26 - Du kannst Gabelstapler fahren?

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Nachdem ich meinen Dad davon überzeugen konnte, dass Simon und ich uns schon einmal nützlich machen könnten, statt Kaffee zu trinken und ihm beim Suchen zuzusehen, begleitete er uns in den hinteren Teil der Büroräume, wo sich ein Lagerraum und der Zugang zum Hinterhof befindet.

„Ich muss die Liste noch raussuchen, aber wenn ihr die Kisten einfach schon mal ins Auto ladet, von jeder eine, sollte das auf jeden Fall reichen", erklärt er und blickt einmal kurz prüfend durch die Regale.

Ich entdecke zahlreiche Kisten voller Lebensmittel, die meisten bestehend aus Konserven und abgepackten Waren. Nudeln, Reis, Suppen und allerlei Gemüse.

Mein Vater drückt Simon einen Autoschlüssel in die Hand und klopft ihm lächelnd auf die Schulter. „Danke, dass du mithilfst, Simon. Damit sparen wir eine ganze Menge Zeit. Das Auto steht hier auf dem Hinterhof. Kannst du einen Schaltwagen fahren?"

Simon nickt mit leicht erröteten Wangen. „Ja, ich kann so ziemlich alles fahren."

„Das ist gut zu wissen", lacht mein Dad. „Falls wir mal einen Laster oder einen Gabelstapler haben, rufe ich dich an. Ich bringe euch die Liste gleich."

Damit lässt er uns in dem Lagerraum zurück und ich mustere Simon neugierig. „Du kannst Gabelstapler fahren?"

Er zuckt unbeeindruckt mit den Schultern und greift sich die erste Konservenkiste. „Kann man eins fahren, kann man alle."

•••

„Und du bist sicher, dass du nicht noch einen Muffin oder ein Sandwich möchtest?", frage ich Simon, als wir wenig später in der Schlange im Café des Einkaufszentrums stehen.

Er blickt sich immer wieder nach links und rechts um, die Hände nun wieder in den hinteren Taschen seiner Jeans verschwunden. „Nein, nein, schon okay."

Ich beobachte ihn einen Moment und frage mich, warum er so gehetzt aussieht. „Simon, wenn ... wenn dir das hier nicht recht ist, weil deine Freunde hier sein könnten, dann–"

Er reißt den Kopf zu mir herum und starrt mich mit großen Augen an. „Was? Oh Gott, nein!" Seine Hände kommen zum Vorschein und er fährt mit ihnen durch seine kurzen, braunen Haare. „Ich ... es ist nicht wegen den anderen, aber–"

„Hey, ist schon okay." Ich zwinge mir ein Lächeln auf, obwohl mir gerade ganz und gar nicht danach ist. Ich kann deutlich spüren, wie unwohl er sich hier neben mir fühlt. „Wir können auch–"

„Hey, was darf's denn für euch sein?", unterbricht mich der Barista hinter dem Tresen und ich zucke zusammen, als ich feststelle, dass wir an der Reihe sind.

Ich räuspere mich und werfe einen Blick auf die gigantische Angebotskarte, die über ihm angebracht ist. „Ich ... äh ... wir hätten gern einen großen Latte Macchiato." Zögerlich blicke ich zu Simon und er nickt bestätigend. „Und ... äh ... noch einen, aber den noch mit Karamell."

Der Barista tippt rasant auf seiner Kasse herum. „Noch was zum Essen?"

Ich trete einen Schritt zur Seite und schaue interessiert in die Auslage, die allerlei Kuchen, Sandwiches und andere Köstlichkeiten präsentiert.

Simon mag vielleicht keinen Appetit haben, aber wenn mein Vater mir schon Geld in die Hand drückt und ich mir einen leckeren Kaffee mit Sirup gönnen kann, kann ich die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen.

„Eine Doppelpackung von diesen Double Chocolate Donuts ", gebe ich den Rest der Bestellung auf.

„Namen", verlangt der Mann hinter dem Tresen.

„Äh ... Eric und ..." Ich sehe rüber zu Simon, der wieder dazu übergegangen ist, sich umzusehen. „Simon."

Unsere beiden Namen zusammen klingen toll.

Nachdem ich gezahlt habe, werden wir zum anderen Ende des Tresens gescheucht, wo bereits die bestellten Donuts in einer kleinen Schachtel auf uns warten.

Ich trete unruhig von einem Fuß auf den anderen, denn ich wage es kaum, Simon neben mir anzusehen. In meiner Verzweiflung bewaffne ich mich mit drei dieser Holzstäbchen, die eigentlich dafür da sind den Kaffee umzurühren, und spiele mit ihnen herum.

„Die Teile schmecken aber hoffentlich nicht nach Fisch oder so", lacht Simon neben mir und deutet auf die beiden Stäbchen in meiner Hand, die ich in der Tat wie Essstäbchen halte und damit versuche, das Dritte vom Tresen aufzuheben.

Abrupt packe ich die hölzernen Dinger und werfe sie rasch in den Abfalleimer, der neben dem Tresen bereitsteht. „Sorry", murmle ich.

„Hey", macht Simon und legt seine Hand auf meine Schulter. „Ich ... ich erklär's dir gleich im Auto, okay?"

Ich schüttle den Kopf und fahre mit der Hand über meinen Nacken, nicht zuletzt, um mit dieser Bewegung dafür zu sorgen, dass er seine Hand von meiner Schulter nimmt.

Es war anders, als Shawn in seinem Körper steckte. Da war es auch merkwürdig, aber irgendwie konnte ich mich schnell daran gewöhnen. Jetzt ist da wieder nur diese Nervösität, gepaart mit dem Empfinden, dass er eigentlich nicht hier sein will und alles in mir fühlt sich verwirrt.

Selbst die Verwirrung ist verwirrt, würde Daphne sagen, wenn sie jetzt hier wäre.

„Eric und Simon!", ruft ein Junge, der kaum älter sein kann als wir und schiebt zwei weiße Pappbecher über den Tresen.

Das unsere Namen gemeinsam in einem Satz schon wieder ein Bauchkribbeln in mir auslösen, versuche ich mir nicht anmerken zu lassen.

Ehe ich reagieren kann, haben Simons lange Finger beide Becher umschlossen und er geht mit ihnen in den Händen aus dem Café.

Wieder zurück im Auto falte ich zunächst die Liste, die mein Dad nach langem Suchen auf einem der anderen Schreibtische gefunden hat, auseinander und überschlage im Kopf, wie lange wir in etwa brauchen werden, um die Adressen abzufahren.

„Eric", beginnt Simon und seine Hände umschließen das Lenkrad. „Ich ... ich hab nicht alles erzählt von dem Traum."

Ich runzle die Stirn und hebe langsam den Kopf, um ihn anzusehen. „Musst du auch nicht."

Er blickt nach vorn durch die Windschutzscheibe, seine Lippen fest aufeinandergepresst. „Doch ... ich ... da war noch mehr, aber das eine ist ... unangenehm und das andere ist ... auch unangenehm, aber anders. Dafür muss ich so viel erklären und–"

Er sieht unendlich zerrissen aus und mir tut mein abweisendes Verhalten sofort leid.

Sanft lege ich meine Hand auf seinen Unterarm und lächle ihn aufmunternd an. „Du musst gar nichts erklären, okay? Wenn es unangenehm ist, egal auf welche Weise, musst du nicht–"

„Wir haben uns geküsst", unterbricht er mich.

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