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"Aber...du bist tot?"
Das ist nicht real. Im Ernst. Das kann  nicht real sein.
Alex ist schon vor Monaten gestorben. Das ist das, was mir in Dauerschleife durch den Kopf ging, während ich in sein Gesicht starrte.
In diese faszinierend blauen Augen, von denen ich dachte sie niemals wieder sehen zu können.
Seine blonden Haare wirkten wie flüssiger Honig.
Er war so atemberaubend schön, dass es schon fast körperlich weh tat ihn anzusehen.
Mein Herz hämmerte so vehement gegen meine Rippen, als wolle es mir aus der Brust springen. Zu ihm. 
Als hätte es nicht ohnehin die ganze Zeit ihm gehört. 
Ich stützte mich an der Liege ab, während ich mit zittrigen Knien den Raum durchquerte.
Das war ein Wunder.
Der Anblick seiner scharfen Gesichtszüge, die ich so sehr vermisst hatte, ließ meinen Mund trocken und meine Augen feucht werden. 
"Nein, ich bin nicht tot.", sagte er leise. Der Klang seiner sanften, kratzigen Stimme gab mir den Rest. 
Mein Körper wurde von einem heftigen Schluchzen erschüttert.
Alex war am Leben.
Die ganze Zeit. Er war nie tot.
Es war unfassbar. Ich hatte ihn nie für immer verloren.
Meine Gefühle drohten mich zu überwältigen. 
"Emma? Geht es dir gut?" Ich bemerkte die Panik in seinen Augen, doch ich war nicht in der Lage zu antworten. Verdammt, ich konnte ihn nur ehrfürchtig anstarren und dafür beten, dass mein Verstand mir keinen irrwitzigen Streich spielte. 
Obwohl ich völlig am Ende war, breitete sich eine überwältigende Wärme in mir aus.
Meine Welt war innerhalb weniger Stunden vom schlimmsten Albtraum zum schönsten Paradies geworden. 
Mein Atem ging unkontrolliert und viel zu schnell. 
"Ja...Ich...ich habe den Verstand verloren, weil ich dachte, dass ich dich verloren hätte. Aber du bist hier. Wie?"
Ein schmerzverzerrter Ausdruck huschte über Alex' Gesicht.
Gott, ich wollte ihm all seine Schmerzen aus diesem unglaublichen Gesicht küssen.
Meine Gedanken und dieses überwältigende Bedürfnis nach seiner Nähe erschreckten mich selbst. 
Aus Angst zu weit zu gehen verschränkte ich hastig die Hände hinter meinem Rücken. 
Eine Minute lang blieb es still. Er öffnete ein paarmal den Mund, als würde er etwas sagen wollen, aber im letzten Moment hielt er sich immer zurück.
Als er schließlich sprach war seine Stimme leise und schmerzerfüllt:
"Ich wurde für eine bedeutende Mission angefragt. Die Vorraussetzung war, dass ich meinen eigenen Tod vortäusche und eine Weile untertauche."
Seine Worte stachen so tief in mein Herz, dass ich einen erstickten Laut nicht unterdrücken konnte.
Er hatte das alles geplant? 
Ich schloss meine Augen, unfähig all diese neuen Informationen zu verarbeiten.
"Aber...ich verstehe das nicht. Wie konntest du das tun?", flüsterte ich mit gebrochener Stimme.
Alex' Gesichtszüge verhärteten sich. Ein distanzierter Ausdruck legte sich über das tiefe Blau seiner Iris.
Dieser verdammte Abstand zwischen uns trieb mich in den Wahnsinn.
Mein gesamtes Dasein schrie danach mich in seine Arme zu werfen und ihn nie wieder loszulassen.
Doch die Art, wie Alex mich nun ansah, hielt mich davon ab.
"Ich bekam das Angebot an dem Nachmittag bevor wir uns im Café getroffen haben. Hast du etwa unser nettes Gespräch vergessen, in dem du mir mehr als deutlich gesagt hast, dass ich mich von dir fern halten soll? Ich hatte das Gefühl, es wäre besser für alle Beteiligten, wenn ich das Angebot annehme und eine Weile von der Bildfläche verschwinde."
Das was geschehen war, traf mich mit der Wucht einer Abrissbirne und ließ mein Wolkenschloss einstürzen.
Eine Welle der Schuld überflutete mich.
Das alles ist nur wegen mir passiert.
Meine Kehle war plötzlich, wie zugeschnürt.
"Es tut mir so leid. Das war ein Fehler." Erneut sammelten sich Tränen in meinen Augen.
"Ich habe dich angelogen. Ich empfinde so viel für dich. Ich l-"
"Schon gut. Ist jetzt sowieso egal. Es ist viel Zeit vergangen.", schnitt Alex mir das Wort ab.
Die Kälte in seiner Stimme ließ mich frieren und verursachte den schlimmsten Splitterbruch, den ein Mensch erleiden kann.
Ein gebrochenes Herz.
"Aber ich-"
"Emma, bitte. Ich kann das jetzt nicht." Seine Maske bekam für den Bruchteil einer Sekunde Risse und zeigte mich die Traurigkeit hinter der Härte seiner Fassade. 
Scheiße, was hatte ich getan? 
Die Kälte der Schuld konnte die Wärme des Wissens darum, dass Alex gar nicht tot war, jedoch nicht im Geringsten erlischen lassen.
Wie oft hatte ich mir ausgemalt Alex noch einmal sehen zu dürfen.
Die Dinge, die ich ihm dann sagen würde.
Doch jetzt bekam ich kein einziges Wort raus. 
Eine Weile sahen wir uns nur stumm an. 
Ein Blick von ihm fühlte sich, wie 1000 kleine Stromschläge an. 
Ich war eine verwelkte Blume, die endlich ihre Sonne wiedergefunden hatte.
Mir wurde heiß. Die Luft knisterte.
Das Spannungsfeld zwischen uns drohte meine Nerven zu zerreißen.
Als ich bemerkte, wie sein Blick über meinen Körper wanderte, hielt ich es nicht länger aus.
Ich machte einen weiteren Schritt auf Alex zu, doch ehe ich ihn berühren konnte, durchbrach er die Stille.
"Was ist passiert? Was hat dieser Kerl mit dir gemacht?" Er presste seine Zähne so stark aufeinander, dass seine Kieferknochen stark hervorstanden.
Seine Halsschlagader zeichnete sich deutlich ab und verriet mir, dass Alex' Puls genauso schnell raste, wie mein eigener.

Ich räusperte mich. Meine Stimme war noch immer sehr kratzig, da ich in den letzten Wochen nicht viel gesprochen hatte.
"Er hat erfahren, dass ich dieses besondere Gen trage und sollte im Auftrag der Mafia herausfinden, wie man das an andere Menschen weitergeben kann um eine Art Supersoldat zu erschaffen. Er hat mir Medikamente verabreicht und verschiedene Tests gemacht. Er wollte mir...Er wollte mein Gehirn entnehmen, als du gekommen bist und mich gerettet hast. Du hast mein Leben gerettet. Ich weiß nicht, wie ich dir jemals danken kann."
Bei der Erinnerung daran durchlief mich ein Schauer.
Alex' hatte seine Hände zu Fäusten geballt. Seine Knöchel traten weiß hervor. Jeder seiner Muskeln schien zum Zerreißen gespannt.
"Hat er dich angefasst?"
Hastig schüttelte ich den Kopf. 
"Nur soweit, wie er es für seine Untersuchungen benötigte."
Alex nickte knapp. Am Liebsten würde ich die ganzen letzten Wochen vergessen. Leider war das nicht möglich.
"Wie hat er davon erfahren?"
Nervös begann ich auf meiner Unterlippe zu kauen. 
"Ich war bei einer Therapeutin...Um na ja, über alles was passiert ist zu reden. Ich habe ihr vertraut. Er war hat bei ihr gearbeitet. Hast du irgendetwas mitbekommen von dem was passiert ist, seitdem du untergetaucht bist?"
Alex seufzte schwer und fuhr sich durch seine wirren Haare.
"Nein. Ich konnte nicht riskieren, dass jemand Parallelen zu meinem alten Leben ziehen kann. Es wäre zu gefählich für euch gewesen."
Ich schluckte schwer. 
"Und ist die Mission jetzt beendet?"
Alex nickte. 
"Ja. Gestern wollte ich zurückkehren und habe dann von deiner Entführung erfahren. Die Vollidioten von der örtlichen Polizei haben einen Scheiß getan." Seine Stimme zitterte vor unterdrückter Wut. 
Schon wieder meldete sich diese verdammte Schmetterlingsarmee in meiner Magenregion. 
Himmel, ich war Alex mit Haut und Haar unwiderruflich verfallen.
Unwillkürlich breitete sich ein Lächeln auf meinen Lippen aus.
"Danke."
Ich spürte, wie Alex sich ein wenig entspannte. 
"Immer." 
Mein Herz schlug Purzelbäume.
"Ich glaube ein paar andere Leute würden sich auch darüber freuen zu hören, dass es dir gut geht." Mit diesen Worten hielt er mir sein Handy entgegen.
Allein der Gedanke endlich mit Elias sprechen zu können trieb mir erneut Tränen des Glücks in die Augen.

GeneticWhere stories live. Discover now