Kapitel 4

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Die folgende Woche verging wie im Flug. Die Arbeit im Café von Eleanor machte mir viel Spaß und mittlerweile tranken Dina und ich zum Schichtwechsel erst noch eine Tasse Kaffee zusammen, bevor sie mich nachmittags ablöste. Dina war ein lustiger und offenherziger Mensch, die mir sofort sehr sympathisch wurde. Außerdem kannte sie jeden Klatsch und Tratsch aus der Stadt und dem Rudel. Von ihr erfuhr ich, dass in der Stadt zwar Menschen lebten, diese jedoch zahlenmäßig gering waren und das Rudel ohnehin überwiegend unter sich blieb. Dina selbst ging wie die anderen Heranwachsenden noch in der benachbarten High-School zur Schule und machte in diesem Jahr ihren Abschluss. Danach würde sie Jace heiraten, dem sie schon seit ihrem 12. Lebensjahr versprochen war.
„Ich werde die Frau des Omega, ist das nicht toll?", schwärmte sie.
Ich verkniff mir den Kommentar, dass sie wie eine Zuchtkuh verkauft wurde. So dachten die Leute im Rudel nicht. Wahrscheinlich dachten nicht einmal die Menschen in dieser Gegend hier unbedingt anders. Schließlich heiratet der Football-Star nach dem Abschluss auch direkt die Cheerleaderin, oder?

„Und wie kommt es, dass alle drei Rudelführer so jung sind?", fragte ich sie gerade, als ich einen Schluck von meinem vierten Kaffee des Tages nahm.
„Das war eine tragische Geschichte", flüsterte Dina und drehte sich kurz in alle Richtungen um. Völlig übertrieben, da wir andere Wölfe gerochen hätten und Menschen uns sowieso nicht hören konnten.
„Sie sind alle drei bei einer Patrouille gestorben! Furchtbar, oder?"
Die drei stärksten Rudelmitglieder sterben alle bei der gleichen Patrouille? Nicht sehr wahrscheinlich. Aber ich beschloss es gut sein zu lassen.
„Ja wie tragisch!", stimmte ich ihr daher zu und schüttelte den Kopf.
Wir sprachen noch weiter über die jüngere Vergangenheit des Rudels. Schließlich erzählte mir Dina von den schlechten Aussichten unserer Generation.
„Sieh mal, ich habe natürlich meinen Jace", schwärmte sie. „Aber wen sollte man sonst ernsthaft als Partner in Betracht ziehen? Es gibt viel zu wenig interessante Männer hier." Ich schüttelte lachend den Kopf.
„Ich meine, Felix ist natürlich eine Sahneschnitte, aber der vögelt sowieso mit allem und jedem..wäre das nicht was für dich?", witzelte sie. Ich verdrehte die Augen und warf einen Spüllappen nach ihr.
Aber Dina hatte Recht. In meinem Alter gab es fast keine Mitglieder im Rudel. Bisher hatte ich bei der Versammlung nur die Blondine in meinem Alter kennengelernt, die mich keines Blickes gewürdigt hatte. Klar, ich war nur neue Konkurrenz und die Männer in unserem Alter offenbar entweder unerreichbare Höherrangige oder Mangelware.

Heute war es richtig heiß geworden. Als ich die Tür von dem Café aufstieß und Dina ein letztes Mal zuwinkte, schlug mir die warme Luft wie eine Wand entgegen. Es war schwül und mindestens 36 Grad. Schnell machte ich mich auf den Weg in den Wald, doch bei diesen Temperaturen konnte auch dieser keine Abkühlung mehr verschaffen. Ich sah mich um. Seit meiner Ankunft hatte ich den Wolf noch nicht rausgelassen und ich spürte bereits jetzt den näher kommenden Vollmond und den Drang mich zu verwandeln. Aber auch meiner Wölfin wäre dieses Wetter zu heiß. Ich hob kaum merklich die Nase in die Luft und schnupperte. Ich konnte nichts wahrnehmen, es schien niemand in unmittelbarer Nähe zu sein. Also entschloss ich mich, nicht nach Hause zu gehen, sondern einen Pfad in Richtung eines kleinen Sees zu nehmen. Diesen hatte ich bereits zu Beginn der Woche entdeckt, nun schien mir die richtige Temperatur für eine Abkühlung zu sein.
Der See lag völlig abgelegen und still. In der Mitte führte ein kleiner Holzsteg ins Wasser. Dort legte ich meinen Rucksack ab und begann mich auszuziehen. Mein weißes T-Shirt klebte schon am Rücken und ich war froh als ich endlich auch Shorts und BH ausgezogen hatte. Mit einem mehr oder weniger galanten Kopfsprung tauchte ich ins kühle Nass ein. Herrlich. Das Wasser war angenehm kühl und klar. Ich schwamm ein paar Meter und ließ mich dann an der Oberfläche treiben. Ich schloss die Augen und spürte die warmen Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht.

Obwohl meine Ohren unter Wasser waren, hörte ich sie. Donnernde Pfoten auf dem Waldboden nährten sich und blieben in unmittelbarer Nähe am Steg stehen. Ich hob den Kopf und sah gerade noch, wie sich zwei Wolfsgestalten in ihre menschliche Form zurückverwandelten. Und was für menschliche Gestalten. Die beiden Männer waren in jeder Hinsicht groß gewachsen und hatten breite Schultern. Der größere von ihnen hatte dunkle Haare und einen flachen, harten  Bauch. Der andere war blond und hatte ein durchtrainiertes Sixpack. Der Alpha und der Beta schubsten sich wie kleine Kinder über den Steg und liefen in die Richtung meiner Sachen. Dort hielten die beiden kurz inne und ließen ihren Blick über den See wandern. Da ich etwas abseits im Wasser trieb, wo der See eine kleine Biegung machte, konnten die beiden mich nicht sehen. Aber sie mussten anhand meines Geruchs in den Sachen wissen, dass ich hier war. Sofern sie sich überhaupt an mich erinnerten. In meiner versteckten Position konnte ich die beiden unentdeckt beobachten. Meine innere Wölfin begann zu schnurren, als wäre ich eine rollige Katze. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Zum Glück war ich im Wasser, sodass mein liebestoller Geruch meinen Standort nicht verriet. Ich hörte nicht deutlich was sie sagten, jedoch stießen die beiden sich an und sprangen kurzerhand in den See. Unter Gegröle spritzten die beiden mit Wasser und schwammen dann mit kräftigen Zügen in die Mitte des Sees. Jetzt schnell, dachte ich und schwamm ebenfalls los. Kurz bevor ich die Treppe des Stegs erreichte, hörte ich hinter mir den Alpha und Beta zurückkommen. Scheiße, scheiße, scheiße.
„Hey!", rief Felix und hielt ungefähr 3 Meter vor mir an. Seine Haare waren nass und hingen ihm in Strähnen vor den schönen blauen Augen. Ich konnte mittlerweile wieder stehen, aber ich hielt meinen Körper lieber im Wasser verborgen.
„June, oder?", er grinste mich an und legte den Kopf schief. Felix ragte bereits bis zur Hälfte seines Oberkörpers aus dem Wasser.
„Ehm.. ja, hey", gab ich etwas begriffsstutzig zurück.
„Gefällt dir, was du gesehen hast?" fragte er mich lachend. Er war heiß, keine Frage. Aber so heiß, dass er mich aus der Bahn werfen würde, war er nicht.
„Ohja, das war so heiß", antwortete ich mit ernstem Blick, „bei diesem Wetter musste ich einfach in diesen wirklich wunderschönen See springen." Er guckte kurz etwas verwirrt und fing dann an zu lachen.
„Du bist witzig, June", stellte er fest und warf einen Blick über die Schulter, wo der Alpha mittlerweile angeschwommen kam.
War er durch den ganzen See geschwommen? Er fuhr sich mit der Hand durch die nassen Haare, wobei sein Bizeps gut zur Geltung kam und legte dann die Handflächen auf die Wasseroberfläche. Der Alpha stand ebenfalls aufrecht und das Wasser verdeckte gerade so die Anfänge eines V, dass sich von seinem Bauch abwärts abzeichnete. Ich schluckte kurz und meine innere Wölfin heulte vor Verzückung. Der Alpha nickte mir kurz zu und schaute dann wieder seinen Beta an.
„Lass uns gehen", sagte er mit einem Kopfnicken zu Felix und machte Anstalten zum Steg zu waten.
„Warte, Will", grinste Felix und entblößte dabei eine Reihe spitzer Zähne. „Ich glaube, June wollte gerade raussteigen."
Mir schoss die Röte ins Gesicht. So ein Arsch. Ich setze ein künstliches Lächeln auf und straffte meine Schulter. „Alles gut, gehen Sie ruhig vor."
Ich warf einen schnellem Blick zum Alpha der mich mit ausdrucksloser Miene musterte. Dann verzog er den Mund zu einem süffisanten Lächeln.
„Du brauchst mich nicht zu Siezen. Ich bin William. Und bitte, Ladies first."

Mein Lächeln verrutschte etwas. Tja. Mein Stolz hat nicht lange gehalten. Weigern konnte ich mich nicht. Zunächst mal schlug man einem Alpha keine Bitte aus. Und dazu noch, wäre eine Weigerung einfach nur kindisch und albern. Als Wolf sah man die anderen Mitglieder des Rudels jeden Vollmondzirkel nackt. Um nicht sämtliche Kleidung zu zerstören, zieht man sich notgedrungener Maßen vorher aus. Nacktheit war daher eigentlich kein Problem, auch für mich nicht. Aber es war etwas anderes, ob ich aufgrund der Verwandlung vor anderen Rudelmitgliedern für kurze Zeit nackt war oder ob ich mich alleine als Mensch vor zwei Höherrangigen auf einem nassen Holzsteg möglichst würdevoll wieder anziehen müsste. Aber mir bleib keine Wahl.
„Na schön", murmelte ich und schwamm den letzten Zug zu der Treppe.
Wenn schon, denn schon, dachte ich mir. Ich tauchte meinen Kopf nochmal unter Wasser, sodass meine Haare weich auf meinem Rücken lagen, dann zog ich mich an der Leiter hoch und stieg langsam aus dem Wasser heraus. Ich spürte ihre Blicke im Rücken oder wohl eher auf meinem Hintern. Mit langsamen, geschmeidigen Bewegungen ging ich über den Steg und beugte mich herunter zu meinen Sachen. Ich griff mir mein T-Shirt und stieg in meine Jeans-Shorts. Meinen BH stopfte ich schnell in meinen Rücksack und nahm meine Schuhe in die Hand. Dann drehte ich mich nochmal um. Felix stand auf der Leiter zur Hälfte mit Wasser bedeckt, klatschte in die Hände und johlte Beifall, während er mir kess die Zunge rausstreckte. Okay, der Beta war also eigentlich noch ein kleiner Welpe. Ich grinste ihn an, er war harmlos. William trieb noch im Wasser und schaute mich einfach nur an. Ich nickte ihm kurz zu, bevor ich mich umdrehte und im Wald verschwand. Göttin, war das peinlich. Ich schüttelte den Kopf und ärgerte mich über mich selbst. Denn eine ganz leise Stimme flüsterte mir zu, dass ich enttäuscht von der Reaktion des Alpha war.

Grey on GoldWhere stories live. Discover now