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Felicia:
Erst jetzt bemerke ich Elira im Türrahmen. Ich bringe mich in eine aufrechte Position, wische über meine feuchten Augen und schaue sie dann erst richtig an. Sie starrt uns nur an. Natürlich tut sie das. Ihr wurde gerade eröffnet, dass ihre Freundin sie seit Wochen anlügt. Zudem hat sie uns gerade dabei gesehen wie ich mich an Leander geklammert habe, was ich ganz sicher nicht tun sollte.
„Ich habe dich eigentlich nur gesucht, um zu schauen, ob es dir gut geht?"sagt sie langsam.
„Was?" frage ich zittrig.
„Ob es dir gut geht?" wiederholt sie sich.
„Natürlich ist das mit deinen Eltern krass und so, aber dich deshalb jetzt zu meiden oder so... was wäre ich denn für eine Freundin, wenn ich dich in dieser Situation allein lassen würde?"
„Wirklich?" fragt ich leise.
„Ist mir doch egal wer deine Eltern sind. Und die ganzen Leute die sagen, dass du gefährlich bist und so weiter, haben glaube ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Wir verbringen seit Wochen jeden Tag zusammen. An dir ist doch nichts gefährlich."
„Kannst du das für dich behalten." unsicher schaue ich sie an.
„Das weiß doch jetzt sowieso schon jeder." sagt sie verwirrt und ich schüttle mit dem Kopf.
„Das weiß ich. Ich meine das was du gerade gesehen hast."
In ihrem Blick erkenne ich, das sie versteht das ich auf Leander und mich hinaus will.
„Wenn ihr mir das erklärt was ich gerade gesehen habe...also war das nur..." fängt sie anzureden, doch Leander unterbricht sie.
„Wir sind zusammen!"
Mit so einer klaren Antwort hat sie scheinbar nicht gerechnet. Ihre Augen öffnen sich und sie lässt sich auf die Bettkante sinken. Sie atmet laut aus.
„Okay... Ehm... wie?"
„Was wie? Wie wir zusammen sind?" fragt Leander verwirrt.
„Wie funktioniert das. Ich mein je stärker die Gefühle für die gegenüberstehende Person doch sind, desto schlimmer ist der Kontrollverlust. Also wie könnt ihr hier noch so friedlich nebeneinander sein?"
„Es war am Anfang auch schwierig. Ich habe Felicia quer durch den Wald geschleudert, aber es hat aufgehört. In manchen Situationen kommen die Elemente vielleicht noch, aber verbinden sich dann eher, statt sich zubekämpfen." erklärt Leander.
„Ich habe es ehrlich gesagt schon immer ein ganz bisschen gemerkt." gibt Elira zu und grinst.
„Wie?" frage ich.
„Der eine Abend als wir Wahrheit oder Pflicht gespielt haben, wisst ihr noch?"
„Jap..." knurrt Leander.
„Uh... als Du Felicia Noel geküsst hast... Leander du bist an Eifersucht fast geplatzt..."
„Gut bemerkt." gibt Leander zu.
„Außerdem war unser kalter, abweisender Kampfmeister plötzlich nett und hilfsbereit und hat gelächelt. Keine Ahnung... man merkt es einfach ein bisschen." sagt sie und lächelt uns liebevoll an. Sie wird es für sich behalten da bin ich mir jetzt ganz sicher.
Ihr Lächeln verschwindet schlagartig.
„Felicia... ich möchte dich schonmal vorwarnen. Die ersten Eltern haben es bereits erfahren und werden sich sicherlich bei der Schulleitung melden. Luise zum Beispiel, soll keinen Kontakt zu dir haben. Wenn sie sich daran nicht hält, wird sie von der SCE genommen."
Ich verziehe keine Miene. Ich habe es mir bereits gedacht, dass diese Information viel verändern wird. Neben mir spüre ich, wie Leander sich anspannt. Er ist unglaublich sauer, dass kann ich spüren. Ich merke aber auch, wie er es versucht zu unterdrücken. Er starrt angestrengt gegen die Zimmerdecke, ballt seine Hände so fest zu Fäusten zusammen, das seine Fingerknöchel schon weiß werden und sein Kiefer ist wie immer, wenn er wütend ist, angespannt. Vorsichtig schließe ich meine Hand um seine Fäuste und lächle vorsichtig.
„Schon gut..."
„Es ist nicht gut!" sagt er energisch.
„Es ist kompletter Schwachsinn, hier so ein Theater zu veranstalten nur weil deine Eltern, deine Eltern sind. Du wirst nicht plötzlich alle umbringen oder irgendeine Seuche verbreiten. Du solltest einfach ganz normal behandelt werden, wie vor ein paar Stunden noch. Es hat sich nichts geändert und jeder der das nicht versteht ist ein Idiot. Du kannst da nichts für und du kannst es auch nicht ändern!" er springt plötzlich aus dem Bett und stürmt Richtung Zimmertür.
„Leander..." sage ich erschrocken.
„Hey!" Elira hält ihn am Arm zurück.
„Du wirst auch nichts ändern können, wenn du da jetzt raus stürmst."
„Warum nicht!" er will sich losreißen.
„Leander hier ist das völlige Chaos ausgebrochen, niemand wird dir zuhören. Warte ab bis sich die Lage beruhigt hat."
„Ich muss doch irgendetwas machen."
„Ich geh und schau mir alles mal an. Und du bleibst hier. Lass Felicia jetzt nicht allein!" Elira überlässt ihm die Entscheidung und lässt seinen Arm wieder los. Leander dreht sich wieder zu mir um und überlegt eine Weile lang. Entscheidet sich aber doch dafür, bei mir zu bleiben. Während Elira hinter sich die Zimmertür schließt, setzt sich Leander wieder neben mich.
„Wie geht es dir?"
„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich weiß nicht wie es da draußen ist, wie alle auf mich jetzt reagieren werden. Es macht mich unruhig, nicht zu wissen wie es weiter geht." gebe ich zu.
„Das wird schon alles." vorsichtig streicht er mir eine meiner Haarsträhnen aus dem Gesicht und nickt versichernd mit dem Kopf. Bei dieser Bewegung bin ich mir jedoch unsicher, ob er es mir oder sich selber klar machen möchte.
„Was wenn nicht? Was wenn ich von der Schule geschmissen werde? Ich könnte nicht zu meinen Eltern, ohne das sie aufgedeckt werden, ich habe kein Geld um irgendwo anders hinzugehen und zu meinen Pflegeeltern gehe ich niemals zurück."
„War es so schrecklich dort?" Leander macht es sich wieder in seinem Bett bequem und breitet seine Arme aus, sodass ich mich wieder an ihn heran kuscheln kann.
„Ja! Ich war dort nicht als Tochter, sonder eher als Unterstützung. Ich musste sämtliche Aufgaben übernehmen, mich um die anderen Kinder kümmern, den Haushalt machen und habe währenddessen auch versucht die Schule einigermaßen hinzubekommen. Ich hatte keine Zeit für Freunde, nicht das ich welche gehabt hätte. Ich habe die letzten Jahre damit verbracht, auf meinen 18. Geburtstag zu warten. Ich wusste, das ich dort ausziehen würde. Diese Hölle verlassen würfelnd endlich ein eigenes Leben haben könnte. Und dann hast du mich dort rausgeholt, mir hier ein neues Zuahsue und eine Art Familie gegeben. Wenn ich hier rausgeschmissen werde, habe ich absolut nichts."
„Du gehts hier nicht weg." sagt er leise.
„Was wenn doch?"
„Dann gehst du nicht allein. Das verspreche ich dir!"
„Kann ich hier bei dir bleiben?"
„Solange du willst..." flüstert er in mein Haar. Eine Weile lang genieße ich die Ruhe, die in seinem Zimmer herrscht. Unter mir spüre ich seine regelmäßigen Atemzüge, den dazugehörigen leichten Windzug, während er ein und ausatmet und ab und zu die leisen Geräusche aus dem Gebäude. Ich versuche nicht zu viel darüber nachzudenken, was jetzt passieren wird, wie die anderen auf mich reagieren und mit mir umgehen. Ich verstehe das es für viele ein Schock ist, weil sie mit Leuten wie mir nicht oft in Berührung kommen, ich hoffe aber, dass ich ihnen die letzten Wochen gezeigt habe, dass ich nicht anderes bin.

„Hast du Hunger?" fragt Leander mich. Die letzten Stunden haben wir hier auf seinem Zimmer verbracht, abgeschottet von den anderen. Leander hat unsere Handys ausgeschaltet, um den Nachrichten noch eine Weile aus dem Weg zu gehen.
„Ich hol uns etwas hier her." fügt er hinzu und erst jetzt bemerke ich, wie leer mein Magen eigentlich ist. Mein Magenknurren beantwortet seine Frage und er steht mit einem Grinsen auf.
„Ich bin gleich wieder da." er schlüpft in seine Turnschuhe, zieht sich einen seiner Pullover über und verschwindet dann hinter der Tür.
Nach einer viertel Stunde kommt er mit zwei vollbeladnen Tabletts zurück. Von Früchten, über Jogurt bis hin zu verschiedenen Broten hat er alles dabei.
„Und?" frage ich und nehme ihm eines der Tabletts ab.
„Ich habe alle ignoriert die mich angesprochen haben. Die sollen alle mal eine Nacht drüber schlafen und dann erst ihre dummen Fragen raus hauen. So wie ich es verstanden habe, weiß keiner so richtig wo du gerade bist. Es gibt die Optionen in deinem Zimmer eingeschlossen, schon rausgeflogen oder verschollen."
„Ich glaube die meisten können es sich jetzt erschließen." ich deute auf die zwei vollen Tabletts, von denen vier Personen satt werden könnten.
„Mmm Ja das kann sein." er grinst.
„Klopf Klopf!" eine Stimme ertönt hinter der Tür, und prompt stolpert Bene gefolgt von Kester und Elana ins Zimmer.
„Puh! Sie wurde noch nicht mit Fackeln und Mistgabeln vertrieben." Bene grinst mich an, was meine Mundwinkel auch ein wenig Zucken lässt.
„Le deine Mutter versucht dich zu erreichen." Elana nimmt Leanders Handy vom Nachttisch und drückt es ihm gegen die Brust.
„Oh..." sagt er und ich glaube fast, eine Spur Unsicherheit in seiner Stimme zu hören. Als würde es irgendwas an der Lautstärke ändern, steht er auf und stellt sich in eine der Ecken des winzigen Zimmers und schaltet sein Handy wieder an. Prompt wird er von Benachrichtigungstönen übersäht. Ich beobachte ihn wie er sich Sein Handy ans Ohr hält und uns schief an grinst.
„Hey Mum!" begrüßt er seine Mutter am Telefon.
„Ja sie ist hier... in meinem Zimmer... nein!... es war doch für mich schon unmöglich da durch zu kommen... sie kann... nein!... sie kann doch einfach... ja... kann sie vielleicht erstmal hier bleiben? Ich schlaf bei Bene, dann hat sie mein Zimmer und... ja okay... Bye!"
„Und?" fragt Elana und kaut nervös auf ihrer Unterlippe.
„Du kannst heute Nacht hier bleiben. Bisher sind es noch nicht allzu viele Eltern, die sich beschwert haben. Die Tage wird es eine Art Elternabend geben, für alle die sich unwohl damit fühlen."
„Du willst aber nicht wirklich bei mir pennen oder?" fragt Bene genervt.
„Nein!" erklärt Leander sofort.
„Einglück."
„Felicia, Luise hat mich angesprochen. Ihre Eltern haben ihr strengstens verboten in irgendeiner Art Kontakt zu dir zu haben. Weder reden, schreiben oder sich ein Bad mit dir zuteilen. Sie drohen ihr damit sie sonst von der Schule zu nehmen und wir kennen alle die Familie Steinberg. Stein reich und verdammt stur. Es ist kein Problem ihre Tochter an einer anderen Schule anzumelden. Du sollst nur wissen, das Luise das alles nicht so sieht, sie aber neunmal nicht das Risiko eingehen möchte, von der Schule genommen zu werden." erklärt Elana mir.
„Teilt ihr euch nicht ein Zimmer?" fragt Kester verwirrt und ich nicke.
„Das wird schon. Erstmal kannst du hier bleiben und die nächsten Tage wird sich das alles klären." versucht Leander mich aufzubauen.
„Das glaube ich auch. Die meisten Schüler die dich kennen, wissen selber, dass du niemanden etwas tust. Und alle anderen werden es auch merken. Diese alten Regeln und Denkweisen müssen einfach mal überdacht und dann abgeschafft werden." stellt Bene klar. Ich weiß garnicht, womit ich diese Menschen verdient habe. Sie setzen sich ohne zu zögern für mich ein, helfen und unterstützen mich seit Wochen und schrecken auch nicht vor Situation wie diesen zurück.

Wächter der ElementeOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz