Kapitel 7

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Ich ging immer weiter in das Unterholz hinein und hatte zusehend Schwierigkeiten in meiner menschlichen Gestalt im Dickicht voranzukommen. Ich war bestimmt schon eine Stunde gelaufen. Ich blickte nach oben in den Himmel und wartete, dass sich die Wolken zur Seite schoben, um in den vollen Genuss einer Luna-Verwandlung zu kommen. Die Verwandlung an Vollmond war besonders. Die Stärke des Mondes war in allen Gliedern und jedem Muskel zu spüren. Ich zog meine Kleidung vollständig aus, steckte sie in meinen Rucksack und legte diesen in einen alten hohlen Baumstamm. Dann trat der Mond hinter der Wolke hervor und fiel auf meinen Körper.
Meine Kopfhaut begann zu kribbeln und meine Gelenke dehnten sich. Knochen brachen und fügten sich neu zusammen, meine Haare wurden länger und fingen an meinen gesamten Körper zu bedecken. Mein Gesicht zog sich in die Länge und meine Zähne wurden zu scharfen Reißzähnen. Ich landete auf allen vieren und streckte mich in meinem neuen Körper. Dann leckte ich mir einmal die Schnauze und rannte los. Meine innere Wölfin heulte vor Glück. Ich spürte Macht und Freiheit. Meine Wölfin hatte dichtes, fast weißes Fell und meine eisgrauen Augen. Meine Muskeln waren dankbar, wieder in ihrer bevorzugten Gestalt zu arbeiten und ich lief kilometerweit einfach durch die Wälder. Als ich auf einer kleinen Lichtung ankam, gönnte ich mir eine kurze Pause und horchte in den Wald hinein. Nachts war es ganz still, doch hier und da hörte man vereinzelt ein Heulen. Ich versuchte ein Geheul zu erkennen, aber es waren zu viele neue, unbekannte Stimmen in dem Rudel, die ich nicht zuordnen konnte. Ich streckte mich nochmal und rieb mein Gesicht an dem Boden. Das Gras war weich und so rieb ich mich der Länge nach auf dem Boden, bis ich mich schließlich auf dem Rücken wälzte und so nach oben in den Himmel schaute. Das Mondlicht fiel auf meinen Bauch und in diesem Moment konnte ich nicht glücklicher sein.

Als ich ein Knacken links von der Lichtung hörte, drehte ich mich auf meine Läufe zurück und stellt die Ohren auf. Mist. Es hatte sich jemand entgegen der Windrichtung genährt und ich Welpe hatte nur rumgealbert. Ich lauschte, ob sich das Geräusch wiederholen oder bestenfalls entfernen würde. Plötzlich trat eine dunkle Gestalt aus dem Wald heraus. Es war ein riesiger schwarzer Wolf. Instinktiv stellte ich mein Nackenfell auf und ich stellte mich hin. Jeder Muskel war angespannt - bereit zum Kampf oder zur Flucht. Der Wolf kam näher und ein leises Knurren drang aus seiner Kehle. Ich trat nervös von einer Pfote auf die andere. „Es muss ein Wolf aus dem Rudel sein, wegzulaufen wäre doch jetzt albern", dachte ich. Der Wolf stand immer noch gut 200 Meter von mir entfernt und ich konnte nicht erkennen, um wen es sich handelte. Dann drehte der Wind und wehte mit einer Böe den Geruch des Wolfes zu mir herüber. Der starke Duft nach Wald und Wärme hatte sich mit Erregung und etwas anderem, dunklem gemischt. Es war William. Er bemerkte, dass ich ihn erkannt hatte und lief nun schneller auf mich zu und kam kurz vor mir zum Stehen.
Eisgraue Augen trafen auf Goldene. Und es war, als würde die Welt aufhören sich zu drehen.

***
Ich fühlte wie mein Herz erst aussetzte und dann wie wild zu schlagen begann. Ich machte einen Schritt auf ihn zu, fühlte mich magisch angezogen von dem schwarzen Wolf, der genauso wie ich erst ehrfürchtig stehen blieb und nun wie mein Spiegelbild einen Schritt und noch einen auf mich zuging. Schließlich standen wir uns Schnauze an Schnauze gegenüber.
Und als wäre es so vorhergesehen, leckte mir William sanft über meine linke Wange. Meine innere Wölfin zerbarst vor Glückseligkeit und senkte den Kopf, um den schwarzen Wolf vor ihr ebenfalls die linke Wange zu liebkosen. Wir traten beide einen Schritt zurück und schauten uns in die Augen.
William sah aus, als ob er lächelte und ich musste lachen und streckte meine lange Zunge raus. William setzte zum Sprung an und fing an, um mich herumzulaufen. Auch ich spürte einen inneren Bewegungsdrang und begann vor ihm davonzulaufen in der Hoffnung, dass er mir folgen würde. Und das tat er. Ich lief immer schneller, spornte meine Muskeln an und lies mich von ihm durch den Wald um die Lichtung jagen. Wie junge Welpen sprangen wir herum, während er versuchte mich zu fangen und ich versuchte zu entwischen. Ich legte mich immer wieder hin, nur um sprunghaft wieder loszulaufen, während ich mit dem Schwanz wedelte und William mir folgte. Mit einem Satz stand er über mir und schaute auf mich herab, während meine Wölfin sich auf den Rücken drehte und sich genüsslich auf dem Gras wälzte. Ich spürte ein Gefühl von Sicherheit und Wärme, das meinen ganzen Körper durchflutete. Es fühlte sich plötzlich alles richtig an.

So tollten wir eine Weile herum, bis wir plötzlich von einem sich nähernden Geräusch unterbrochen wurden. Pfoten donnerten auf dem Boden und nach einander liefen vier Wölfe auf die Lichtung. Ich sprang wieder auf alle vier Pfoten. Es waren die männlichen Heranwachsenden, die sich gegenseitig ärgerten und kleine Kämpfe ausprobierten. Ich erkannte einen dunkelroten Wolf, meinen Bruder, der sich gerade mit einem anderen verkeilte und diesem spielerisch in die Flanke biss. Sein Gegner heulte kurz auf und dann rannten beide weiter. „Welpe", dachte ich und meine Wölfin atmete laut und kurz aus. Oh, Göttin. Welpen. Ich spürte, wie mein Herz wieder schneller schlug, aber dieses Mal nicht, weil ich mich wieder wie eine liebestolle 14-Jährige aufführen wollte, sondern weil mir bewusst wurde, was da gerade passiert war.
Der Zauber war mit einem Schlag vorbei. Ich wich vor William zurück, der mich etwas fragend ansah. Oh nein, auf keinen Fall. Alpha hin oder her, ich werde meine Freiheit nicht für diesen Quatsch mit dem Wolfsband aufgeben. Keine Chance. Ich legte meine Ohren an, zog buchstäblich den Schwanz ein und rannte davon. Wie eine Irre lief ich in Wolfsgestalt den ganzen Weg zurück, quer durch die Siedlung zu unserer Hütte und stieß die Tür auf. Da es langsam hell wurde, kehrten viele Wölfe jetzt zu ihren Wohnungen zurück. Normalerweise taten wir dies jedoch in menschlicher Form. Im Wohnzimmer angekommen, legte ich mich auf den Teppich und verwandelte mich in meine Menschengestalt zurück. Dann schlich ich mich nach oben in mein Zimmer und warf mich aufs Bett. Heilige Scheiße, hatte ich gerade ein Band mit dem Alpha geschlossen?!

Grey on GoldWhere stories live. Discover now