𝔼𝕡𝕚𝕝𝕠𝕘

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»Du musst es machen. Es wird langsam Zeit und er erwartet es von dir«, hatte July gesagt. Seitdem hatte ich alles für diesen einen Tag vorbereitet. Natürlich hatten Maike und Levi mir geholfen. Heute würde ein wichtiger Tag in meinem Leben werden, möglicherweise sogar einer der wichtigsten.

Ich fuhr mir ständig durch die Haare und wischte meine Hände an meiner Jeans ab.

Gleich würde ich Toni sehen und ihn an einen besonderen Ort führen.

In den letzten Jahren waren wir zusammengezogen und ich hatte mich noch mehr in ihn verliebt. Ich hatte selten darüber nachgedacht, ob ich Jungs oder Mädchen mochte. Doch es spielte keine Rolle. Es ging mir nicht darum, nur Jungs oder nur Mädchen zu lieben oder auf beide Geschlechter zu stehen oder eine andere Sexualität zu haben. Es ging mir nur darum, ihn zu lieben. Und damit wollte ich nicht aufhören. Ich wusste, dass es keine Garantie gab, dass wir für ewig zusammen sein würden, doch das wollte ich fürs Erste ignorieren. Für mich gab es im Moment nur ihn und ich hoffte, dass unsere Beziehung noch sehr lange dauern würde. Toni war die Person, in die ich mich Hals über Kopf verliebt hatte und die mir gezeigt hatte, dass ich bei dem Wort Liebe nicht an eine Einschränkung denken musste, sondern einfach nur an ihn denken konnte.

Als Toni kam, grinste ich breit und mein Herz flatterte.

»Bleib auf deinem Moped«, meinte ich und rannte auf ihn zu. Ich umarmte ihn und gab ihm einen Kuss.

»Ich habe dir ja versprochen, dass ich dich heute entführen werde. Ich fahre.« Ich stieg zu Toni auf sein Moped, setzte meinen Helm auf und fuhr los.

Toni klammerte sich fest an mich und bescherte mir damit Schmetterlinge im Bauch.

Ich genoss die Fahrt, bei der ich mich ein wenig beruhigte. Dann hielt ich an.

»Was willst du hier? Das ist unsere alte Schule.«

»Vertraust du mir?«, fragte ich.

»Natürlich vertraue ich dir, Lustig. Das weißt du doch.«

»Okay, Turner.« Ich betonte seinen Nachnamen komisch. Wir setzten die Helme ab und ich nahm seine Hand, um ihn zum Zaun zu führen. Dann ließ ich los, kletterte hinüber und half Toni anschließend.

»Schließ die Augen«, forderte ich und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Ich legte meine Hände über seine Augen und führte ihn an.

»Wohin bringst du mich?«, fragte Toni.

»Wirst du gleich sehen.«

Ich blieb unter der Kastanie stehen, unter der Toni und ich das Englisch-Projekt vorgestellt hatten. July hatte ihn mit einer Lichterkette geschmückt und diese angestellt. Verlängerungskabel säumten den Weg in der anderen Richtung. Auch Luftballons hingen an den Ästen und Fotos von Toni und mir hatten Maike und ich mühevoll mit kleinen Klammern an Ästen befestigt. Es sah wunderschön aus und ich hätte mir beinahe selbst auf die Schulter geklopft, da ich so stolz auf mein Werk war.

Ich nahm meine Hände von seinen Augen und begann.

»Wir wissen beide, dass wir nicht den besten Start hatten, doch aus heutiger Sicht liebe ich unsere Streitereien und Auseinandersetzungen. Mit der Zeit habe ich mich in dich verliebt und ich bereue an keinem Tag, dich bei unserem Abiball geküsst zu haben. Es war der schönste und aufregendste Kuss meines Lebens und ich erinnere mich noch genau an das Gefühl. Heute möchte ich mit dir einen weiteren wunderbaren Tag in unserem Leben schaffen, auf den ab heute noch viele weitere folgen werden.« Ich atmete tief durch und kniete mich hin. Dann klappte ich eine kleine, schlichte Schachtel auf.

»Anton Turner, willst du mich heiraten?« Hatte ich die Worte wirklich gesagt? Ja, hatte ich!

»Ja! Ja!« Ich steckte ihm den Ring an, bevor Toni mich hochzog und flippte mit ihm aus. Dann fiel Toni mir um den Hals und drückte seine Lippen auf meine. »Hätte ich das gewusst! Ich habe auch ein paar Worte zu sagen. Michi, ich kann dir nicht mehr genau sagen, wann ich mich in dich verliebt habe. Es verging aber eine Weile, bis ich mich traute, es dir zu zeigen. Unser Abiball gehört auch zu meinen schönsten Abenden. Ich bereue nichts. Ich erinnere mich so gerne an unsere gemeinsamen Momente und stelle immer wieder fest, dass ich mich in die kleinen Dinge verliebt habe. Ich liebe es, wie du dir durch die Haare fährst, wenn du nervös bist und dass du so viel und so gerne sprichst. Ich liebe es, dass du mir immer einen Begrüßungskuss und einen Abschiedskuss geben musst, weil du sonst angespannt bist. Ich liebe dich, Michi.«

Nun kniete sich Toni vor mich hin und holte eine kleine Schachtel heraus.

»Willst du mich heiraten, Michael Lustig?«

»Ja, natürlich will ich.« Ich umarmte ihn und verteilte Küsse auf seinem Gesicht.

»Das hätte ich nicht erwartet.«

»Ich auch nicht, aber ich bin zufrieden.«

»Und ich erst. Ich habe dich nämlich zuerst gefragt.« Ich konnte ein kleines Grinsen nicht aufhalten.

»Ich habe aber zuerst daran gedacht.«

»Nein, ich habe zuerst daran gedacht. Ich habe diesen Antrag schon eine Weile vorbereitet, da hast du noch gar nicht daran gedacht, mir einen Antrag zu machen.«

»Um ehrlich zu sein, hat July mich darauf gebracht.«

»Mich auch!«

»War ja klar.«

»Wir lieben sie beide. Sie ist eine tolle beste Freundin.«

»Ja, und ich liebe dich.«

»Ich liebe dich aber mehr.«

»Stimmt doch gar nicht. Na ja, immerhin hat July mich zuerst auf die Idee gebracht, dir einen Heiratsantrag zu machen.«

»Nein, sie kam zuerst zu mir.«

»Wann hört ihr nur jemals auf, euch zu streiten?«, fragte Jules, die plötzlich erschienen war. Hinter ihr standen Dominik, Maike und Levi.

»Dann, wenn wir aufhören, uns zu lieben.«

»Und das wird niemals passieren. Weißt du, wir erinnern mich an ein Sommergewitter. Sommer, weil wir warmherzig sind und uns so sehr lieben. Gewitter, weil wir uns dennoch immer streiten«, meinte Toni und strich über meine Wange.

»Warmherzig? Du bist doch nicht warmherzig«, widersprach ich.

»Siehst du? Genau das meinte ich. Wir können einfach nicht aufhören, uns zu streiten, weil wir uns so sehr lieben.«


- ENDE -

𝔻𝔼ℝ 𝕀𝔻𝕀𝕆𝕋 𝕌ℕ𝔻 𝕀ℂℍWhere stories live. Discover now