Kapitel 8

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Ich blieb den ganzen Tag in meinem Zimmer. Ich hatte die Tür verschlossen und da auch Fynn die ganze Nacht als Wolf unterwegs war, störte er mich nicht. Es war schon wieder dunkel, als mir einfiel, dass meine Klamotten vom Vortrag ja noch im Wald rumlagen. Ich stöhnte auf. In meinem Rucksack war auch noch mein Handy. Ich stieß einen knurrenden Laut aus. Ich würde die Sachen morgen vor meiner Schicht im Café aus dem hohlen Baumstamm holen müssen.

Am nächsten Morgen schnappte ich mir in der Küche ein Brötchen für den Weg, nachdem ich mich geduscht und eine Jeans-Shorts samt T-Shirt in den Tiefen meiner Kisten gefunden hatte. Ich fand meinen iPod auf der Anrichte im Flur und..
„Fynn? Ich leihe mir mal deine Kopfhörer!- Ja ok!- Danke!", flüsterte ich zu mir selbst, setzte die Sonnenbrille auf und schloss die Tür hinter mir.
Während die Rolling Stones mit Sympathy for the Devil in den Ohren dröhnte, machte ich mich auf den Weg in den Wald, um meinen Rucksack zu suchen. Peinlich darauf bedacht, niemandem im Dorf über den Weg zu laufen, ganz besonders nicht William. Ich brauchte ewig für den Weg. Aus unerfindlichen Gründen, hatte ich wunderbare Laune und tanzte regelrecht die Strecke entlang zu meinem Rucksack-Versteck. Ich fand den hohlen Baumstamm, doch als ich hineingriff fühlte ich nur altes Laub und kleine Äste. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich drehte mich in alle Richtungen um, doch ich konnte meinen Rucksack nirgends entdecken. Wahrscheinlich hatte sich ein Waschbär daran zu schaffen gemacht, die sind doch recht geschickt, oder? Zweifel keimten mir auf. Wäre es ein Waschbär gewesen, hätte er den Rucksack an Ort und Stelle auseinander genommen. Aber nicht die ganze Tasche verschleppt. Super, für ein neues Handy hatte ich momentan kein Geld. Aber völlig unerreichbar zu sein, war auch keine Option. Nicht, dass ich sonderlich viele Kontakte hatte. Aber ich musste zumindest für Eleanor erreichbar sein, falls sich Änderungen in dem Schichtplan ergaben. Ich zog die Augenbrauen zusammen und ärgerte mich über mich selbst. Ich würde wohl oder übel ein gebrauchtes Handy auftreiben müssen.

Da ich heute erst eine späte Schicht im Café hatte, konnte ich vorher noch den kleinen Technikladen im Ort aufsuchen. Der Laden befand sich etwas abseits und sah aus, als sei er entweder gänzlich geschlossen oder würde nebenbei auch andere Geschäfte betreiben. Meine Vermutung bestätigte sich, als ich den Laden betrat und mir eine Wolke Marihuana-Geruch entgegenschlug. Ich hüstelte leicht und im hinteren Teil des Ladens erklang eine heisere Männerstimme: „Jo, komme gleich!"
Ich wartete und sah mich in dem kleinen Geschäft um. Es standen überwiegend alte Modelle im Ausstellungsbereich, aber das würde reichen. Ich musste nur telefonieren und SMS schreiben können. Dina würde mich also mangels WhatsApp-Funktion nicht mehr erreichen können. Sie gehörte schon zu der Generation, die nicht mehr telefonieren konnte. Ich verdrehte bei dem Gedanken die Augen. Mein Bruder war genauso hilflos, aber dafür würde er WhatsApp auch nie fälschlicherweise als „Funktion eines Handys" bezeichnen.
„Was darfs'n sein? Oh, wow..." Hinter den Tresen war ein junger Mann getreten. Im stand ein dümmliches Grinsen im Gesicht, als er seinen Blick über meinen Körper wandern ließ. Ich schnalzte mit der Zunge.
„Ich brauche ein Handy mit Prepaid-Karte. Das günstigste bitte." fügte ich hinzu und wartete auf eine Reaktion.
„Baby, da hab ich was für dich", nuschelte er und machte Anstalten einen Karton herauszusuchen. Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Ich hasste es, „Baby" genannt zu werden. Ich bin schließlich kein hilfloses Kleinkind. Zugegeben, als Kosenamen würde ich es wohl aushalten, wenn ich dabei über einen Tisch gebeugt und fest..
„Hier isses", unterbrach der Kiffer-Verkäufer meine unanständigen Gedanken. Schnell griff ich in meine Hosentasche und kramte 50 Dollar heraus.
„Danke", murmelte ich und machte mich eilig auf den Weg zu Eleanor. Diese Luft in dem Elektrik-Laden vernebelte nur meine Vernunft.

Die Schicht im „Blue Inn" verlief die ersten beiden Stunden ereignislos. Viele holten sich einen Coffee to go oder nahmen sich Kuchen mit nach Hause. Eine Gruppe Frauen saß in in der Tischgruppe am Fenster und unterhielt sich angeregt über irgendwelchen Klatsch. Ich erkannte die Mutter von Jace und Serena, die Frau in meinem Alter, mit der William am Freitag getanzt hatte. Am Tisch direkt am Tresen saßen drei junge Mädchen aus dem Ort und kicherten, wie die vergangenen Tage auch, über alles und jeden. Doch als ein gut aussehender junger Mann das Café betrat, verstummten sie alle und schauten gebannt auf den sportlichen Körper, der sich an den Tresen stellte und mir ein unwiderstehliches Lächeln zuwarf. Mir wehte sein Geruch entgegen, er war definitiv menschlich. Aber ein kleiner Flirt hat schließlich noch nie geschadet.  Ich musste dringend auf andere Gedanken kommen. Ich warf mein Haar zurück und erwiderte sein Lächeln.
„Hi, was darf es für dich sein?", fragte ich ihn und blickte ihm direkt in die Augen. Er stütze sich mit einem kräftigen Arm auf dem Tresen ab und die Muskeln traten deutlich unter dem T-Shirt hervor. Er beobachte meinen musternden Blick und grinste mich jetzt offen an.
„Einen Kaffee mit Milch und zwei Stück Zucker. Zum Mitnehmen, bitte", gab er zurück. „Obwohl du ja süß genug bist." Er zwinkerte mir zu.
Ich musste meinem Impuls widerstehen, nicht so zu tun, als müsste ich mich übergeben.
„Das kann doch nicht dein Ernst sein. Glaubst du wirklich, das ist ein erfolgreicher Anmachspruch?", lachte ich ein falsch und drehte mich zur Kaffeemaschine, um seine Bestellung zuzubereiten. Irgendwie machte mir der Flirt keinen Spaß. Der fremde Schönling lachte.
„Ich geb's zu. Das ist nicht mein Bester. Aber was würdest du mir denn empfehlen?", fragte er zurück.
„Ich empfehle dir einen Abgang!", knurrte plötzlich eine Stimme.
Ich fuhr herum und sah, wie William sich neben dem Fremden aufgebaut hatte. Ich räusperte mich und verschloss den Kaffeebecher.
„Was ist dein Problem?", fragte der Fremde und an mich gewandt: „Ist das dein Freund?"
Ich schüttelte schnell den Kopf. „Definitiv nicht."
Williams Augen blitzen wütend auf. Ich verzog das Gesicht und warf William einen verärgerten Blick zu.
„Lass sie einfach in Ruhe und halt dich in Zukunft fern." Williams Stimme war tief und hart. Das war eindeutig keine Bitte, sondern ein Befehl.
Der Fremde schien die Anspannung jedoch nicht zu bemerken. Ich spürte, wie William langsam, aber sicher begann vor Wut zu zittern. Der spinnt doch. So ein Alpha-Macho-Gehabe hat mir gerade noch gefehlt. Ich wusste, dass William hier nicht die Beherrschung verlieren konnte und würde. Also zeigte ich dem Fremden mein liebstes Lächeln und schob ihm den Kaffee rüber.
„Hier, der geht auf mich. Bis nächstes Mal! Und dann erwarte ich einen originellen Spruch!" Diesmal zwinkerte ich ihm zu und ohne William eines Blickes zu würdigen, verließ ich den Tresen in Richtung Umkleide mit rasendem Herzen.
Ich wusste, dass der Flirt mit dem Menschen ein riskantes Manöver war. Aber dieses territoriale Verhalten von William brachte mich einfach zur Weißglut. Als wäre jede Wölfin im Rudel sein Eigentum.

Ich erwartete, dass William wütend in den Umkleideraum stürmen würde und eine Entschuldigung oder eine Unterwerfung fordern würde. Doch zu meiner Überraschung kam er mit einem breiten Grinsen im Gesicht hinter mir her. Es war das erste Mal, dass er mich so ansah. Sonst war er immer ernst, aber jetzt lag ein schiefes Grinsen auf seinem Gesicht, das mir ein freudiges Ziehen im Unterleib bescherte. Er klatschte in die Hände und applaudierte mir. Ein kurzer Moment der Unsicherheit überkam mich.
„Netter Versuch, June.", lachte er und schüttelte den Kopf. „Denkst du wirklich, ich mache es dir so leicht?" Wie bitte?!
„Mir leicht machen?", krächzte ich.
„Indem ich mich aufführe wie ein rückständiger Höhlenmensch. Eifersucht ist nur war für Leute ohne Selbstvertrauen. Da braucht es schon etwas mehr, als einen halbwegs gut aussehenden Idioten.", witzelte er und kam ein paar Schritte auf mich zu.
Automatisch wich ich zurück und war im Begriff den Kopf zu senken. Mein Herz schlug schneller und ich verfluchte es dafür. Ein schiefes Grinsen bildete sich auf Williams Gesicht und er legte den Kopf schief. Dann kam er weiter auf mich zu, bis ich mit dem Rücken gegen einen der Spinde stieß. Ich wagte, kaum Luft zu holen. Mein Atem war flach und meine Brust hob und senkte sich in schnellem Takt. Langsam stütze William sich mit beiden Armen links und rechts neben meinem Kopf ab.
„Ich werde es dir so schwer wie möglich machen. Du wirst zu mir kommen und dann kannst du nicht mehr weglaufen, Baby." flüsterte er mit rauer Stimme an meinem Ohr. Sein Atem strich warm und leicht über die nackte Haut meines Halses und verursachte eine Gänsehaut. Meine innere Wölfin heulte, wollte ihn an sich reißen und sich hier an Ort und Stelle von ihm nehmen lassen. Mein Herz raste und mein Atmen ging stoßweise, aber William kam nicht näher. Er harrte für wenige Sekunden in dieser Position aus und zog sich schließlich einfach zurück. Wie konnte er nur so gefasst reagieren?
An der Tür blieb er kurz stehen: „Du und ich gehen essen. Freitagabend."
Meine Gedanken überschlugen sich. Zwischen dem Versuch meinen Herzschlag und Atem wieder unter Kontrolle zu bringen und zu begreifen, was William gerade gesagt hatte, brachte ich mühsam hervor: „Was? Nein! Niemals!"
Ich schüttelte den Kopf und ärgerte mich über meine Reaktion und die Gesamtsituation. Ich war überfordert. Dieses Mal führte die Tatsache, dass William mich Baby nannte, nicht zu einem Brechreiz - ich war angeturnt. William runzelte die Stirn.
„Wie, nein?" fragte er vorwurfsvoll. Langsam hatte ich meine Gefühle wieder im Griff und konnte einen klaren Gedanken fassen:
„Nein wie Nope. Nada. Niente."
Ich schüttelte mich demonstrativ bei dem Gedanken. William setzte schon zu einem Konter an, als die Klingel am Tresen mich aus der Situation rettete.
„Ich muss wieder nach vorne.", stellte ich fest. Ich warf ihm noch einen Blick zu - er stand siegessicher und mit verschränkten Armen an einen der Umkleidespinde gelehnt. Ärgerlich schüttelte ich den Kopf. Die Klingel ertönte erneut, dieses Mal aggressiver. Ich stöhnte noch einmal auf und machte mich wieder an die Arbeit.

Grey on GoldWhere stories live. Discover now