10 - Ich war ein Arsch

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Der Duft von Kaffee und frischen Pancakes weckt mich am nächsten Morgen und als ich verschlafen unter meiner Decke hervorblinzle, hat Daphne allen Ernstes ein Tablett mit einem kompletten Frühstück auf ihrer Matratze ausgebreitet.

„Hey", murmle ich mit belegter Stimme. „Was wird das denn?"

Sie wackelt fröhlich mit ihrer Lockenmähne und reißt ein Stück Teig von einem der Pancakes ab, um es sich in den Mund zu stopfen. „Naja, du hast eben die beste Freundin der Welt und ich wollte dir einen großartigen Start in den Tag ermöglichen."

Kritisch betrachte ich sie. „Ist das so?"

„Musst du vielleicht erst pinkeln? Mit Morgenlatte isst es sich bestimmt nicht so entspannt." Sie rührt in einer der beiden dampfenden Tassen und ich stöhne genervt auf.

„Danke, jetzt glaube ich dir, dass alles normal ist." Ächzend krabble ich aus dem Bett und husche vorn übergebeugt ins Badezimmer. Sicherlich hat sie recht mit ihrer Aussage, aber auch wenn sie meine beste Freundin und dazu eben noch ein Mädchen ist, muss sie die Bestätigung nicht mit eigenen Augen sehen.

Als ich zurück in mein Zimmer will, kommt meine Mom die Treppe nach oben. „Hey Schatz", begrüßt sie mich und streichelt mir über den Kopf. „Alles okay bei dir?"

Verwundert schaue ich mich um. „Ja, alles gut", gebe ich skeptisch zurück. „Bei dir auch?"

Sie lächelt und nickt. „Hast du gestern mit Simon reden können?"

Und ich ahne etwas. Daphne hat geredet. Ich weiß nur nicht wieviel.

„Äh ... ein bisschen ..."

Das Lächeln meiner Mutter wird noch breiter und ihre dunklen Augen mustern mich neugierig. „Und? War er nett?"

„Kön-Können wir das vielleicht später noch weiter besprechen, Mom? Daphne und ich wollten gerade frühstücken."

Und Daphne wollte sich eine Abreibung von mir holen, weil sie mir versprochen hat nichts zu sagen.

Mom nickt und streichelt mir liebevoll über die Wange. „Okay, ich bin unten, wenn ihr noch was braucht."

„Danke Mom", rufe ich, ehe ich zurück in mein Zimmer schlüpfe und die Tür zudrücke.

Daphne sitzt auf der Matratze und zieht gelangweilt die Haut von einer Weintraube ab, als ich mich vor ihr aufbaue.

„Du hast versprochen, nichts zu sagen!", zische ich wütend.

Ihre grünen Augen schauen unschuldig zu mir auf und sie hebt abwehrend die Hände. „Sie hat mich gelöchert mit Fragen! Ich kann doch deine Mom nicht anlügen!"

Was hast du ihr erzählt?", verlange ich.

Fuck! Das wäre alles nicht ansatzweise so schlimm, wenn der echte Simon mich geküsst hätte. Wahrscheinlich hätte ich direkt eine Chatgruppe gegründet und meine Eltern und Daphne eingeladen! Aber jetzt bin ich genauso ahnungslos wie vorher, der echte Simon weiß noch immer nicht von meiner Existenz und noch viel schlimmer – irgendwie muss ich vor ihm und Daphne erklären, warum er und ich uns geküsst haben, obwohl er nicht mal dabei war. Ganz abgesehen davon, dass mein Bruder sich dazu entschlossen hat, kurzfristig von den Toten zurückzukehren, aber hey! Ihr müsst mir glauben, ich bin nicht verrückt!

Daphne steht langsam auf und legt ihre Hände auf meine Schultern. „Nicht viel. Nur, dass ihr geredet habt. Von dem Kuss hab ich nichts gesagt. Ehrenwort! Eric, warum bist du so aufgebracht deswegen? Hat er irgendwas gesagt, was gemein war?"

Fahrig gehe ich mit meinen Fingern durch meine Haare. „Nein, hat er nicht."

„Was ist es denn dann? Solltest du dich nicht freuen?" Die Sorge ist ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.

„Solltest du dich nicht raushalten?", meckere ich. „Vielleicht will ich auch einfach erst mal selbst sortieren und nicht immer gleich alles mit dir und meinen Eltern besprechen!"

Daphnes Mund presst sich zu einer schmalen Linie zusammen und sie senkt betreten den Blick. „Okay. Tut mir leid."

Fuck, ich war richtig gemein zu ihr.

Sie tapst von der Matratze und sucht ihre Sachen, die auf meinem Stuhl in der Ecke liegen, zusammen.

„Daph", rufe ich und lasse niedergeschlagen die Arme hängen. „Bitte bleib."

„Du möchtest erst mal sortieren, das ist schon okay", antwortet sie knapp und sucht ihre kleine Kulturtasche, die immer in einem Fach in meinem Regel steht, hervor.

Als sie sich an mir vorbeidrücken will, packe ich ihren Arm und halte sie fest. „Bleib bitte hier. Ich war ein Arsch."

Sie sagt nichts, schaut nur geradeaus zu meiner geschlossenen Zimmertür.

„Komm, lass uns frühstücken und wir reden über Tweedle– äh ... den Typen, der auf dich steht, ja? Bitte?"

Sie schnaubt leise und lässt ihre Sachen auf den Boden neben der Matratze fallen.

Ich ziehe sie an mich und schlinge meine Arme um sie, mein Kinn ruht auf ihrem Lockenkopf. „Wir reden noch drüber, okay?", flüstere ich. „Lass mir einfach ein bisschen Zeit."

Sie seufzt, legt aber schließlich doch ihre Arme um meine Mitte und nuschelt undeutlich an meinem T-Shirt: „Woher weißt du das mit dem Zwilling überhaupt?"

Unwillkürlich muss ich lachen und ziehe sie mit mir auf die Matratze. Mit der Kaffeetasse, die, ganz wie ich es mag, halb mit Milchschaum und halb mit Kaffee gefüllt ist, in der Hand erzähle ich ihr, wie der betrunkene Ryan mich gefragt hat, ob wir noch mitfahren wollen, weil Tom auf sie abfährt.

Daphnes Augen sind besorgt geweitet. „Er wollte betrunken fahren?"

Ich presse meine Lippen aufeinander und nicke. „Ja, aber Simon hat ihm den Autoschlüssel abgenommen und er ist dann gefahren."

Das war keine Lüge. Simons Körper ist ja wirklich gefahren.

Daphne legt schwärmerisch die Hand auf ihre Brust und legt seufzend ihren Kopf auf meine Schulter. „Kann er noch perfekter sein?"

Ich schubse sie leicht von mir und schaue sie böse an. „Dieses Thema gerade nicht", erinnere ich sie.

Mit einem entschuldigenden Blick schlürft sie von ihrem Kaffee und sieht dabei aus wie ein kleines Katzenbaby.

„Weißt du denn jetzt, welcher von den beiden Tom ist und ... wie zum Teufel heißt der andere?" Ich kratze mir grübelnd den Kopf.

Daphne verdreht ebenfalls nachdenklich die Augen. „Ich glaube, der andere heißt Tim. Auch richtig blöd von den Eltern, denen so ähnliche Namen zu geben, wenn die auch so gleich aussehen." Sie kichert. „Bestimmt haben sie die schon acht Mal oder so vertauscht und wissen selbst nicht mehr, wer eigentlich wer von denen ist."

Ich lache und nicke zustimmend. „Und irgendwann haben sie sich einfach gedacht, dass es egal ist!"

Während Daphne einen weiteren Pfannkuchen mit den Fingern zerpflückt, gehe ich zu meinem Regal und ziehe das Jahrbuch vom letzten Jahr hervor. „Komm, wir schauen einfach nach!"

Sie reißt mir das Buch aus der Hand und beginnt sofort, darin zu blättern.

Währenddessen greife ich nach meinem Handy und öffne den Chat mit S.

Ob ich ihm wohl schreiben soll?

Begeisterung | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt