36 - Klischees sind okay für mich

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Als ich mich leise durch meine angelehnte Zimmertür schiebe, entdecke ich Simon, der neugierig vor meinem Bücherregal steht und die dort aufgestellten Fotos von mir mit Daphne oder meiner Familie betrachtet.

„Wir haben nur Eistee mit Pfirsch, ich hoffe, das ist okay?" Bedacht darauf, nichts zu verschütten, stelle ich die Gläser und die Eisteepackung vorsichtig auf meinem Nachttisch ab, während ich die Schüsseln mit dem Popcorn kurzerhand auf meinem Bett platziere.

Fuck! Mein Bett!

Ich habe irgendwie nie die Notwendigkeit gesehen, ein Sofa oder andere Sitzgelegenheiten als meinen Schreibtischstuhl und den für die Klamotten in meinem Zimmer zu wollen, da ich ja ein riesiges Bett habe. Und wenn Daphne über Nacht bleibt, lungern wir entweder auf dem Bett oder der Matratze, auf der sie schläft und die dann immer vor meinem Bett liegt, herum.

Simon steht noch immer vor meinem Regal und zeigt auf eines der Fotos. „Ist das ... dein Bruder?"

Das Bild zeigt Shawn und mich im Campingurlaub am Lagerfeuer. Unserer Mom zuliebe hatten wir die Arme umeinander gelegt, versuchten aber zeitgleich hinter unseren Rücken, die bereits geschmolzenen Marshmallows an den Stöcken in unseren Händen jeweils in die Haare des anderen zu schmieren. Unsere Gesichter grinsen dementsprechend breit und es ist einfach eins meiner liebsten Bilder von uns beiden.

„Ja ... das war in dem Sommer, bevor er aufs College ging." Ich kratze mir verlegen den Hinterkopf und sehe mich unschlüssig um. „Ich ... hm ... ich hole mal noch eine Matratze, dann können wir uns einfach vor das Bett setzen", schlage ich vor. „Ich hab leider kein Sofa, aber meistens ist es so einfach genauso bequem und–"

Simon runzelt die Stirn und zeigt lachend auf mein Bett. „Also ... wir können uns auch einfach aufs Bett setzen, du musst nicht extra wegen mir umbauen oder so. Es sei denn, es stört dich, wenn ich mich mit meiner Jeans auf dein Bett setze. Meine Mutter mochte das nie, die fand das immer total widerlich, wenn man sich mit den normalen Klamotten aufs Bett gesetzt hat, also können wir auch–"

„Was?", lache ich. „Nee, sowas macht mir nichts aus. Ich verbringe fast den ganzen Tag im Bett, wenn man mich lässt. Ist ja voll umständlich, wenn man sich dafür ständig umziehen müsste."

Er nickt zustimmend. „Finde ich nämlich auch. Mein Dad ist da zum Glück auch entspannter." Er zeigt zum Bett und zuckt mit den Schultern. „Also ... von mir aus können wir uns auch einfach so aufs Bett setzen, wenn es dich nicht stört. Dann musst du nicht so viel umräumen." Verwirrt runzelt er die Stirn und lacht unbeholfen. „Hab ich das gerade schon mal gesagt?"

Ich kichere und krabble aufs Bett, so dass mein Rücken an der Wand lehnt, während ich eine der Popcornschalen auf dem Schoß balanciere. „So ähnlich."

Als Simon es sich neben mir bequem macht, greife ich nach der Fernbedienung und suche auf meinem Fernseher, der an der Wand gegenüber des Bettes angebracht ist, meine Filmmediathek heraus. „Also, welchen Film möchtest du sehen?"

Er zuckt mit den Schultern und beäugt misstrauisch eins der Popcornteilchen.

Ich lache und stecke mir selbst eins in den Mund. „Keine Sorge, die sind beide süß. Bei uns mochte nur Shawn salziges Popcorn und Daphne mag beides, isst aber mir zuliebe immer nur Süßes. Es sei denn, sie will mich ärgern."

Simon atmet erleichtert aus und kaut nun ebenfalls auf einem der Teile herum. „Ein Glück! Einer der Zwillinge isst immer Salziges und wir waren mal alle zusammen im Kino und ich wusste das nicht. Das war vielleicht eklig!"

„Das kann ich mir gut vorstellen." Angewidert schüttle ich mich.

„Welchen magst du denn am liebsten?", will Simon wissen und zeigt auf den Bildschirm, wo bereits einige Filme in der Übersicht zu sehen sind.

„Ich mag auch viele andere Filme, aber da du keine Ahnung hast, wer Heath Ledger ist und darum zur Nachhilfe hier bist, muss es ja ein Film mit ihm sein", erkläre ich wie ein Lehrer. „Vielleicht fangen wir einfach mit ‚Ritter aus Leidenschaft' an, weil ‚10 Dinge, die ich an dir hasse' ein High School Film ist."

„Ich hab nichts gegen High School Filme." Er nascht ein weiteres Popcornteilchen und ich bemühe mich, nicht auf seine Lippen zu starren. „Dann können wir den Ritterfilm einfach nächstes Mal schauen."

Nächstes Mal? Er spricht von einem nächsten Mal? Verfalle ich innerlich in Panik? Nur ein bisschen.

„Okay, aber bitte beschwere dich hinterher nicht über all die Klischees", gebe ich betont gleichgültig zurück, während ich durch die Filmübersicht scrolle.

„Was ist das da mit den Cowboys?", unterbricht er mich und ich spüre, wie mein Gesicht locker fünf Grad wärmer wird. Sein Blick ist interessiert auf den Bildschirm gerichtet und ohne etwas zu sagen, lasse ich die Darstellung mittels Knopfdruck auf der Fernbedienung größer werden, damit er die Kurzzusammenfassung von ‚Brokeback Mountain' lesen kann.

Simon liest durch angestrengt zusammengekniffene Augen den Text und als sie sich überrascht weiten und er ein leises „Oh!" von sich gibt, weiß ich, dass er den Hintergrund der Geschichte realisiert hat.

Mit einem peinlich berührten Lächeln lehnt er sich zurück an die Wand und zuckt mit den Schultern. „Klischees sind okay für mich", ist alles, was er sagt.

„Dann kommt einmal High School Klischee Film, aber in cool", kündige ich an. Ich wähle ‚10 Dinge, die ich an dir hasse' aus und starte ihn, bevor ich meine Hand tief in meiner Popcornschale vergrabe und mich verzweifelt frage, wie ich die nächsten dreiundneunzig Minuten mit Simon Donovan auf meinem Bett neben mir überleben soll.

Begeisterung | ✓Where stories live. Discover now