12 - Geh duschen, du Stinker

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Ich stocke und starre auf den Bildschirm.

Er ist nicht in der Stadt? Wo zur Hölle kann er sein?

Okay, ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung, was Simon Donovan an einem Wochenende so treibt, aber irgendwie hatte ich mir immer vorgestellt, dass er ausschläft und dann vielleicht etwas mit Freunden unternimmt, wie gestern abends auf Partys ist und gelegentlich mal Football spielt.

S.

Und wo bist du dann?

Gerade im Auto mit
seinem Vater.

Okay. Und weißt du,
wann ihr zurückkommt?

Weißt du, was er an den
Wochenenden macht?

Ich runzle die Stirn.

Wieso fragt er mich das?

S.

Nein, woher sollte ich?

Ich melde mich, wenn
wir zurück sind, okay?

Du machst mir Angst.

Als meine letzte Nachricht nur noch einen Haken erhält und mir somit signalisiert, dass sie noch nicht zugestellt geschweige denn gelesen wurde, lasse ich frustriert das Handy neben mir auf die Matratze fallen.

Was macht Simon am Wochenende mit seinem Vater, das Shawn mir nicht einfach schreiben kann?

Was, wenn der echte Simon aufwacht und Shawn es mir nicht sagen kann? Gehe ich dann in der Schule zu ihm und frage ihn einfach so: ‚Hey, was machen du und dein Dad eigentlich so am Wochenende? Versenkt ihr Leichen im Moor? Kann ich auch mal mitkommen? Ich wollte das schon immer mal machen.'

Ich wünschte, ich könnte mit irgendwem über diese ganze Sache reden. Daphne würde mir wahrscheinlich den Kopf waschen, weil meine Fantasie wieder einmal mit mir durchgeht.

Höchstwahrscheinlich fahren sie nur zum Angeln oder bauen Modellflugzeuge, die sie am Wochenende irgendwo fliegen lassen.

Shawn hat sich in unseren Textnachrichten bisher ohnehin zurückgehalten, was ganz gut ist in Anbetracht der Tatsache, dass Simon jederzeit aufwachen und die Kontrolle über seinen Körper zurückgewinnen könnte.

„Grübelst du etwa immer noch über diese Zwillingssache nach?", fragt Daphne, die gerade wieder ins Zimmer kommt. Ihre lockigen Haare sind noch ganz feucht vom Duschen und reichen ihr dadurch fast bis zum Hintern. „Oder hast du wieder mit Simon geschrieben?"

„Was machen wir denn heute noch Schönes?", lenke ich vom Thema ab und krabble von der Matratze. „Wollen wir ins Einkaufszentrum?"

Skeptisch hebt meine beste Freundin eine Augenbraue und stemmt eine Hand in die Hüfte. „Du willst freiwillig mit mir shoppen?"

Ich zwinkere ihr zu. „Nun, als ich letztes Wochenende mit meiner Mom da war, habe ich ein paar Jungs aus dem Footballteam in diesem Diner dort sitzen sehen. Schien so, als würden die da öfter abhängen."

„Ich hasse dich, weißt du das?", knurrt sie. „Du willst doch nur Simon anhimmeln."

Ich winke ab und wühle in meinem Kleiderschrank nach ein paar Klamotten, die ich anziehen könnte. „Der wird bestimmt gar nicht da sein."

„Hat er dir das etwa geschrieben?"

Oh, oh. Daphne ist direkt wieder im Verhörmodus.

Wild schüttle ich den Kopf. „N-Nein, letztes Mal war er auch nicht dabei."

„Aber vielleicht ja dieses Mal", singt sie und hüpft freudig durch mein Zimmer.

„Vielleicht ist auch Tom da", singe ich im gleichen Ton zurück und unterbreche ihr Getanze damit sofort.

„Ich hasse dich", zischt sie.

Ich kneife meine Augen ebenfalls zu Schlitzen zusammen und äffe sie nach.

Lachend rollt sie mit den Augen und beginnt, die Reste unseres Frühstücks auf dem Tablett zusammenzusammeln. „Geh duschen, du Stinker. Ich frag deine Mom, ob sie uns fährt."

Seufzend schließe ich den Schrank. „Wir können doch auch den Bus nehmen."

„Das sagst aber du ihr", befiehlt Daphne und bedeutet mir mit einem Nicken die Tür zu öffnen, da sie das Tablett in der Hand hält.

•••

„Es macht mir nichts aus und ich hole euch ab!", sagt meine Mutter wenig später in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet.

„Ich muss heute aber zu Hause schlafen, weil meine Eltern auf den monatlichen Familienspieleabend bestehen", versucht Daphne meine Selbständigkeit zu retten, doch ich weiß bereits, dass dies kein Argument ist, das meine Mutter auch nur ansatzweise überzeugen könnte.

Seit Shawns Tod möchte sie mich zu fast jedem Ort fahren. In den ersten Wochen durfte ich nicht mal den Schulbus benutzen.

Als meine Mitschüler, inklusive Daphne, im letzten Jahr alle anfingen ihren Führerschein zu machen, kam das Thema bei uns zu Hause nur einmal auf und endete damit, dass meine Mom sich weinend im Schlafzimmer einschloss.

Ich weiß, wie schwer es für sie ist, die Dinge zu trennen und darum habe ich mich damit abgefunden. Für ihren und meinen Seelenfrieden.

„Dann fahre ich dich nach Hause, Liebes", lächelt meine Mom meine beste Freundin an. „Das mache ich gern."

Daphne schaut entschuldigend zu mir, ehe sie das Lächeln meiner Mom erwidert. „Danke, Mrs. T., das ist sehr lieb."

•••

Vor dem Haupteingang des Einkaufszentrums dreht Daphne sich zu mir, nachdem das Auto meiner Mutter aus unserem Blickfeld verschwunden ist. „Meinst du nicht, es wäre gut, wenn sie irgendwann damit aufhört, Eric?"

Ich seufze und schüttle den Kopf. „Sie möchte einfach sichergehen, dass mir nichts passiert, Daph."

„Aber ... es war ein Unfall, Eric. Du kannst dich nicht dein Leben lang von deiner Mutter wie in einem Taxi umherfahren lassen." Sie verschränkt die dünnen Arme vor der Brust.

Genervt rolle ich mit den Augen. „Müssen wir das jetzt diskutieren, Daphne? Ernsthaft? Lass es doch einfach!"

Entschuldigend streicht sie über meinen Oberarm. „Ich mache mir doch nur Sorgen."

Schnaubend stoße ich ihren Arm weg. „Musst du nicht. Es war schon schlimmer und es wird auch irgendwann besser. Und wenn du das jetzt weiter diskutieren willst, rufe ich sie an und fahre nach Hause."

Sie schüttelt schnell den Kopf, ihre Locken nun wieder gekräuselt und wirr wie immer. „Nein, schon gut. Tut mir leid, okay?"

„Okay", brumme ich mürrisch.

Sie hakt ihren Arm bei mir unter und zieht mich durch den Eingang. „Komm, lass uns eine Runde drehen und schauen, ob wir hübsche Footballspieler sehen."

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