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„Du solltest ihm vielleicht nachgehen", sagte Martin und lächelte entschuldigend. „Ich glaube, ich kann ihn auch ein wenig verstehen. Es muss schrecklich sein, seine Mutter verlieren, in ihrem Fall die Ehefrau", seufzte ich auf. „Ich weiß, dass es Cassandra besser gehen wird, wenn sie in den Himmel kommt. Sie wird ein wunderschöner Engel, nicht, dass sie jetzt hässlich wäre oder kein Engel. Sie wird frei sein von den Therapien, Medikamenten und Schmerzen", erwiderte Martin.

„Sie hat es nicht verdient zu sterben", antwortete ich. „Ich weiß, Lilith. Bitte sei für meinen Sohn da, er hört auf dich. Elijah scheint dich wirklich sehr zu mögen, aber ich habe Angst, wie er sein wird, wenn Cassandra stirbt", meinte Martin. „Ich werde immer für ihn da sein", versprach ich und ging nach oben zu Elijahs Zimmer. Sanft klopfte ich an der Tür. „Ja?", ertönte Elijahs Stimme. Sie klang verdammt schmerzvoll.

Ich öffnete die Tür und trat in sein Zimmer ein. „Kann ich mich zu dir legen?" Elijah nickte kurz. „Du weißt, dass ich für dich da bin, ja? Wann auch immer du reden willst, ich bin da", sagte ich leise und kam zu ihm ins Bett. Mit ein wenig Abstand legte ich mich neben ihn.

„Danke, Lilith", erwiderte Elijah. „Ich habe einfach so Angst vor dem Tod meiner Mutter, weißt du? Ohne sie kann ich nicht leben, sie ist die Frau, die mir hilft, aufzustehen, wenn ich falle." „Deine Mutter wird dir immer helfen, Elijah. Egal, wo sie ist. Am Ende ist sie sowieso nirgendwo anders als in deinem Herzen", meinte ich. Elijah hatte seine Augen geschlossen. Es tat mir weh, ihn so leiden zu sehen.

„Diese Zwillinge, von denen ich dir erzählt habe, die sind mir eigentlich egal. Was wollen sie mir denn noch sagen? Du zeigst mir, dass ich geliebt werde", sagte Elijah. „Ach, liebe ich dich?", neckte ich ihn und hoffte, dass das eine gute Ablenkung war. „Du liebst mich, Lilith. Genau so, wie ich dich liebe. Es kann aber sehr gut sein, dass ich dich noch mehr liebe, als du mich, weil ich größer bin als du und mehr Liebe in meinen Körper passt", antwortete Elijah. Hatte er mir gerade gesagt, dass er mich liebte?

„Elijah, ich liebe dich trotzdem mehr, weil ich längere Haare habe", schmunzelte ich. „Das geht nicht, meine Liebe zu dir ist das Maximum", wisperte Elijah. Mein Herz schlug schneller. Noch nie hatte ich so etwas Süßes gehört. „Aber mir geht es genau so", behauptete ich. „Wir lieben uns beide so sehr, wie wir können, was braucht man mehr?", seufzte Elijah und schlang einen Arm um mich. Ich kuschelte mich näher an ihn ran, wollte seine Nähe spüren, die Wärme seines Körper aufnehmen.

„Bitte verlass' mich niemals, Lilith", flüsterte Elijah. „Ich könnte dich niemals verlassen, Elijah", erwiderte ich leise. Seine Mundwinkel hoben sich ein wenig. „Ich bin einfach unwiderstehlich." „Weißt du, ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll, dass der nervige Elijah wieder da ist oder nicht", seufzte ich. „Freu' dich ruhig, honey."

„Weißt du, du sagst nur noch so selten honey", meinte ich plötzlich. „Möchtest du denn, dass ich das öfters tue? Ich dachte, du willst nicht mehr so genannt werden", antwortete Elijah. „Ich habe mich nur gewundert. Aber du kannst mich gerne so nennen, wenn du nicht übertreibst", grinste ich. „Die Chance lasse ich mir nicht entgehen, honey."

...

Elijahs Mutter starb drei Wochen später. Wir hatten sie so oft besucht, wie wir konnten, aber am Ende war es trotzdem zu wenig. Martin tat so, als wäre er nicht zerbrochen, obwohl man sah, wie schlecht es ihm ging. Elijah wiederum zeigte seinen Schmerz ganz offen - er wurde sehr schnell gereizt und bekam öfters Wutanfälle. Oft war er tagelang im Zimmer und verließ dieses nicht. Zwar kam ich immer zu ihm, um ihm essen oder ähnliches zu bringen, aber es half nichts.

Es ging einen guten Monat so weiter, bis Elijah tatsächlich betrunken nach Hause kam und da reichte es mir. Ich musste unbedingt etwas mit ihm unternehmen, zeigen, dass es ganz normal war, dass es noch wehtat.

An einem kaltemSamstagvormittag ging ich rüber zu den Parkers, begrüßte Martin und ging nach oben zu Elijah. Er hatte mir klargemacht, dass ich nicht mehr klopfen sollte, also trat ich einfach ein. Elijah war schon wach und zeichnete an seinem Tisch.

„Bist du's, Lilith?", fragte Elijah, ohne zu mir zu sehen. Seine Stimme klang so, als hätte er sie lange nicht mehr benutzt, was eigentlich auch stimmte. „Ja", erwiderte ich. „Dann komm doch her", erwiderte Elijah freundlich. Ich war ein wenig erstaunt, er hatte im Vergleich zu den letzten Wochen bessere Laune. Das war ein Fortschritt.

„Wow, du machst mich immer wieder sprachlos", stammelte ich, als mein Blick auf seine Zeichnung fiel. Es war ein Portrait von seiner Mutter, wunderschön noch dazu. „Ich weiß nicht, ob ich ihr noch Engelsflügel machen soll", meinte Elijah. „Also, ich würde es so lassen. Deine Mutter ist schön genug und braucht keine Flügel mehr", erwiderte ich lächelnd und strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Zum ersten Mal sah Elijah mir richtig in meine Augen.

„Möchtest du mal mein Model spielen? So wie Rose für Jack? Ich könnte ein Portrait von dir malen", sagte Elijah plötzlich. Vollkommen baff sah ich ihn an. „Natürlich nur, wenn du möchtest. Es sollte schon eine Stunde dauern", fügte der Mann vor mir hinzu. „Das wäre wundervoll. Soll ich irgendetwas Bestimmtes anziehen?", wollte ich wissen.

„Du solltest lieber fragen, was du ausziehen kannst", feixte Elijah. „Ich finde es toll, dass du gute Laune hast", wechselte ich das Thema und ging nicht auf seine Sticheleien ein. „Ich meine es ernst. Wenn du ein Portrait wie Rose willst, musst du schon nackt sein", meinte Elijah. Verdutzt sah ich ihn an, er fing an, ein wenig zu grinsen.

Wie konnte ich da Nein sagen?

wild words ✓Where stories live. Discover now