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Ein neuer Tag hatte begonnen und ich war unmotivierter denn je. Meine Laune war den Umständen entsprechend im Keller. Noch schlecht gelaunter wurde ich, als ich die dunklen Augenringe bemerkte, sobald ich vor dem Spiegel stand. Wundervoll, wirklich.

„Was zieh' ich nur an...", murmelte ich und durchwühlte meinen Kleiderschrank. Ich entschied mich für einen hellblauen Hoodie und eine passende Jogginghose in demselben Blauton. Meine Haare bürstete ich einfach durch, an den Spitzen waren diese leicht wellig, doch das störte mich nicht im Geringsten. Danach versuchte ich, meine dunklen Augenringe mit viel Concealer abzudecken. Es gelang mir auch so gut, wie es gelingen konnte. Man sah sie immer noch, aber nicht mehr so stark. Ich trug noch Mascara auf und schon war ich fertig. Meine Schultasche hatte ich am Vortag mit den Heften und Büchern befüllt, welche ich heute brauchen würde. Also war ich bereit zum Gehen.

Während der Fahrt zur Schule auf dem Motorrad hatte ich dem Gedanken, einfach zu schwänzen, aber am zweiten Schultag war das schon ziemlich dreist. Also fuhr ich auf den Schulparkplatz und machte mich auf die Kopfschmerzen bereit, die ich heute sicher bekommen würde.

Als ich Ellie auf dem Schulhof erblickte, ging ich gar nicht zu ihr, schon alleine, weil sie mich so sauer ansah, sondern machte mich direkt auf den Weg ins Klassenzimmer. Dort saß auch schon Elijah, aber er sagte gar nichts, als ich mich neben ihm hinsetzte. Na gut, mir war's Recht.

„Lilith?" „Was", brummte ich. „Sollen wir Plätze tauschen? Dann musst du nicht mehr neben Ellie sitzen", bot Elijah an. Er grinste nicht, wirkte aber auch nicht depressiv. „Wieso das? Machst du das aus Mitleid?", fragte ich verächtlich. „Lilith, ich bin halt kurz nicht mit dem Gedanken klar gekommen, dass ich zu jemandem nett bin, der mich nicht mag. Also hab ich das gesagt", gestand Elijah mir. „Wir können tauschen. Aber heul' dann nicht herum, wenn Ellies Nähe unerträglich wird", meinte ich schulterzuckend. Also tauschten wir die Plätze.

„Wenn's dir hilft, nicht mehr heulend durch die Straßen zu laufen, dann mach ich es gerne", sagte Elijah schulterzuckend. „Ich habe nicht geweint!", fauchte ich wütend. „Hast du wohl." „Hab ich nicht!" „Doch." „Nein!" Elijah verdrehte seine Augen und fing an, etwas auf seinem Block zu zeichnen. Schön, dass er mir Recht gab.

Die erste Stunde war Philosophie. Das hatten wir mit Mrs. Lou, meiner Lieblingslehrerin. Ich mochte sie wirklich sehr. Heute ging es um Depressionen.

„Wir reden heute um eine psychische Krankheit, da sie doch ein ziemlich kompliziertes Thema ist. Was könnt ihr zu Depressionen sagen?", fragte Mrs. Lou die ganze Klasse. Einige hoben die Hände. „Jack, bitte." Dies war der Junge aus der letzten Reihe, er war Teil des Footballteams, wenn nicht sogar der Kapitän.

„Depressionen sind Nebenwirkungen vom Tod."

Verwirrt legte ich meine Stirn in Falten. Nebenwirkungen vom Tod. Ich hatte keine Depressionen, aber diese Erklärung hörte sich für mich ziemlich komisch an. Aber irgendwie hatte Jack auch Recht.

„Wie kannst du uns das erklären?", fragte Mrs. Lou. „Alle Krankheiten sind Nebenwirkungen vom Tod", sagte Jack knapp. Es war richtig, wenn ich so darüber nachdachte. So viel Intelligenz hatte ich Jack nicht zugetraut. Schon wieder solche blöden Vorurteile. „Wer möchte als Nächstes? Anna?"

„Die Depressionen sind ein Loch, in das du hineinfällst. Alleine kommst du schwer da raus, wenn überhaupt. Es ist dunkel in diesem Loch, du kommst fast nur mit der Hilfe einer Person heraus, die dir etwas bedeutet", sagte Anna. Auch das war wahr und viel leichter zu verstehen als Jacks Worte. „Das stimmt! Eleonore, bitte." Leicht spähte ich zu meiner ehemaligen besten Freundin.

„Depressionen sind das perfekte Mittel für viel Aufmerksamkeit", sagte Eleonore. Aufmerksamkeit? Was hatten Depressionen bitte damit zutun?

„Erklär' uns das." Der Tonfall von Mrs. Lou klang hart. Sie war mit Eleonores Antwort sichtlich nicht zufrieden. „Ach, die meisten depressiven Menschen spielen das doch nur vor, weil sie die Aufmerksamkeit genießen. Wie soll man da Depressionen ernst nehmen? Die nehmen sich doch eh nicht das Leben", antwortete Eleonore gleichgültig. Und das war der Moment, wo ich mir sicher war, dass ich nie mehr mit ihr befreundet sein würde.

Ich hob meine Hand, um ebenfalls etwas dazu zu sagen. „Ja, Lilith?", fragte Mrs. Lou. „Ich würde gerne noch etwas dazu sagen", meinte ich. „Sehr gerne, teile deine Gedanken mit uns", lächelte die Frau.

„Also. Depressionen sind sehr ernst zu nehmen. Jährlich nehmen sich viele Jugendliche und Erwachsene das Leben. Leicht gesagt, aber wenn man so darüber nachdenkt, ist das grauenvoll. Ein Menschenleben ist unglaublich kostbar, und sie beenden es einfach. Unvorstellbar, wie sich ihre Liebsten fühlen, wenn sie erfahren, dass die Person gegangen war. Freiwillig. Es gibt ja auch noch depressive Menschen, die nicht an Selbstmord denken. Und auch diese Art von Depressionen ist wirklich nicht gut. Es heißt, dass eine Person sehr unglücklich ist und keine bis sehr wenig Hoffnung hat, dass es besser wird. Also meiner Meinung nach", sagte ich.

„Alles ist richtig, was du sagtest. Depressionen sind ernst zu nehmen, egal wie schlimm sie eine Person treffen. Eleonore, für deine freche Aussage erwarte ich einen Aufsatz von dir, in dem du mir in fünfhundert Wörtern von Depressionen beschreibst. Entstehung, Heilung, und so weiter. Deine eigene Meinung möchte ich nicht darin sehen!", sagte Mrs. Lou. Spätestens jetzt konnte man verstehen, wieso ausgerechnet sie meine Lieblingslehrerin war.

„Okay Leute, für euch habe ich auch eine kleine Aufgabe, die ihr mir bis zur morgigen Stunde macht. Ihr macht ein Feld mit zwölf Kästchen und schreibt darin zwölf einzelne Sachen auf, die euch glücklich machen. Es können natürlich auch Personen sein. Von mir aus könnt ihr jetzt schon anfangen, morgen möchte ich alle Notizen sehen!", verkündete Mrs. Lou.

Dann mal los.

wild words ✓Onde histórias criam vida. Descubra agora