𝟚𝟟. 𝕃𝕚𝕔𝕙𝕥 𝕚𝕟 𝕕𝕖𝕣 𝔻𝕦𝕟𝕜𝕖𝕝𝕙𝕖𝕚𝕥

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 Ich wusste nicht, wer immer extremer wurde: meine Eltern oder ich.

Jeder schaute ständig bei Maike im Zimmer vorbei und erkundigte sich nach ihrer Gesundheit. Mom und Dad schleppten sie ein paar Mal zum Arzt. Ich achtete darauf, dass wir täglich unsere Märchenstunde abhielten und überprüfte, ob sie zu blass oder schwächlich aussah.

Maike strafte uns mit bösen Blicken, doch die nahm ich in Kauf.

»Irgendwann laufe ich doch weg. Dann hättet ihr diese Sorge los«, murmelte sie manchmal. Das führte dazu, dass Mom und Dad eine Diskussion starteten, in der sie alle Argumente darbrachten, die für ihr Bleiben sprachen.

»Ich meinte es auch nicht ernst. Obwohl ich zurzeit echt nervig seid, hab ich euch alle lieb. Auch dich, Michi!«

Ich schenkte Maike am ersten Dezember einen Adventskalender. In jedem Türchen steckte ein kleiner Zettel, in dem ich beteuerte, wie lieb ich sie hatte und wie viel sie mir bedeutete. Falls wir nicht verhindern konnten, dass sie sich doch irgendwie tödlich verletzte, dann hatte ich ihr wenigstens gezeigt, dass sie mir sehr wichtig war.

Reagierte ich über? Mittlerweile sah ich so fertig aus wie July. Sie wirkte immer noch total erschöpft.

Eines Nachts klopfte sie an mein Fenster. Ich hatte mich nur herumgewälzt, also stand ich sofort auf und öffnete.

Ihr Gesicht sah rot und fleckig aus und sie schniefte leise. Ich zögerte nicht, sondern schloss sie direkt in die Arme, bevor sie überhaupt ihre Jacke ausgezogen hatte.

»Ich weiß, du hast gerade genug eigene Sorgen, aber ich halte es bald nicht mehr aus. Ich -« Sie stockte und brach in Tränen aus. Damit steckte sie mich an. Auch mir liefen nun dicke Tränen über meine Wangen.

»Beruhige dich erst einmal.«

Ich führte sie zu meinem Bett, zog ihre Jacke aus und wickelte uns dann in eine Decke. July kuschelte sich an mich.

»Ich hätte es dir schon viel früher erzählen sollen.«

Mich interessierte, ob Toni schon von diesem Geheimnis wusste, dass July mir gleich erzählen würde, doch ich fragte nicht. Das war taktlos.

Ich reichte Jules ein paar Taschentücher. Als sie sich ihre Tränen abgewischt und ihre Nase geputzt hatte, begann sie.

»Erinnerst du dich noch, als ich an meinem Geburtstag zu dir gekommen bin? Nachts?«

»Ja, das ist erst ein paar Wochen her.«

»Ich habe auf den Weg zu dir geweint.«

»Ich weiß. Du hast an dem Tag Levi geküsst und warst völlig aufgelöst.«

»Ja, das lag aber nicht an Levi. Sein Kuss hat mich zum Nachdenken gebracht, ja. Aber wegen Levi habe ich nicht geweint.«

»Warum dann?«, fragte ich sanft und strich über ihren Rücken.

»Meine verfluchten Eltern haben mich aus dem Haus geschmissen, weil ich ja jetzt volljährig bin.«

»Was?! Die haben dich aus dem Haus geschmissen? Das können die doch nicht machen!«

»Wahrscheinlich habe ich schon lange vermutet, dass so etwas kommen würde, geschockt hat es mich aber trotzdem.«

»Wohnst du zurzeit bei Toni?«, fragte ich. Ich konnte nicht fassen, wie man dem eigenen Kind so etwas antun konnte. Aber Julys Eltern hatten sie sowieso noch nie richtig geliebt.

»Nein, ich wohne im Keller. Davon wissen meine bescheuerten Eltern aber nichts.«

»Dort muss es doch bitterkalt sein. Wie hältst du das aus? Ach, meine Juju.«

𝔻𝔼ℝ 𝕀𝔻𝕀𝕆𝕋 𝕌ℕ𝔻 𝕀ℂℍWhere stories live. Discover now