Im Hörsaal angekommen, waren gerade mehrere Studenten am Streiten. Zumindest hörte sich das so an. "Was ist denn hier los?", fragte ich Stacy, nachdem ich mich wieder hingesetzt hatte. "Na ja, hier ist, kurz nachdem du rausgegangen bist, eine hitzige Diskussion über die Veränderung der Allelfrequenzen ausgebrochen. Schau dir mal den alten Griesgram da vorne an, der amüsiert sich gerade prächtig", kicherte Stacy. Das stimmt, Professor Werron sah sehr glücklich aus. Er schaute immer wieder zwischen den Studierenden hin und her und hatte ein Lächeln auf den Lippen. Wie konnte eine Diskussion zwischen meinen Kommilitonen ihn so sehr erheitern? Stacy sah meinen fragenden Blick und beugte sich wieder zu mir. "Ich glaube, er freut sich, weil wir so unser Interesse an dem Thema zeigen. Außerdem ist es doch immer lustig, einen Streit mit anzusehen", sie kicherte immer noch. "Was ist denn bitte an einem Streit lustig?", fragte ich verwirrt nach. Stacy sah wie ertappt aus und wendete ihren Blick ab. Ach Stacy. Jetzt war ich diejenige, die kicherte.

Die Diskussion darüber, ob nun größere oder kleinere Populationen mehr von Naturkatastrophen betroffen sind und wie sich deren Genpool dadurch verändern könnte, hielt bis zum Ende der Vorlesung an und ging selbst danach noch zwischen zwei Studenten weiter. Unser Professor schaute ihnen immer noch hoch entzückt hinterher, bevor er selbst seine Sachen zusammenpackte. Stacy und ich gingen fast als Letztes. Wir gingen gemeinsam in die Cafeteria, um noch etwas zu Mittag zu essen, bevor wir uns auf den Weg in die Stadt machten. Zum Glück war es heute nicht so voll, wir kamen also schnell dran und bekamen unser Essen. Sobald wir unsere Tabletts hatten, machten wir uns auf die Suche nach einem Tisch, dabei fiel mir eine Person ins Auge. "Stacy, schau, dahinten ist Finn. Lass uns zu ihm gehen. Ich hab ihn schon seit Wochen nicht mehr gesehen." Wir gingen zu ihm rüber und setzten uns mit an den Tisch. Finn sah überrascht nach oben. "Hey, ihr beiden", begrüßte er uns. "Wie geht es euch?"

"Also ich kann mich nicht beklagen, wir hatten gerade eine wunderbare Stunde bei Professor Werron. Du hättest das mal sehen sollen, da ist voll die große Diskussion ausgebrochen und Werron hat sich so beömmelt vor Lachen." Stacy war sofort in ihrem Element. Ich musste mir ein Lachen verkneifen als Stacy, auf Finns Nachfrage hin, ihm erklärte, worum es bei der Diskussion ging. Er sah absolut verwirrt aus und ich habe die Fragezeichen schon über seinem Kopf gesehen. Der Anblick war zum Totlachen. "Das freut mich, dass ihr beide gerade so viel Spaß an eurem Studium habt", lachte Finn. "Sag mal, wie steht es denn bei dir gerade so?", fragte ich ihn. Ich hatte das Gefühl, dass es etwas neben der Spur stand. "Ich schreibe bald meine Klausuren und ich weiß einfach mit mir nichts mehr anzufangen. Das letzte Mal, als ich mich so gefühlt habe, war ich noch in der dreizehnten Klasse und habe mich auf meine Abiturprüfungen vorbereitet." Stacy zog scharf die Luft ein. "Uh, deine Klausurphase hab ich total vergessen, dabei hattest du mit mir doch erst letztens darüber geschrieben."

"Alles gut, ich weiß einfach nur nicht, auf welches Thema ich mich vorbereiten soll." Jetzt funkte ich dazwischen. "Auf das, was ihr als Letztes in den Vorlesungen habt, oder haben deine Dozenten etwas anderes gesagt?"

"Unsere Professorin hat gesagt, es könnte alles dran kommen und na ja, jetzt bin ich überfordert." Stacy legte ihm besorgt die Hand auf den Arm. "Habt ihr denn schon viel gemacht? Du bist doch gerade erst im zweiten Semester." Finn zuckte mit den Schultern. "Hör mal, ich weiß, wir können dir da nicht viel weiterhelfen", Stacy sah mich dabei an und sprach weiter: "Aber Kylie und ich werden es trotzdem irgendwie versuchen, oder?" Ich nickte daraufhin, weil ich, durch die Gabel in meinem Mund, nicht in der Lage war zu reden. Schnell schluckte ich mein Essen runter und fügte hinzu: "Hast du schon jemand aus deinem Studiengang gefragt, ob ihr nicht auch zusammen lernen könnt?" Finn sah mich einen Moment lang überrascht an. "Daran habe ich ja gar nicht gedacht", gab er zu. "Das ist eine gute Idee, vielleicht kann mir einer von denen dann auch noch etwas erklären, was ich nicht verstehe."

"Schau mal, dann weißt du doch jetzt wie du das Lernen angehen kannst und glaub mir zu zweit oder dritt macht das Lernen gleich viel mehr Spaß." Stacy knuffte ihm dabei ein wenig in die Seite. Finn war manchmal schon etwas neben der Spur, insbesondere wenn er unter Stress steht.

Nach dem Mittagessen verabschiedeten wir uns von Finn. Er hatte jetzt noch eine Vorlesung. Stacy und ich machten uns auf den Weg zur S-Bahn Station, um in die Stadt zu fahren. Die Bahn war gerade erst weg, aber zum Glück kam sie alle 10 Minuten, somit dauerte es auch nicht lange, bis die nächste kam. Der Weg in die Stadt verlief ziemlich ruhig. In der Bahn war die meiste Zeit ein kleines Kind hinter uns am Schreien und Stacy schien das zu nerven. Ich wollte sie erst aufhalten, sich umzudrehen, da ich dachte, sie fängt jetzt einen Streit mit der Mutter des Kindes an, aber sie fing an, Grimassen zu ziehen. Das kleine Mädchen fand die Gesichter von Stacy auch noch so faszinierend, dass es in schallendes Gelächter verfiel. Das Lachen der Kleinen war so ansteckend, dass ich auch lachen musste. Als wir ausgestiegen waren, schaute ich Stacy an. "Ich dachte, die Situation in der Bahn würde eskalieren, aber das Kind hat dich ja richtig gemocht." Sie fing an zu lachen. "Ich mache nicht immer Ärger und das weißt du auch ganz genau." Das stimmt. Stacy mag es zwar, andere zu ärgern und sich in Streitigkeiten einzumischen, aber sie konnte auch vernünftig sein. Es musste nur der richtige Moment dazu kommen. Wir setzten uns gemeinsam in unser Lieblingscafé und bestellten. "Ich weiß, du magst das Thema gerade nicht so, aber ich muss dich das einfach fragen. Hast du dir schon einen Kopf darum gemacht, wie du es hinbekommen möchtest, mit Dain zu sprechen?"

"Ehrlich gesagt? Nein. Ich weiß nur, dass ich nicht einfach bei ihm im Weingut aufkreuzen möchte." Stacy murmelte ein "Verständlich" und lehrte sich in ihrem Stuhl weiter zurück. Sie schaute an die Decke und wirkte nachdenklich. Ich hatte es noch nie mitbekommen, wie sie sich so in ein Thema verschachtelt hatte, das nicht gerade mit ihr, ihrem Freund oder dem Studium zu tun hatte. Irgendwie rührte mich das. Mein Blick wanderte von ihr zum Fenster hin. Ich hatte extra einen Platz am Fenster ausgesucht, weil ich es so gemütlich fand. Zudem konnte ich so, wie jetzt, aus dem Fenster schauen, wenn wir uns gerade nicht unterhalten. Ein wenig später kam die Kellnerin mit unseren Getränken, wir bedanken uns und sie ging wieder. Nachdenklich nippte ich an meinem Kaffee. Stacy hatte recht, ich musste mir langsam einen Weg suchen, wie ich mit Dain reden konnte. Nur wie sollte ich es schaffen, ihn in seiner Freizeit zu erwischen, inzwischen ging er mir ja aus dem Weg. Ich stellte meine Tasse weg und Stacy wollte gerade ansetzen etwas zu sagen, da sah ich jemand mir Bekanntes im Augenwinkel. Ohne mich noch einmal zu vergewissern, sprang ich auf und rannte los. "Kylie?", rief mir Stacy verwirrt hinterher. Ich hatte aber keine Zeit, mich umzudrehen. Ich musste diese Chance gerade einfach nutzen.

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