Kapitel 27

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Sagen wir es mal so: Die letzten Tage waren nicht die besten meines Lebens geworden. Die wenige Zeit, in der ich James in der Schule sah, obwohl ich versuchte ihm aus dem Weg zu gehen, war gelinde gesagt nicht schön. Wir hatten seit der Nacht auf der Lichtung kein Wort mehr miteinander gesprochen, das nicht einen sofortigen Streit ausgelöst hatte. Und es war kein bisschen so toll und kitschig wie es eigentlich sein sollte, wenn sich Seelenverwandte verbanden.

Nein.

Es war eher das Gegenteil.

Jedes Mal, wenn ich ihn sah, fühlte es sich an wie Eissplitter, die mein Herz durchbohrten und mir in jeder Sekunde schmerzlich bewusst machten, was für einen schrecklichen Fehler ich begangen hatte. Ich fühlte jede Empfindung, die er spürte, was im Gegenzug wahrscheinlich genauso war. Aber trotz dessen, dass er den überwältigenden Schmerz der Ablehnung spürte, der mich zu zerreißen drohte, kam von ihm nichts als Ignoranz. Gelegentlich glaubte ich sogar so etwas wie Mitleid zu spüren, bis ich ihn ansah und wieder eine Welle Verachtung durch mich spülte. Ich war so naiv gewesen zu glauben, dass er, nur weil er sich so perfekt und so fürsorglich verhalten hatte, auch wirklich so war.

Jason machte die Situation auch nicht gerade besser. Er konnte mir nicht einmal in die Augen sehen, doch ich spürte ganz genau, wenn sich seine Blicke in meinen Rücken bohrten. Dass er sofort den Raum verließ, wenn ich eintrat, ließ mich auch nicht kalt. Manchmal tat seine Zurückweisung sogar noch mehr weh, als die von James.

Gleichzeitig löste er in mir eine Sehnsucht nach Liebe oder Zuneigung aus, dass ich fast verrückt wurde. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so sehr nach einer tröstenden Umarmung gesehnt, doch ich spürte nicht mal mehr seine Gefühle.

Seit ich mich mit James verbunden hatte, war die Verbindung zu Jason komplett abgebrochen. Ich konnte weder das beruhigende Gefühl seiner Präsenz noch irgendetwas anderes von ihm spüren.

Doch ich war mir nicht einmal sicher, ob ich seine Emotionen überhaupt ertragen könnte. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie sehr er mich hassen musste. Ich hatte ihm mit meiner Entscheidung die Zukunft mit einer Seelenverwandten geraubt.

Klar, konnte er theoretisch mit jeder anderen zusammen sein, aber es würde nie dasselbe sein.
Ich konnte mir zwar vorgaukeln, dass ich verstand wie schmerzhaft es war, aber in Wirklichkeit hatte ich keine Ahnung. Immerhin konnte ich noch irgendetwas fühlen und hatte jemanden, dessen Präsenz ich jederzeit und überall spürte und die mir Kraft geben konnte. Selbst wenn James nichts für mich empfand oder er nicht derjenige war, den ich an meiner Seite wissen wollte, war es dennoch beruhigend zu wissen, dass da überhaupt jemand war, mag es sich auch noch so absurd anhören. Außerdem hatte ich jetzt wieder meine Eltern und meine beste Freundin, die sich endlich wieder an mich erinnern konnten.

Jason hatte niemanden, den er fühlen konnte oder mit dem er reden konnte. Er war ganz allein. Seine Eltern waren auf Geschäftsreise und selbst wenn sie da gewesen wären, dann würden sie ihm nicht zuhören. Von seinem Bruder ganz zu Schweigen.

Jetzt während ich so dasaß und aus dem Fenster meines Zimmers starrte, und so darüber nachdachte konnte ich mich eigentlich glücklich schätzen. Ich hatte zwar keinen Seelenverwandten, der mich liebte, aber ich hatte eine Familie. Es war fast so als wäre das alles nie passiert. Der einzige Unterschied war, dass ich diese Leere in mir fühlte. Lia und ich hatten uns längst ausgesprochen und ich hatte ihr alles erzählt. Jedoch hatte ich die Sache mit den Seelenverwandten ausgelassen, aber wie immer war sie viel zu sehr an meinem nicht vorhandenen Liebesleben interessiert und regte sich genauso sehr über James auf wie ich. Es tat gut mit jemandem zu sprechen, auch wenn es meine Fehler nicht wieder gut machen konnte.

Sebastian war ich bisher aus dem Weg gegangen. Ich war mir ziemlich sicher, dass er bemerkt hatte, dass es nicht ganz so gelaufen war, wie er es sich für mich gewünscht hatte. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis ich ihm die Wahrheit erzählen musste. Denn im Gegensatz zu dem, was ich Lia erzählt hatte, gab es kein Zurück. Auch wenn ich wünschte, es wäre anders.

Verschwunden und VergessenWhere stories live. Discover now