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Nate räusperte sich verlegen und kratzte sich am Hinterkopf. "Was das angeht... Darüber wollte ich schon eine ganze Weile mit dir sprechen."

"Worüber?", fragte ich und blieb stehen um ihn ansehen zu können. Warum war er so nervös? Ich war es doch nur. Er konnte seit Jahren über ausnahmslos alles mit mir sprechen. Jeder noch so eigenartige Traum, jede Peinlichkeit oder Gedanken, die man selbst nicht einmal richtig verstand: Ich hatte nie nur eine Sekunde gezögert all diese Dinge mit Nate zu teilen. 

Doch jetzt stand er vor mir und die Zweifel standen ihm so unübersehbar wie nie zuvor ins Gesicht geschrieben. Ein flaues Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Hatte ich in letzter Zeit etwas übersehen? Hatte ich überhaupt richtig auf Nate geachtet? Was wenn es ihm nicht gut ging? Mein Herz begann zu rasen und ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals.

"Nate? Kannst du bitte etwas sagen? Ich drehe sonst langsam durch.", krächzte ich. 

"Tut mir leid. Es ist nur... ich habe mir das anders vorgestellt. Wir kommen gerade aus dem Krankenhaus, weil ein verschissener Wichser dir K.O. Tropfen untergejubelt hat. Ich hatte eine Scheißangst als du plötzlich umgekippt bist und der Gedanke was dieser Penner mit dir machen wollte, wenn du wehrlos bist... Ich kann nicht einmal darüber nachdenken." Nate ballte seine Hände zu Fäusten. 

"Hey. Es ist nichts passiert." Ich strich beruhigend durch sein Haar. Wow, warum war mir nie aufgefallen, wie weich Nates Haare waren? Eine wohlige Wärme breitete sich in meinem Inneren aus. "Dank dir geht es mir gut. Das ist das Einzige, was zählt." Ich zwang mich zu dem glücklichsten Lächeln, was ich gerade zustande brachte. Diese Nacht hatte mir mehr Kraft geraubt, als ich zugeben wollte.

"Du hast Recht. Eigentlich ist es nur wichtig, dass wir jetzt und hier zusammen sind. Emma... Ich... Es macht mir eine Scheißangst das jetzt auszusprechen und ich kenne mich mit solchen Dingen überhaupt nicht aus, denn ich habe so etwas noch nie zuvor für jemanden empfunden. Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll. Doch, eigentlich weiß ich es schon. Ich spreche es jetzt einfach aus." Ich hielt die Luft an. Nates Blick war wo intensiv, dass sich eine Gänsehaut über meinem gesamten Körper ausbreitete. 

"Ich habe mich in dich verliebt. Und es macht mir eine verfluchte Angst, aber ich kann und will es nicht unterdrücken." 

Hormone explodierten wild in meinem Körper und brachten mein Herz zum rasen. Mein Kopf hingegen war wie leer gefegt. Die einzige Frage, die hysterisch schreiend durch meine Gedanken geisterte war "Wie kann das sein?". Ich weiß nicht wie lange wir uns einfach nur stumm ansahen. Ich war nicht in der Lage mich zu rühren, fühlte mich wie eingefroren. Das vertraute Braun, was ich so sehr liebte, wurde von Minute zu Minute verzweifelter.

Ich wollte etwas sagen, ihn beruhigen, ihm versichern, dass er mir ebenso viel bedeutete, doch ich brachte kein Wort über die Lippen. 

"Fuck, ich bin so ein verdammter Idiot." Nate wandte sich fluchend von mir ab und riss mich damit aus meiner Starre. Meine Gedanken begannen zu rasen. Ich liebte meinen besten Freund. Daran bestand kein Zweifel, doch war ich auch in ihn verliebt? Plötzlich hatte ich den Moment im Club wieder vor Augen. Wir hätten uns fast geküsst. Hatte das etwas zu bedeuten? 

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ich wusste es nicht. Erst diese Woche hatte ich mit seinem Bruder herumgeknutscht. Doch das war nur sehr starke Anziehung, oder? Aus Alex und mir konnte sowieso nichts werden. Ich war so dämlich. Wenn mein bester Freund das erfahren würde, würde es ihm das Herz zerreißen.

Nate war derjenige, der immer an meiner Seite war. Diese Nacht war das beste Beispiel dafür. Aber er war mein bester Freund. Ein unangenehmes Kribbeln breitete sich in meiner Magenregion aus.

Ich machte einen Schritt auf ihn zu. "Nate?" Er wandte sich mir zu und als ich den verletzten Ausdruck in seinem Gesicht sah zerbrach etwas in mir. Scheiße, was tat ich hier eigentlich? Nate war der Mensch, der immer alles für mich getan hatte. Bereits im Kindergarten hatte er mich verteidigt, wenn die anderen Kinder mich ärgerten. Er hatte sich jedes einzelne meiner Probleme angehört, mich aufgeheitert und unterstützt, egal wie schwachsinnig meine Einfälle auch waren. Er brachte mich selbst in den dunkelsten Stunden zum Lachen und hatte mein ganzes Leben auf eine so besondere Art bereichert, wie kein anderer. 

Jetzt legte er mir sein Herz zu Füßen und ich sollte es zertrampeln? Das konnte ich nicht. Niemals. War ich es ihm nicht schuldig es wenigstens zu probieren? 

Ich spürte meinen rasenden Puls in jeder Faser meines Körpers. "Entschuldige. Ich hätte direkt etwas sagen sollen. Das kam nur sehr überraschend." Unruhig spielt ich am Saumen meines T-Shirts. "Dieser Moment im Club zwischen uns. Da war etwas. Ich weiß nicht was das zu bedeuten hat und vielleicht habe ich es unbewusst verdrängt, weil ich dich nicht als besten Freund verlieren wollte. Aber das war falsch. Nate, du bist mir unendlich wichtig, das weißt du. Vielleicht ist da auch mehr, als Freundschaft. Ich..." Als ich den Blick hob und die zerbrechliche Hoffnung in seinen Augen erkannte erloschen auch die letzten Zweifel. 

"Lass es uns versuchen." Meine Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, doch ich wusste, dass Nate sie gehört hatte. 

Die plötzliche Wärme in seinem Blick umhüllte mich und nahm mich ganz und gar gefangen. Auf einmal zog er mich in eine feste Umarmung. Zärtlich strich er über meinen Rücken und jagte einen angenehmen Schauer über meine Wirbelsäule. Das konnte nicht falsch sein. Es musste richtig sein. 

Als wir uns voneinander lösten strahlte das Braun seiner Augen in einer Intensität, die mich sofort in ihren Bann zog. Etwas in der Luft zwischen uns hatte sich verändert. Hitze stieg in mir auf. Mein Herz raste. Nate sah mich so an, als wäre ich das Wertvollste, was er je zu Gesicht bekommen hatte. Als sein Blick auf meine Lippen fiel meldete sich plötzlich mein schlechtes Gewissen. Ich musste ihm erst erzählen was mit Alex vorgefallen war. 

"Ich muss dir dringend etwas beichten. Ich hatte etwas mit..." Nate unterbrach mich. "Emma, mir ist egal mit wem du früher mal etwas hattest. Ich möchte es gar nicht wissen. Ich weiß was ich fühle. Das Einzige, was für mich zählt ist das Jetzt, okay?" 

Nate wartete meine Antwort nicht ab. Stattdessen überbrückte er die letzten Zentimeter zwischen uns und legte seine Lippen auf meine. Der Kuss war so zärtlich und leicht, wie ein Windhauch. Eine wohlige Wärme breitete sich in meinem Inneren aus. 

Es war anders. Während jede Berührung von Alex mir den Atem raubte, hatte ich bei Nate das Gefühl nach langer Zeit endlich wirklich Luft zu bekommen. Es war nicht so lodernd und süchtig machend, wie mit Alex. Stattdessen setzte dieser Kuss all die zerbrochenen Teile in mir Stück für Stück wieder zusammen. 



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