9

180 9 0
                                    

Leander:
Die Atmosphäre im Klassenraum ist angespannt, meine Freunde unterhalten sich leise, und achten darauf, mich nicht anzusprechen. Sie kennen mich gut genug, dass man mich heute nicht ansprechen sollte. Nachdem mir Felicia deutlich gemacht hat, dass sie mich in ihrer Nähe haben möchte, ist meine Laune im Eimer. Ich verstehe es, dass sie keinen Beschützer braucht, jedoch fühle ich mich unwohl mit dem Gedanken. Die ersten Tage war es meine Aufgabe sie nicht allein zu lassen. Nachdem meine Mutter gesagt hat es ist nicht mehr nötig, habe ich es gelassen, sie überall hin zu bringen. Ich konnte sie aber nicht ganz aus den Augen verlieren. Ich habe schon gesehen, was für eine Kraft in ihr steckt, und möchte sie vor einem weiteren Kontrollverlust beschützen.
„Ich habe gerade bei der Rothaarigen zu geschaut. Man ist das langweilig." Matteo Giordano betritt den Raum und setzt sich zu seinen Freunden. Matteo ist mit seinen schwarzen Haaren und dunklen Augen ein typisches Mitglied der Giordano Familie. Sein Bruder Mario hat ebenfalls dunkles Haar und dunkle Augen. Nur ist sein Burder deutlich netter und nicht so eingebildet wie Matteo.
„Bei wem?" fragt Zion Russo gelangweilt. Zion ist die Definition von einem eingebildeten Arschloch. Er hat blonde Haare, hellblaue Augen und ein Ego bis zum Mond.
„Na der Neuen. Felice? Fallon? Felicitas?" rätselt Matteo.
„Felicia!" rufe ich aus der letzten Reihe genervt nach vorn.
„Danke!" ruft Matteo zurück und spricht dann wieder mit seinem Freund.
„Felicias Unterrichtsstunde war so langweilig, ich frag mich echt wieso Leander andauernd auf die aufpassen muss. Die hat ein Feuer in einer Schüssel entzündet und das immer und immer wieder."
„Also langweilig und normal wie alle anderen?" fragt Zion nach und tippt weiter auf seinem Handy.
„Das kann ich dir nachher beantworten." Matteo schaut ihn verheißungsvoll an und verschwindet dann wieder aus dem Raum. Es ist ganz still im Raum geworden, als würden alle die Luft anhalten, als würden sie auf irgendetwas warten. Ich schaue zu meinen Freunden rüber. Kester, Bene und Fynn starren angestrengt auf ihre Hände, Leilani guckt mich an.
„Was?" frage ich genervt.
„Alles gut?" Leilani guckt mich mit skeptisch hochgezogener Augenbraue an.
„Ja!" antworte ich.
„Sicher?" meldet sich nun auch Bene zu Wort.
„Ja! Was habt ihr denn jetzt aufeinmal?" werfe ich gereizt zurück.
„Naja... du hast heute ja nicht die beste Laune und da..." stottert Bene.
Genervt packe ich meine Sachen zusammen und stehe von meinem Stuhl auf.
„Leander..." sanft Leilani sanft. Ich brumme nur irgendeine Entschuldigung zu meinem Lehrer, welcher gerade den Raum betritt und stürme aus dem Raum.
Ich laufe den Flur entlang, durch die Eingangstür nach Draußen Richtung Wohngebäude. Ich atme die frische Luft tief ein und betrete dann das Wohngebäude. Ohne aufzufallen schleiche ich die Treppen nach oben, stoße die Tür zum Ostflügel auf und schlüpfe durch die erste Tür auf der linken Seite. In unserem Flur angekommen lasse ich meine Schuhe an und laufe gleich weiter in mein Zimmer. Ich werfe meinen Rucksack auf das Bett und ziehe meine Sportklamotten aus dem Schrank. Innerhalb von ein paar Minuten bin ich umgezogen und laufe unauffällig wieder aus dem Wohngebäude.

Das Laufen hat wie immer seinen Sinn erfüllt, mich auf andere Gedanken bringen. Nach ein paar Kilometern ist die Schule hinter mir ganz klein geworden und ich komme den Bergen immer näher. Ich genieße die frische Luft, die durch meine Lunge strömt, das Gefühl der Freiheit, alle meine Aufgaben und Sorgen für eine kurze Zeit hinter mir zulassen. Dem ständigen Druck, der auf mir liegt, aus dem Weg zu gehen und nur meine arbeitenden Muskeln zu spüren. Nach einer Dreiviertelstunde komme ich den Gebäuden des Schulgeländes wieder näher. Ich steuere eines der Häuser an, welches in einer kleinen Siedlung neben dem Schulgebäude steht. Hier wohnen Lehrer, unsere Hausmütter und Väter und weitere Angestellte mit ihren Familien. Und in dem Haus welches ich ansteuere wohnt meine Mutter und wenn mein Vater nicht arbeiten muss, auch er.
Obwohl ich im Internat wohne, habe ich hier auch ein Zimmer, genauso wie mein Bruder Julius. Er nutzt es, im Gegensatz zu mir, regelmäßig. Er schläft am Wochenende und manchmal auch unter der Woche hier, geht mit meiner Mutter zusammen essen und verbringt hier gerne Zeit. Ich dagegen sehe es nur als Rückzugsort, wenn mir die anderen auf die Nerven gehen. Ich vermeide es aber her zukommen, wenn jemand aus meiner Familie hier ist.
Als ich die Tür aufschließe, ist es ruhig. Meine Mutter und Julius sollten in der Schule sein. Ich betrete das Haus vorsichtig, ziehe meine Schuhe aus und stelle sie in das Regal links von mir. Auf dem Weg in die Küche kommt mir Herny entgegen und streift um meine Beine. Henry ist eine von zwei Katzen die hier leben. Neben dem grau getigerten Kater, gibt es noch Tabbie. In der Küche angekommen entdecke ich einen schneeweißen Fellknäuel auf dem Stuhl. Ich streichle Tabbie kurz und hole mir dann eine kalte Wasserflasche aus dem Kühlschrank. Ich leere sie in einem Zug und stelle sie auf der Arbeitsfläche ab.
„Charlotte?" ertönt eine mir bekannte Stimme aus dem Wohnzimmer. Schritte kommen näher und dann steht mein Vater im Türrahmen.
„Leander..." mein Vater guckt mich mit zusammengekniffenen Augen an.
„Hi Dad." grüße ich ihn wenig erfreut.
„Das ist ja schön, dass ich dich auch mal wieder sehe." mein Vater kommt auf mich zu und drückt mich fest. Ich habe ihn seit einem Monat nicht mehr gesehen, habe es aber auch nicht wirklich vermisst.
„Solltest du nicht gerade in Rom sein?"
„Ich habe heute und morgen keine Termine, deswegen hat es sich gelohnt mal zuhause vorbei zu schauen." erklärt er mir und lehnt sich gegenüber von mir an die Arbeitsfläche.
„Und du? Hast du kein Unterricht?"
„Doch..." gebe ich zu. Ich weiß das mein Vater Schwänzen nicht mag, aber Lügen findet er noch schlimmer.
„Aber ich habe heute keinen guten Tag und hätte keine guten Ergebnisse erreichen können."
Was mein Vater deutlich besser findet als Lügen, ist ein sinnvolles Training mit klaren Ergebnissen und Erfolgen.
„Na gut Leander. Und was hast du jetzt noch vor?" interessiert schaut er meine Sportkleidung an.
„Weiter laufen. Ich brauchte nur dringend Wasser." ich deute auf die leere Wasserflasche.
„Ich habe mitbekommen, dass ihr eine neue Schülerin habt, die ihre Kräfte vorher nicht kannte? Wie macht sie sich so?"
„Ja genau! Wir haben sie an ihrem 18 Geburtstag entdeckt und mitgenommen. Sie lernt schnell, obwohl das Feuer in ihr glaube ich stark ist." erzähle ich und mein Vater nickt nachdenklich.
„Vielleicht werde ich sie ja mal kennenlernen. Okay Junge, dann lauf mal weiter!"
Ich verabschiede mich knapp verlasse nach 10 Minuten wieder das Haus. Na super... das war ja nicht so wie ich es mir vorgestellt habe. Ich jogge in einem langsamen Tempo zurück zum Wohngebäude und gehe hoch in mein Zimmer. Ich krame in meinem Schrank, bis ich eine Jogginghose und einen weiten Pullover in der Hand halte. Damit gehe ich ins Bad und nehme eine heiße Dusche. Es tut gut, die Wärme auf meinen Muskeln zu spüren. Ich genieße noch einmal die Ruhe, bevor nach und nach die Schüler vom Unterricht zurück kommen. In meinen frischen Klamotten schmeiße ich mich auf mein Bett und verbinde meine Kopfhörer mit meinem Handy.

Ein Klopfen ertönt von irgendwo, eine bekannte Stimme erklingt:
„Le?"
Ich öffne meine Augen und öffne den Bildschirm meines Handys. Erschrocken muss ich feststellen das ich bin 17 Uhr geschlafen habe. Ich schalte meine immer noch laufende Musik aus und lausche.
„Le, bist du wach?" ich kann die Stimme Elana zu ordnen und brumme noch ein bisschen verschlafen:
„Ja?"
„Kann ich rein kommen?" fragt sie und öffnet gleichzeitig schon meine Zimmertür.
„Was geht?" locker wie immer, schlendert Elana in mein Zimmer und setzt sich im Schneidersitz auf mein Bett.
„Was willst du?" nuschel ich in mein Kissen. Elana ist seit Jahren meine beste Freundin, sie weiß was in mir vor geht, kann mir in schwierigen Situationen oft helfen und kennt meine Einstellung zu sämtlichen Dingen. Das ist auch der Grund, wieso es mich nicht stört, dass sie mich hier so sieht. Meine anderen Mitschüler sehen mich ordentlich gekleidet, mit aufrechter Haltung, einem klaren Kopf und immer bereit für alles was kommt. Das ist der Leander den ich ihnen zeige. Elana kennt auch den anderen Leander. Den zerstreuten Leander, der Leander mit den Vertrauensproblem, den angespannten Verhältnissen zu seinen Eltern, und dem ständigen Druck in die perfekte Vorstellung zu passen.
„Was ist mit dir? Du schwänzt den Unterricht und liegst dann den ganzen Tag in deinem Bett?"
„Ich weiß nicht. Ich hab einfach schlechte Laune." antworte ich und setze mich auf.
„Willst du reden? Oder wollen wir runter gehen und dich zum Lachen bringen." Elana grinst mich vorsichtig an. Ich will nicht reden. Ich verstehe mich zur Zeit selber nicht, dann kann ich es erst recht nicht Elana erklären.

Elana hat es gestern Abend geschafft, mich aus dem Bett zu holen. Wir haben den Abend unten mit Kester und Bene ausklingen lassen und mein Tag hat deutlich besser geendet als erwartet. Ich habe heute den Unterricht genossen, mit meinen Freunden zusammen zu sitzen, eine Aufgabe zu haben, ich genieße es. Für mich ist einen Tag nichts machen zu langweilig.
Durch mein Zusammentreffen mit meinem Vater gestern, hat meine Mutter vom Schwänzen erfahren, und mir gerade nach der letzten Stunde einen Vortag gehalten. Weil ich nicht wusste, wie lange es dauern wird, sind meine Freunde schon ohne mich zurück ins Wohngebäude gelaufen. Ich laufe gerade aus dem Schulgebäude raus, da entdecke ich Felicia. Sie steht ein bisschen abseits vom Weg und spricht mit Matteo, Zion und Carlotta. Ich bleibe am Schulgebäude stehen, und beobachte die vier unauffällig.

Wächter der ElementeTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon