Kapitel 5

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Es ist Dienstag Vormittag. Zwei Stunden sitze ich schon im Unterricht und jetzt gerade haben wir noch einmal magische Tierwesen. Drachen sind meiner Meinung nach sehr interessant. Vor allem sollen sie noch irgendwo da draußen sein, Schätze horten und Vieh jagen.
,,Europäische Drachen, unter dem lateinischen Namen 'Draco occidentalis magnus' sind vor allem bekannt wegen ihrer Fähigkeit, Feuer zu speien und der Vorliebe für Schätze. Diese Drachen kommen heute nur noch in wenigen abgelegenen Regionen vor. Sie sind sehr sprachbegabt und häuten sich etwa alle drei Jahre“, erzählt die Lehrerin. ,,Schaut nun bitte im Buch nach. Kapitel ||, Seite 50. Findet einige Informationen über den Europäischen Drachen. 15 Minuten Stillarbeit, danach vergleichen und ergänzen wir.“ Ein Schülerpaar aus der letzten Reihe meldet sich. Ich kenne sie aus anderen Fächern. Es sind Sirenen und heißen Divina und Kent. Die Lehrerin sieht sie und rollt mit den Augen. In jedem Fach fragen die beiden, ob man auch leise in Partnerarbeit arbeiten darf. ,,Wisst ihr was: Solange ihr es leise macht, dürft ihr das auch in Partnerarbeit machen.“ ,,Von hinten hört man ein leises "ja!" und auch andere Schülerpaare werfen sich freudige Blicke zu. Ich schaue hoffnungsvoll zu Wednesday, aber sie hat sich hinter ihrem Buch versteckt und schreibt hin und wieder Stichpunkte in ihren Block. Ich mache es ihr gleich. Am Ende habe ich folgende Informationen gesammelt:
Unterschlupf: Abgelegene Berg- oder Meereshöhlen.
Maße: 15m lang; 4,3 bis 5,5m hoch.
Färbung: Rot, grün, schwarz, mitunter golden.
Angriffstechniken: Mit Flammen, Schwanz, Krallen, Hörnern.
Nahrung: Rinder, Schafe, selten Menschen.

Die Stunde ist schnell vorbei und in der Pause sitze ich allein in einer Ecke. Dieses hübsche, selbstständige und interessante Mädchen geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Und das schlimmste daran ist, ich nenne unbewusst 'hübsch'! Was ist nur los mit mir? Ich werde sie schon nicht lieben oder so etwas. Ich kenne sie nicht einmal. Vielleicht nenne ich sie ja so, weil sie es nunmal ist. Hübsch. Und das lässt sich nicht bestreiten.

Verwirrt wegen meiner Gedanken mache ich mich in den nächsten Unterricht: Kunst. Dies gehört auf jeden Fall zu meinen Lieblingsfächern. Ich muss nicht denken, darf Musik hören und das tun, was ich am besten kann: leise sein und zeichnen.
Es scheint, als dauert die Doppelstunde ewig, aber das ist auch gut so. Am Ende habe ich ein fertiges Portrait und als ich es abgebe, ist die Lehrkraft sehr beeindruckt.
Im letzten Fach für heute, Mathe, kommt mir ein Gedanke: Wenn ich Wednesday kennenlernen will, muss ich das auch tun! Ich könnte mich mit ihr beschäftigen, irgendwie. Vielleicht gehen wir ja mal spazieren oder machen zusammen die Hausaufgaben. Irgendetwas, wobei wir uns unterhalten könnten! Ja!

Nach dem Schultag treffe ich Wednesday im Zimmer an. ,,Wednesday?“ Sie dreht sich von ihrem Schreibtisch zu mir um. ,,K-können wir die Hausaufgaben zusammen machen?“ Sie antwortet erstaunlich schnell. ,,Ich bevorzuge es, einsam zu sein und meine Ruhe zu haben.“ Sie redet so gebildet! ,,Ja.. ja, natürlich. Ich dachte nur, ich bin dir vielleicht auf den falschen Fuß getreten und wollte... das wieder gutmachen... Ach egal.“
Es ist eine verrückte Angewohnheit von mir, aber meine Hausaufgaben mache ich traditionell auf dem Boden. So auch jetzt. Ich überlege kurz, aber dann kann ich die Mathematische Gleichung lösen und- Ein Rascheln lässt mich aufschauen. Wednesday packt ihren Block, einen Stift und ihr Mathebuch und setzt sich zu mir. Sie wirft mir einen Blick zu, der heißen könnte "kein Wort oder ich verfolge dich in deinen Träumen". Aber ich kann nur erfreut lächeln. Wednesday löst ihre Aufgaben.
,,Du bist mir übrigends nie auf einen Fuß getreten.“ sagt sie dann plötzlich. ,,Was? Achso. Das ist eine Redewendung, dass ich etwas falsch gemacht habe.“ ,,Das hast du auch nie gemacht. Wie kommst du darauf?“ ,,Naja, nachdem ich deine Aktion vom letzten Jahr gelobt habe, haben wir kein Wort miteinander gewechselt und am Anfang war ich in der falschen Zimmerhälfte und wir haben uns immer gegenseitig ignoriert, also...“ Wednesday schweigt. Während sie die nächste Aufgabe aufschreibt, schaue ich sie erwartungsvoll an. ,,Ich habe dich nie ignoriert und das mit dem Schweigen ist meine Art.“ ,,Heute hatten wir die Chance auf eine Partnerarbeit...“ ,,Ich arbeite lieber allein. Für mich. Nichts persöliches.“ ,,Verstehe. Und wieso spreche ich das überhaupt an, ich meine: Wir kennen uns kaum und das hier ist die längste Unterhaltung die wir je geführt haben...“ ,,Lass uns die Aufgaben zusammen lösen und dann gemeinsam weiter über Drachen lernen.“ Hat sie mich gerade eingeladen, etwas mit ihr zu machen? Großartig! ,,Gerne!“
Zusammen sind die Hausaufgaben schnell fertig und wir finden gemeinsam noch mehr Informationen über den Europäischen Drachen. Wahrscheinlich nehmen wir nächste Woche den Knucker, einen Drachen, der auch in Europa heimisch ist. Der Knucker, latein Draco troglodytes, hat vier Beine und Stummelflügel. Ich bin gespannt, was wir über diesen Drachen nächste Woche lernen werden.

"I see black" - Wednesday × fem. ReaderWhere stories live. Discover now