24 - In Mathe bin ich ganz gut

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„Und?", frage ich neugierig und schiele Simon schmunzelnd von der Seite an. „Kannst du eine beinabbeißende, namenlose, orange Raupe toppen?"

Er kichert und hebt zögerlich die Schultern. „Ganz so spektakulär war es bei mir nicht, fürchte ich." Auf einmal wird sein Gesicht wieder ernst und nachdenklich, so wie er seine Stirn runzelt und vor sich nach vorn auf den Gehweg starrt. „Aber es war so ..."

Seine blau-grünen Augen mustern mich einen Moment. „Echt."

Ich kann nur nicken und mein Fahrrad weiter neben mir herschieben.

„Du sagst es keinem?", möchte er sich erneut bei mir vergewissern und nun bin ich derjenige, der stehenbleibt.

„Du musst es mir nicht erzählen, Simon. Wir können auch über was anderes reden oder ..." Ich zucke mit den Schultern. „Auch einfach gar nicht."

Er tritt einen Schritt auf mich zu und legt seine Hand auf den Sattel meines Fahrrads. „Aber ... du bist der Einzige, mit dem ich darüber reden kann", flüstert er kaum hörbar und sieht dabei unendlich verloren aus.

„Ich höre dir gern zu", antworte ich mit einem aufrichtigen Lächeln und versuche dabei, die Schmetterlinge in meinem Bauch mittels Gedankenkraft zu beruhigen. „Und ich werde nichts sagen und nicht lachen oder dich für verrückt halten. Und immerhin wurde dir auch kein Bein abgebissen."

Simon lächelt schief, seine Augen zeigen mir jedoch, dass er in Gedanken ganz woanders ist. Er geht wieder einen Schritt zurück, steckt seine Hände zurück in die Hosentaschen und geht langsam weiter.

Ich schiebe mein Fahrrad erneut an und bemühe mich, ihn nicht von der Seite anzustarren.

„Ich ... ich war irgendwie wach, aber gleichzeitig auch nicht", erzählt er los, während ich ihm gespannt lausche. „Ich glaube, ich bin mit Ryans Auto gefahren und dann war ich zu Hause. Mein Dad und ich mussten ..." Er stockt kurz und schüttelt den Kopf, ehe er weiterspricht. „Es war so ganz normales Zeug irgendwie, aber dann war ich bei dir zu Hause."

„Bei mir?" Ich bemühe mich, Ahnungslosigkeit vorzuspielen. „Weißt du denn überhaupt, wo ich wohne?"

Simon zuckt mit den Schultern. „In dem Traum wusste ich es auf jeden Fall." Nachdenklich zieht er seine Stirn kraus. „Ich bin auch durch ein Fenster reingeklettert, weil deine Eltern mich aus irgendeinem Grund nicht sehen durften."

„Oh, okay", mache ich und beiße mir auf die Innenseite der Wange. „Und ... und dann?"

Simons Wangen färben sich in einem leichten Pink und er weicht meinem Blick aus.

Ich runzle die Stirn. Ein „Wir haben doch nur Filme geschaut" liegt mir auf der Zunge, aber selbstverständlich darf ich das unter keinen Umständen laut sagen.

„Äh ... wir ... haben uns unterhalten", lügt er, sein Blick huscht überall hin, als wollte er um jeden Preis verhindern mich anzusehen.

Die Erkenntnis trifft mich so hart wie ein Schlag in die Magengrube.

Für einen Moment bin ich nicht sicher, was mehr schmerzt. Dass er mich anlügt oder die Tatsache, dass er sich schämt, dass wir in einem Bett gelegen haben oder einfach die Kombination aus beidem.

Ich räuspere mich und straffe meine Schultern, um mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. „Das klingt jetzt nicht so aufregend, um ehrlich zu sein." Um meiner Coolness noch etwas mehr Wirkung zu verleihen, lache ich lässig hinterher, obwohl mir gerade gar nicht nach Lachen zumute ist.

Zu meiner Erleichterung haben wir das Büro meines Vaters fast erreicht, ich kann ihn auf der anderen Straßenseite durch die Glasfront an einem der Tische sitzen sehen.

Simon hebt aufgeregt die Hände und wedelt damit herum. „Nein ... du verstehst nicht ... es war so real und dann lag da heute früh dieser Zettel, von dem ich mich erinnere, dass ich ihn geschrieben habe."

Wie gern würde ich ihm einfach sagen, dass ich ihn verstehe. Dass ich weiß, dass all die Dinge stattgefunden haben, die er geträumt hat. Aber ich weiß auch, dass er mir nur einen Bruchteil dessen erzählt hat und ich mit den Puzzleteilen, die er mir anbietet, kein schlüssiges Bild für ihn zusammensetzen kann, ohne mich zu verraten.

Und dann würde diese Unterhaltung eine komplett andere Wendung nehmen.

Ich atme also tief durch und bleibe abermals stehen, da wir ohnehin an der Straße warten müssen, bis der Verkehr nachlässt. „Und auf dem Zettel steht, dass ich dir helfe. Wobei soll ich dir denn helfen? Hausaufgaben? In Mathe bin ich ganz gut, aber wenn es um diese langweiligen Zahlen in Geschichte geht, bin ich eher nicht so eine Hilfe."

Simon schüttelt wild den Kopf und–

„Hey Eric!", ruft jemand und wir drehen unsere Köpfe ruckartig in die Richtung. Mein Vater steht auf der anderen Straßenseite und fuchtelt mit seinen Armen, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Ihr kommt genau zur richtigen Zeit!"

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