Kapitel 2

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Nach Luft japsend fuhr ich aus meinem Bett hoch. Panisch blickte ich mich um, auf der Suche nach den Schatten, die mich gejagt hatten, der Stimme dieses unbekannten Mannes und dem Jungen, der furchtbare Angst vor ihm hatte.

Was war das gewesen?

Für einen Traum war es viel zu real. Hatte sich viel zu echt angefühlt.

Noch immer raste mein Herz, während ich in Gedanken bei den wundervollen, meeresblauen Augen war, die mir entgegengestarrt hatten. Zu wem sie wohl gehörten?

Doch warum waren sie so ängstlich gewesen? Was war dem Jungen widerfahren?

Ich wollte es wissen. Und aus irgendeinem unerklärlichen Grund wollte ich ihn kennenlernen, mehr über ihn erfahren. Dieses markante Gesicht löste eine mir unbekannte Sehnsucht aus, die meinem Körper zu schrie bei ihm sein zu wollen. Seine Hände auf meinem Körper zu fühlen. Seinen Atem in meinem Nacken...was dachte ich da?

Ich fuhr mir seufzend durch meine brustlangen, blonden Haare.

„Beruhig dich, Lucy. Es war nur ein Traum", sprach ich wie sooft zu mir selbst. Eine Angewohnheit, die ich einfach nicht ablegen konnte.

Ich wunderte mich aber über mich selbst. Über die Reaktion auf einen einfachen Albtraum. Auf einen Jungen, der mir fremd war.

Warum beschäftigte er mich dann so?

Normalerweise interessierten mich Jungs nicht. Ich hatte noch nie einen Freund oder etwas dergleichen gehabt, so als würde mein Körper auf den richtigen Typen warten, der mich dann mein Leben lang begleiten würde.

Ein Schmunzeln huschte über mein Gesicht und ich schüttelte den Kopf zu diesem merkwürdigen Gedanken.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich noch genügend Zeit zum Duschen hatte, bevor ich zur Schule musste.

Während das eiskalte Wasser auf mein Gesicht niederprasselte, schweiften meine Gedanken wieder zu den verängstigten, blauen Augen aus meinem Traum.

Wieso träumte ich von einem Jungen, den ich nicht kannte?

Aber auch andere Fragen beschäftigten mich: Warum fürchtete er diesen Raum? Was war in ihm passiert? Was hatte der Mann, dem diese Stimme gehörte, die ihm die ganzen Vorwürfe gemacht hatte, ihm angetan? Warum sagte er, dass er es nicht wert war am Leben zu sein? Und vor allem was beinhalteten diese sogenannten „Lektionen" von dem Mann?

Denn eines war klar: dieser Traum war auf irgendeine verdrehte Art und Weise nicht mein eigener gewesen. Ich war zwar in dem Körper dieses Jungen und war hautnah dabei gewesen, aber es war weder mein Traum, noch meine Erinnerung. Auch die Stimme kam mir nicht bekannt vor, sowie die Angst nicht meine war.

Schwermütig drehte ich das Wasser ab und wickelte mein Handtuch um mich. Ich stieg aus der Dusche und stellte mich vor den beschlagenen Spiegel. Kurz wischte ich mit der Hand darüber, damit ich etwas erkennen konnte und zuckte sogleich zurück.

Meeresblaue Augen statt meinen starrten mich an.

Doch nach einem kurzen Blinzeln sah mich wieder mein vertrautes Grün an. Mein Herz raste und mein Atem ging stoßweise. Das konnte nicht sein. Hatte ich jetzt wirklich schon Wahnvorstellungen?

Kurz schüttelte ich den Kopf um die Gedanken zu vertreiben und begann mich fertig zu machen. Allerdings ohne noch einen weiteren Blick in den Spiegel zu werfen.

Als ich schließlich die Treppe hinunter ging, roch ich schon von weitem den Duft des frischen Toastes. Dem Geruch folgend landete ich in der Küche, wo mein zwei Jahre älterer Bruder sich Marmelade auf sein Brot schmierte.

Für mich war das ein Verbrechen. Toastbrot aß man meiner Meinung nach mit nichts anderem als Nutella. Wohlbemerkt ohne Butter.

„Morgen", brummte er zur Begrüßung.

„Morgen. Wo sind Mum und Dad?", fragte ich ihn, während ich mich selbst daran machte mir Brot zu toasten.

„Schlafen noch", war das Einzige was er erwiderte.

Ich nickte zum Zeichen, dass ich es verstanden hatte, bevor ich mich damit widmete mein Toast zu beschmieren.

„Wir fahren bald, also beeil dich."

Ach ja, ich musste noch in die Schule. Noch zwei lange Jahre standen mir in ihr bevor, während mein Bruder das Glück hatte schon in der 12. zu sein uns bald seinen Abschluss machte.

Fertig mit dem Frühstück ging ich wieder nach oben und packte meine Sachen für den heutigen Tag.

Da es der erste Schultag nach den Sommerferien war, war es dementsprechend warm draußen. Die erfrischende Fahrtluft blies mir entgegen und kühlte meine erhitzte Haut, als ich hinter Sebastian auf seinem Motorrad saß und wir zur Schule fuhren.

Dort angekommen wurde ich auch schon gleich von meiner besten Freundin Lia begrüßt, die mich stürmisch umarmte.

„Guten Morgen! Ich habe tolle Neuigkeiten für dich. Wir haben einen Neuen. Und eins kann ich dir sagen: er sieht total heiß aus. Mindestens die Hälfte der Schülerinnen macht sich schon an ihn ran", informierte sie mich direkt über die wichtigsten Fakten.

Und so war sie schon immer. Sie brachte andere mit ihrem Lächeln dazu sich sofort wohlzufühlen und ihre offene Art sorgte dafür, dass sie auch außerhalb der Schule viele Freunde hatte.

Insgeheim war ich deswegen immer ein bisschen neidisch gewesen, aber ich konnte mich glücklich schätzen sie zu haben.

Ich schaffte es nur noch Sebastian kurz zuzuwinken, bevor Lia mich mit sich in das riesige Schulgebäude zog.

„Was meinst du: ist der neue eher ein Playboy oder ist er an ernsthaften Beziehungen interessiert?" Sie warf ihre langen, roten Locken über ihre Schulter, die sie direkt sympathisch machten und drehte ihren Kopf zu mir.

„Also wenn schon die Hälfte der Schülerinnen ein Auge auf ihn geworfen hat, dann schätze ich eher ersteres. Aber wahrscheinlich sind unter ihnen eh nur die Schlampen", antwortete ich.

„Hast Recht. Die ersten die bei ihm waren, waren – was ein Wunder – Chantal, Amber und Jessica." Sie zuckte mit ihren Schultern. „Aber das muss nichts bedeuten. Es kann auch sein, dass er ganz nett ist. Und wer weiß? Vielleicht werdet ihr irgendwann ein Paar."

Kopfschüttelnd murmelte ich: „Wer's glaubt."

Im Klassenzimmer angekommen setzten wir uns auf unsere Plätze. Wohlgemerkt möglichst weit hinten. Der Raum war schon relativ voll und immer mehr Schüler kamen durch die Tür herein.

Unwillkürlich hielt ich unter ihnen nach den schwarzen Haaren des Jungen Ausschau. Doch sobald ich mich aber dabei erwischte versuchte ich diesen Gedanken schnell zu verwerfen und mich abzulenken.

„Was hast du eigentlich-", wollte ich fragen wurde aber von dem Lehrer unterbrochen, der seine Tasche auf das Lehrerpult knallte, um die Aufmerksamkeit seiner Schüler zu erhalten.

Doch nicht ihm schenkte ich meine Beachtung. Ich hatte nur Augen für den Jungen neben ihm, der mich mit angespanntem Gesicht fixierte.

Alles stimmte überein. Die dunklen Haare, das markante Gesicht und die unverwechselbaren meeresblauen Augen, die ich selbst aus der Ferne erkennen konnte.

Er war es zu hundert Prozent.

Der Junge aus meinem Traum.

Verschwunden und VergessenWhere stories live. Discover now