu jagen.«

Ich konnte mir nicht vorstellen, was es Wichtigeres gab.

»Ihr habt nun also zwei Möglichkeiten«, fuhr Mark fort. »Ihr kommt mit mir, ohne Widerrede, ohne Kampf, ohne Fluchtversuch und wir verhalten uns alle wie zivilisierte Menschen ... oder ihr kommt unfreiwillig mit mir und wir sehen, was euch das bringen wird.«

Ich schnitt eine Grimasse und Damian war derjenige, der antwortete: »Diese Drohung hat das letzte Mal schon nicht funktioniert und nur dazu geführt, dass du uns mehrere Tage lang gesucht hast. Dieses Mal wird es nicht anders sein.«

Ich sah zu ihm. Wie konnte er ihn in dieser Situation noch provozieren?

»Aber ich habe euch gefunden«, antwortete Mark. »Und ich werde euch immer wieder finden, egal, wo ihr glaubt, euch verstecken zu können.«

Ich warf Damian einen Blick zu. Er kannte Mark seit Jahren und wusste um seine Schwachstellen. Sollte ich ihm vertrauen, dass seine Vorgehensweise die richtige war? Spontan entschied ich mich dafür.

»Gut gesagt«, meinte Damian. »Aus welchem Bond-Film hast du diesen Spruch?«

Und damit entschied ich mich, dass es vielleicht doch keine so gute Idee war, ihm zu vertrauen. Keine gute Idee, aber leider meine einzige.

Denn eine Fluchtmöglichkeit gab es nicht und ein offener Kampf war schon verloren, bevor er überhaupt begonnen hatte.

»Du solltest nicht so arrogant sein, Damian«, flüsterte Mark, aber es hatten sich tatsächlich kleine, wütende Flecken auf seinem Hals und seinem Gesicht breitgemacht. »Es hätte Konsequenzen, die dich wünschen lassen würden, du hättest diesen Aufstand nicht gemacht.«

Damian besaß die Nerven, ein Gähnen vorzutäuschen. »Heiße Luft, Mark.«

Am liebsten hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. Er schaufelte uns gerade sehr tiefe Gräber.

»Ich werde mir das nicht länger anhören«, sagte Mark tonlos. »Ihr hattet die Wahl. Für alles, was jetzt geschieht, seid ihr selbst verantwortlich.«

Ich presste die Lippen aufeinander. Hätte Damian nur etwas Zurückhaltung gezeigt.

Mark zog eine Pistole. »Und jetzt schön langsam.«

Damian streckte den Rücken durch und durchbohrte seinen ehemaligen Freund mit Blicken.

»Damian«, zischte ich. »Geh.«

»Ich tue nichts, was Mark von mir will«, flüsterte er durch zusammengebissene Zähne zurück. »Da muss er schon kommen und es sich holen.«

»Dann lieber mit einer Schusswunde in deinem Bein?«, spottete Mark. »Ich habe keinerlei Hemmungen, den Abzug zu drücken.«

Jetzt war ich diejenige, die Damian eine Hand auf den Rücken legte. »Komm schon. Du hast diesen Kampf verloren.« Er rührte sich nicht. »Das ist kein Aufgeben«, wisperte ich und hoffte, dass Mark mich nicht hören konnte. »Wir finden einen anderen Weg.«

Ich atmete einmal durch.

»Vertrau mir.«

Damian senkte den Kopf wie ein geschlagener Hund und für einen Moment wirkte er unendlich erschöpft. Dann straffte er die Schultern, mit dem fehlenden Hemd klar zu erkennen. »Gehen wir.«

Ich sah, was es ihn kostete. Etwas in mir wollte nach seiner Hand greifen, aber ich wusste nicht, ob ich es ertragen hätte, wenn er seine zurückgezogen hätte.

»Dann los«, kommandierte Mark, ein triumphierendes Grinsen auf dem Gesicht. »Wegrennen ist zwecklos. Ich kann schneller schießen als ihr laufen.«

Der Verkaufsraum, der mir beim ersten Betreten so glamourös erschienen war, erschien mir nun hohl. Etwa ein Dutzend von Marks Männern warteten bereits auf uns. Die Verkäuferin versteckte sich hinter ihnen. Wir wären auf diesem Weg niemals entkommen.

Vier von Marks Lakaien kamen auf uns zu, zwei mit Maschinengewehren, zwei mit Handschellen.

»Tu es nicht«, wisperte ich, als sich Damian anspannte. Wundersamerweise hörte er auf mich.

Zögernd streckte ich meine Hände nach vorne, Damian erst, nachdem er die anderen Männer mit einem tödlichen Blick bedacht hatte.

Diesen allerdings erwiderte Mark nur mit einem breiten Grinsen, das in mir den Drang auslöste, es gewaltsam aus seinem Gesicht zu wischen. Das Metall der Handschellen biss kalt in meine Handgelenke. Hoffentlich hatte ich Damian zu der richtigen Entscheidung überredet.

Die Lakaien führten uns zu mehreren schwarzen Luxuskarossen und ich konnte mir ein innerliches Seufzen nicht verkneifen. Hatte Mark eine Checkliste an Klischees, die er abarbeitete?

Ich beschwerte mich nicht über die unsanfte Behandlung, mit der ich auf den Rücksitz gestoßen wurde, ebenso wenig wie Damian, der sich auf stumme Drohungen verlegt zu haben schien. Eindruck konnte er damit jedoch nicht schinden.

Die Tür wurde zugeschlagen und einen Augenblick später setzte sich der Wagen lautlos in Bewegung.


The Mafia King and the Ice QueenWhere stories live. Discover now