Kapitel 19

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Heute fühlte ich mich tatsächlich etwas besser und lief beinahe fröhlich die Stufen zur Schule hinauf. Da ich nun endlich logische Erklärungen für die seltsamen Vorfälle in den letzten Tagen gefunden hatte, war das schwere Gewicht auf meiner Brust ein klein wenig leichter geworden. Das Einzige, was mir an diesem Morgen Sorgen bereitete war, dass Lia noch nicht angestürmt gekommen war, um mich nach meinem Shoppingausflug zu fragen. Ich zuckte mit den Schultern. Vielleicht war sie einfach noch nicht hier. Es kam zwar selten bis nie vor, Lia nicht früher als mich in der Schule zu sehen, doch auch sie konnte an ein paar wenigen Tagen im Jahr mal verschlafen. Denn krank konnte sie nicht sein. Sie sagte mir immer als erstes Bescheid und ein weiterer Blick auf mein Handy bestätigten mir, dass sie mir keine Nachricht geschickt hatte.

Ich beschloss schon mal vor ins Klassenzimmer zu gehen, um dort auf sie zu warten. Auf dem Weg dorthin schaffte ich es tatsächlich allen Leuten auszuweichen, bevor sie mich anrempeln konnten. Ich musste mich wirklich zurückhalten um mir vor einem lächerlichen Stolz, nicht auf die Schulter zu klopfen.

Es sind alles nur Zufälle, sagte ich mir selbst in Gedanken, doch ein Gefühl tief in meinem Inneren ließ mich nur schnaubend den Kopf schütteln. Wie aus dem nichts verstärkte sich das Gefühl und vertrieb all die guten Dinge aus meinem Kopf. Egal wie sehr ich mir einredete, es seien nur Zufälle, glaubte ich es langsam selber nicht mehr. Doch wie ein Mantra wiederholte ich diesen Satz in der Hoffnung, irgendwann wirklich davon überzeugt zu sein.

Die Flure um mich herum schienen immer näher zu kommen, deshalb war ich froh, als ich endlich mein Klassenzimmer erreichte. Tief atmete ich durch, trat durch die Tür und erstarrte.

Was zum Teufel?

Lia saß ganz selbstverständlich an Chantals Tisch und plauderte mit ihr. Ich blinzelte. Das konnte doch nicht wahr sein! Hatte ich jetzt auch noch Halluzinationen? Doch egal wie sehr ich mir in den Arm kniff oder meine Augen rieb, das Bild blieb dasselbe. Lia die lachend und wild gestikulierend mit Chantal an einem Tisch saß. Wenn mich nicht alles täuschte hatte sie sogar Lachtränen in den Augenwinkeln. Und auch Chantal saß neben ihr, als wäre es völlig normal und sie würden es jeden Tag tun.

Ich meine klar hatte ich Lia erzählt, was Chantal mir gesagt hatte und dass ich am Überlegen war, ihr zu verzeihen. Doch dieser Anblick jagte Dolche in meine Brust. Es war nicht so, als würde ich Lia verbieten sich mit anderen anzufreunden oder gar mit ihnen zur reden. Aber es fühlte sich schon an wie ein Verrat mitten in mein Herz. Chantal hatte mir in der Toilette vieles angetan, was ich immer noch nicht richtig verarbeiten konnte. Ich konnte ihr das nicht so schnell verzeihen und hatte erwartet, dass Lis es auch nicht tat. Aber da habe ich wohl falsch gelegen.

Vielleicht ist es nicht so wie es aussieht, versuchte ich mich zu beruhigen, doch ich konnte nicht verhindern, dass eine Träne meine Wange hinunterrollte. Schnell wischte ich sie weg und ging auf Lia zu. Ich würde das jetzt wie ein vernünftiger Mensch klären und nicht wieder wegrennen, nur damit noch viel mehr Missverständnisse entstanden, was das Ganze hoffentlich war.

Noch im Gehen drehte Lia sich zu mir um, bevor sie erstaunt die Augenbraue hob. Sie beugte sich vor, um etwas in Chantals ihr zu flüstern. Ich war noch ein paar Meter entfernt und trotzdem verstand ich jedes einzelne Wort.

„Ich wusste gar nicht, dass wir eine Neue haben."

Was?!

Nein, nein, nein, nein, nein! Das konnte doch jetzt nicht wahr sein. Nicht sie. Nicht sie auch noch. Alle nur nicht sie. Sie, die immer da war, wenn es mir schlecht ging und mich durch die schwierigsten Zeiten begleitete. Sie, die mich immer zum Lachen brachte und mich immer wieder aufbaute. Nicht mein Fels in der Brandung.

Verschwunden und VergessenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt