Albträume

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John POV

Heiße Tränen laufen meine Wangen hinunter, während ich Sherlocks Gesicht, das noch blasser als sonst ist, in meiner einen Hand halte und mit der andern Hand versuche die Blutungen zu stoppen. „Hilfe! Bitte. Ich brauche Hilfe!" Meine Schreie verhallen in der Ferne und werden von der Dunkelheit verschluckt. „Alles wird gut. Alles wird gut." Immer und immer wieder rede ich auf Sherlock oder eher auf mich ein. „Alles wird gut... Hörst du?" Keine Regung. Schwer schlucke ich den Klumpen, der sich in meinem Hals gebildet hat, runter. „Sherlock?" meine Stimme ist nicht mehr als ein leises brüchiges Wimmern. Der kleine Rinnsal Blut, der aus Sherlocks Mund läuft, hinterlässt eine feine Spur auf meiner Hand und saugt sich schließlich in die weiße Wolle meines Pullis ein, verfärbt ihn in ein dunkles Rot. „Wach auf. Bitte wach auf. Bitte." Er kann jetzt nicht sterben. Nicht hier. Nicht jetzt. Nie. „Ich brauch dich noch." Sherlocks Atem ist sehr flach. Zu flach. Viel zu flach. „Hilfe!" Ich weiß das Rettung viel zu spät kommen wird. „Hörst du Sherlock? Ich brauch dich. Ich brauch dich mehr als alles andere. Du bist das einzige was ich brauche." Sherlocks Atem ist verschwunden, sein Puls nicht mehr zu spüren, seine Augen kalt und starr. Schluchzend beuge ich mich über seinen leblosen Körper und wispere leise: „Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr."

Mit pochendem Herzen und nassen Wangen schrecke ich auf. Ich sehe mich in dem dunklen Raum um und stelle fest das ich in meinem Zimmer bin. Auf meinen Händen ist kein Blut. Alles nur ein Traum. Erleichtert lasse ich mich zurück in mein Kissen fallen, vereinzelte Tränen laufen mir weiterhin die Wangen hinunter. „Alles nur ein Traum. Alles nur ein Traum." Immer wieder murmle ich diese vier Wörter in den leeren dunklen Raum. Sherlock lebt. Er ist nicht in meinen Armen gestorben. Es war alles nur ein Traum. Nachdem ich mich einigermaßen wieder gefasst habe, wische ich mir die Tränen aus meinem Gesicht und sehe auf meinen Wecker. Halb vier. Ich werde heute nicht mehr schlafen können. Also wieso es versuchen? Um ein weiteren Albtraum zu haben? Verschlafen, aber doch wach, stehe ich auf, um mir einen Kaffe zu machen. Ich spiele mit dem Gedanken in Sherlocks Zimmer nachzusehen, ob es ihm wirklich gut geht, ob er wirklich lebt. Nein. Das ist lächerlich. Außerdem kann ich das nicht machen. Wenn ich das mache, dann schöpft Sherlock auf jeden Fall Verdacht. Wenn er das nicht schon längst tut. Er ist schließlich der große Sherlock Holmes. Der weltweit einzige Consulting Detective. Der schlauste Mensch den ich je getroffen habe. Verzweifelt fahre ich mir durchs Gesicht. Er muss es wissen. Er muss wissen das ich mich in ihn verliebt habe. Das mein Atem jedesmal wenn er mir zu Nahe kommt, doppelt so schnell geht. Das mein Herz jedesmal einen riesigen Satz macht, nur wenn er mich mit seinen tiefblauen Augen mustert. Das jede Berührung von ihm, sei sie auch noch so flüchtig, ein unbeschreibliches Gefühl in mir auslöst, von dem ich nicht genug bekommen kann. Das ich andauernd wünsche, wie es ist seine Finger, seine Lippen auf meinen, auf meiner Haut, auf mir zu spüren. Nicht an ihn denken. Nicht an Sherlock denken. Nicht an... Sherlock sitzt in einer Jogginghose und einem locker sitzenden Shirt auf seinem Sessel im Wohnzimmer. Seine Haare stehen ihm unordentlich vom Kopf ab. Sein Blick wirkt verschlafen. Als ich etwas irritiert in der Türschwelle stehen bleibe, knarzt eine Diele und Sherlock guckt zu mir hoch. „Hallo John." In seiner Stimme schwingt Überraschung mit. „Hallo Sherlock." erwidere ich genauso überrascht. Wir gucken uns einfach nur an und ich kann sehen wie Sherlock versucht mich zu deduktieren. „Wieso bist du noch... oder eher schon wach?" frage ich schließlich. „Ich denke über den Fall nach." Der Fall... Stimmt ja. Doppelmord. Abwesend nicke ich. Keine Ahnung was da passiert ist. Ich habe nicht wirklich aufgepasst. Ehrlich gesagt habe ich auf den beiden Tatorten eher Sherlock betrachtet als die beiden Leichen. „Und du?" Sherlock blickt zu mir hoch. „Wieso bist du wach?" Er sieht mich genauer an, in seinen Augen blitzt so etwas wie Besorgnis auf, und sagt dann trocken: „Du hast geweint." „Du machst dir Sorgen." stelle ich genauso trocken fest. Sherlock sieht mich irritiert und mit gerunzelter Stirn an. „Natürlich mache ich mir Sorgen." Mein Herz setzt ein Schlag aus. Was? Könnte es sein- „Wir sind Freunde." All meine Hoffnungen fallen zu Grunde und zerspringen in tausende von kleinen Stücken. „Ja..." murmle ich. „Ja, das sind wir." Ich versuche so gut wie möglich mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Anscheinend erfolglos. „Ist etwas? Du wirkst so... traurig." Wieso ist er auf einmal so emphatisch? Abweisend schüttle ich den Kopf. „Ich... Ich bin nur müde. Das ist alles." „John." Jawn. Fuck... Diese Aussprache. Diese Stimme. Sherlock ist aufgestanden. Er steht nun zwei Schritte entfernt von mir und sieht mich, immer noch mit dieser ungewohnten Besorgnis in seinen Augen, an. „Was ist los?" „Ich bin müde." wiederhole ich. „Das ist lächerlich. Ich weiß wenn du lügst. Außerdem hast du geweint." Verzweifelt sehe ich ihn an. Ich kann ihm nicht erzählen was los ist. Er würde wissen das ich ihn liebe. „Sind deine Alpträume wieder da?" fragt er als ich einfach still bleibe. Stumm nicke ich. Fuck. Wieso habe ich genickt? Er wird es wissen. „Vom Krieg?" Weiterhin still schüttle ich den Kopf. „Von was dann?" Soll ich es ihm sagen? Soll ich es riskieren? Soll ich unsere Freundschaft aufs Spiel setzten? Soll ich ihm sagen das ich ihn liebe? „Von... von-" Ich kann es nicht. „Ich kann es dir nicht sagen." Sherlock sagt nichts. Er sieht mich einfach stumm und fragend an. Mein Blick fällt zu Boden. „Ich- ich... Es wär ein Fehler. Es würde unsere Freundschaft kaputt machen." Meine Stimme  ist nicht mehr als ein leises Flüstern. „Was könnte so schlimm sein? Ich hab schon so viel scheiße gebaut." Überrascht sehe ich wieder auf. Ich hätte nie gedacht das Sherlock so über sich reden würde. „Alleine Baskerville hätte gereicht, damit du für immer sauer gewesen wärst." Das muss ein Traum sein. Er würde nie so reden. Er würde nie seine Fehler eingestehen. Wenn er über seinen Schatten springt, sollte ich das vielleicht auch tun. Zittrig atme ich aus. „Es bist du." „Was?" Sherlock sieht mich unverständlich an. „Meine Träume. Sie... sie handeln von dir." Sherlock legt sein Kopf schief. So wie er es immer tut wenn etwas für ihn kein Sinn macht. „Ich sehe wie du in meinen Armen stirbst." „Ich verstehe nicht. Wieso ich?" Und dann sage ich es einfach. „Weil ich dich liebe, Sherlock. Weil ich mein Leben ohne dich sinnlos wäre."

Johnlock OneshotsWhere stories live. Discover now