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Seitdem Nevio mir die ganze Geschichte hinter unsere Familienfeindschaft erzählt hat, kann ich nicht mehr mit ihm reden. Ich will ihn hassen, aber ich kann nicht, denn egal was er tut mein Herz ist schon lange in seiner Obhut. Er versucht auch gar nicht mit mir zu reden. Wir haben beide wieder unsere Zimmer getrennt und gehen uns immer aus dem Weg. Warum habe ich nachgebohrt, dass er mir die Wahrheit erzählt? Ich hätte es lassen sollen, dann könnte ich ihn weiterhin so liebe, wie 6 Monate zuvor. Seit 6 Monaten leben wir beide in unseren eigenen Welten. Mein Alltag ist immer derselbe. Früh aufstehen, Sport mit den Jungs machen, duschen, frühstücken, schießen gehen mit Kadir und dann zu Hause was essen. Am ende wieder schlafen gehen. Auf social media hatte ich doch keine Lust und hab den Account gelöscht. Die Leute suchen zwar immer noch nach mir, aber zur Zeit will ich nur meine Ruhe. Ich kann es immer noch nicht verarbeiten, was Nevio mir erzählt hat. Es fühlt sich so surreal an. Ich habe keine einzige Motivation mehr für irgendwas und möchte zur Zeit am liebsten nur noch unter der Erde sein. Es würde all meine Probleme, die ich habe, lösen. Ich kann das ehrlich nicht mehr. Ich kann Nevio nicht mehr gleichzeitig lieben und hassen. Es tut so weh ihn nicht mehr berühren zu können, aber würde ich das tun, würde ich mich selber verraten und das kann ich nicht. Ich bin grade wieder am trainieren und meine Gedanken schweifen zu dem letzten Gespräch ab, was ich mit Nevio hatte. Meine Tritte und Fäuste wurden härter und der Sicherheitsmann, gegen den ich kämpfte lag schon am Boden. Hätte Kadir mich nicht von ihm weggezogen, hätte ich ihn wahrscheinlich noch bewusstlos geschlagen, so wütend hat mich Nevio gemacht. "Laila komm zu dir. Hör auf deine Wut bei den hier rauszulassen." Ich stieß ihn weg von mir und schnaubte auf. Ich konnte seine Anwesenheit zur Zeit genauso wenig, wie die von Nevio ertragen. "Kadir nerv mich nicht." "Laila was ist los mit dir? du erzählst mir auch gar nichts mehr, seit sechs Monaten." "Mein Leben geht dich einen Dreck an. Nerv mich einfach nicht und gut ist." "Du hast dich so verändert Laila und das nicht im guten Sinne." "Ich wusste nicht, dass mich deine Meinung interessiert." Ich ging an ihm vorbei, aber blieb kurz an der Türe stehen. "Ich gehe heute mit anderen Sicherheitsmännern zum schießen. Du brauchst deine Zeit nicht mehr bei mir zu verschwenden." Bevor er noch zu sprechen beginnen konnte, verließ ich den Fitnessraum und ging mich in meinem Zimmer umziehen. Es ist der 9. Dezember. Ich hasse diesen Tag mehr als alle andere. Ich wünschte man könnte diesen Tag aus dem Kalender entfernen, so sehr hasse ich ihn. Als ich fertig war mit dem umziehen, ging ich raus aus meinem Zimmer und fand direkt Kadir vor mir. Ich wollte an ihm vorbei gehen, aber er versperrte mir den Weg. "Geh mir aus dem Weg." "Nein. Ich möchte wissen, wieso du mich seit Monaten so schlecht behandelst. Ich habe dir nichts angetan und du verletzt meine Gefühle ununterbrochen." Irgendwie machte mich das traurig, aber warum sollten mich seine Gefühle interessieren, wenn er sich für mich auch nicht interessiert hat. Genau dann, als ich ihn brauchte, war er nicht für mich da und jetzt brauche ich ihn auch nicht mehr. Ich möchte ihm nicht mehr verzeihen. "Kadir würden mich deine Gefühle interessieren, würde ich dich nicht verletzen." "Bitte hör auf Laila. Ich möchte wieder meine Freundin zurück." "Pech für dich. Geh mir jetzt aus dem Weg ich habe wichtigeres vor." Ich guckte Kadir von der Seite ins Gesicht und sah wie ihm eine Träne runter floss. Mein Herz zog sich zusammen. War ich zu fies? Soll ich nachgeben? Ich schränkte meine Arme und guckte ihn wartend an. Er wischte sich sofort die Träne aus dem Gesicht. "Was ist?" "Wollen wir nicht schießen gehen?" Kadirs Augen leuchteten direkt auf, wie bei einem Kind, der sich freut, dass er ein Eis bekommen hat. "Na los geh schon voran." "Natürlich Madame." Ich verdrehte meine Augen und er kicherte, dieser Spinner. Wir liefen zum Auto und er fuhr direkt los. Ich hab ihm zwar nicht verziehen, aber ich habe beschlossen ihn nicht mehr zu verletzen, deswegen schweige ich ihn lieber nur noch an. Es dauerte eine halbe Stunde bis zum Schießstand und während der ganzen Autofahrt sprach ich kein einziges Wort. Im Gegensatz zu mir konnte Kadir sein Mund nicht schließen und war sehr hyperaktiv. Innerlich musste ich schmunzeln, weil ich ihn auch sehr vermisst hatte, aber trotzdem bin ich noch zu verletzt, um ihn sofort zu verzeihen. Drinnen zog ich mir die Sachen an, die ich anziehen musste und ging vor einem der Schießstände hin. Ich nahm meine Waffe hervor und zielte genau auf den Kopf der Zielscheibe und bam es flogen drei Schüsse hintereinander auf den Kopf. Kadir ging zu der Scheibe und zeigte mir einen Daumen. Ich habe bei allen drei Schüssen den Kopf getroffen. Ich grinste innerlich, aber zeigte meine Gefühle nicht nach außen hin. Ich ging einen Stand weiter und zielte dieses mal auf den Bauch. Es flogen wieder drei Schüsse und ich traf genau die Stellen, die ich treffen wollte. Kadir hob wieder seinen Daumen hoch. Ich ging wieder einen Stand weiter und atmete einmal tief ein und aus. Dieses mal wollte ich das Herz treffen, aber ich schaffe es schon seit Monaten nicht. Kadir bemerkte, dass wir wieder an dem Stand waren und kam dieses mal neben mich. "Du wirst es dieses mal schaffen. Ich glaub an dich." Ich schloss ein Auge und zielte. Meine Hand zitterte sehr und ich wusste genau, dass ich es nicht schaffen werde das Herz wieder mal zu treffen. "Komm schon Laila. So schwer ist es doch nicht. Der Schuss auf das Herz ist viel leichter als ein Kopfschuss. Wie kannst du das schwierigste so leicht hinkriegen, aber das Herz, was viel leichter ist nicht?" "Kadir sei ruhig und lass mich schießen." Er hob seine Hände hoch und ich kam wieder zu mir. Laila du schaffst das. Du wirst das hinkriegen. Glaub an dich. Ich schloss meine Augen kurz und atmete wieder ein und aus. Denk nicht an Nevio. Dein Training hier hat nichts mit Nevio zu tun Laila. Du schießt nicht ihm in das Herz, sondern deinen Feinden. Nevio ist ja eigentlich mein Feind, aber ich kann das nicht. Es ist so schwierig. Ich öffnete meine Augen und versuchte wieder zu zielen. Als ich mir sicher war, schoss ich einmal und Kadir lief sofort zu der Zielscheibe hin. Er guckte mich an und schüttelte seinen Kopf. "Komm schon du schaffst das. Du hast nur knapp verfehlt.", rief er. "Hör auf zu lügen." Er kicherte wieder wie ein Irrer. Ich stellte mich wieder aufrecht hin und nahm eine selbstbewusstere Haltung ein. Du schaffst das Laila. Ich weiß es du wirst es schaffen. Es. Ist. Nicht. Nevio. Ich schloss wieder ein Auge und entsicherte die Waffe. Ich stieß einen Seufzer aus und schoss dann direkt auf die Scheibe. Kadir lief sofort wieder dahin und ich blickte ihn neugierig an. Er guckte mich wieder enttäuscht an. Verdammt wieso kriege ich das leichteste nicht hin? Wieso muss ich die ganze Zeit an den Mörder meiner Mutter denken? Wieso geht er mir nicht einfach aus dem Kopf? Wieso hasse ich ihn nicht einfach? "Laila raff dich endlich! Du musst das endlich können! Wir üben das schon seit sechs Monaten. Was soll das? Wieso kommst du überhaupt noch hier her?" "Kadir halt deine Fresse und nerv mich nicht. Geh mir aus dem weg." Er ging sofort weg und ich sammelte meine ganze Wut und schoss das letzte mal auf die Scheibe. Voller Hoffnung schaue ich auf Kadir und er blickt mich wieder enttäuscht an. Wie aus dem nichts, fing ich an zu weinen. Ich will doch einfach nur damit abschließen, aber ich kann es nicht. Wie soll ich mit dem Mörder meine Mutter abschließen, wenn ich mich in ihn verliebt und ihn geheiratet habe? Kadir lief auf mich zu und hob mich vom Boden auf. "Hey chill mal. Das sind doch nur verfehlte Schüsse." Ich schüttelte meinen Kopf. "Es liegt nicht daran Kadir. Es liegt an ganz was anderes." "Wenn du wegen mir weinst, weil ich dich so angeschrien habe, dann tut es mir leid." Ich schüttelte wieder meinen Kopf. "Nein Kadir es geht um was ganz anderes." "Willst du mir das erzählen?" Ich schüttelte wieder meinen Kopf. "Komm wir gehen einmal raus, dann erzählst du mir das definitiv. Ich weiß, dass du mich grade sehr brauchst und ich will dir helfen Laila. Wir sind Freunde." Ich lachte spöttisch auf. "Ich hätte dich vor sechs Monaten gebraucht Kadir, aber du hast meine Nachricht gelesen und mich ignoriert." "Welche Nachricht? Die letzte Nachricht die ich von dir bekam war die, die ich im Krankenhaus bekam." "Hör auf mich anzulügen." Ich wischte mir meine Tränen weg und nahm mein Handy raus. Ich ging auf den Chat von uns beiden und zeigte ihm, was ich als letztes geschrieben hatte. "Kadir bitte komm sofort zum Garten! Ich brauche dich SOS!" Kadir zeigte mir dieses mal sein Handy und meine Nachricht war dort nicht zu sehen. "Merkwürdig." "Ja finde ich auch. Hat jemand die Nachricht vielleicht von deinem Handy gelöscht?" "Ich weiß nicht. Die einzige Person die mein Passwort kannte war sie." "Kadir kann es sein, dass sie-" "Ja es kann sein, dass sie es gelöscht hat. Es wäre nicht das erste mal, dass sie etwas von dir gelöscht hat." Ich nickte und irgendwie bereute ich alles, was ich ihm angetan hatte. Wegen seiner krankhaft eifersüchtigen Ex Freundin habe ich ihm die Freundschaft gekündigt. Ich habe meinen besten Freund und die Liebe meines Lebens verloren. Meine Tränen stiegen wieder auf und ich musste weinen. Wieso musste es so weit kommen? Kadir nahm mich in die Arme und streichelte mein Rücken. "Wollen wir raus gehen und du erzählst mir das was dich bedrückt?" "Willst du immer noch mit mir befreundet sein, obwohl ich so gemein zu dir war, ohne dir zugehört zu haben?", fragte ich ihn unter Tränen. "Laila es war ein dummes Missverständnis, was zum Glück jetzt geklärt ist. Außerdem habe ich es vermisst mit dir dummes Zeug zu erleben." Ich lächelte unter meinen Tränen und nickte. "Ich habe es auch sehr vermisst", schluchzte ich. "Hey seid ihr beiden auch mal fertig mit eurem Film? Wir wollen auch endlich an den Schießstand." Kadir stand auf und ging rüber um den Typen fertig zu machen, der sich wagte mit uns zu reden. Am Ende hörte ich nur ein "Jo bro das war doch nur ein Spaß. Lasst euch ruhig Zeit so viel ihr wollte." Kadir kam zufrieden rüber und zog mich am Arm raus. "Komm wir gehen zu unserem Lieblingscafé." Ich nickte eifrig und er fuhr uns direkt dorthin. Im Café bestellte er mir einen Kakao und einen Schokokuchen. Sich selbst bestellte er einen Espresso und ein Stück Torte mit Obst. "Also Laila erzähl mir, was bedrückt dich schon seit Monaten." "Es geht um Nevio, Kadir." Er lachte. "Es hätte mich nicht gewundert. Erwidert er deine Liebe nicht?" Ich schaute ihn ernst an. "Kadir." "Laila." "Nevio ist der Mörder meine leiblichen Mutter." Kadir riss seine Augen auf und ließ seine heiße Tasse Espresso auf den Boden fallen." Ich schrie vor Schreck auf und sofort lief eine Kellnerin zu uns. Wir machten sofort den Boden sauber und Kadir bezahlte das was wir bestellt hatten. Er stand auf und lief raus, dabei zog er mich mit sich raus. Er lief mit mir zum Auto und im Auto musste er erstmal auf sein Leben klar kommen. Als er wieder bei sich war, atmete er einmal tief ein und dann wieder aus und drehte sich zu mir um. "Laila es tut mir leid, dass ich nicht bei dir war, als du sowas erfahren musstest. Es tut mir leid, dass ich nicht direkt nachgehakt habe, was los mit dir ist. Es tut mir leid, dass ich dich wegen ihr vernachlässigt und vergessen habe." Ich legte meine Hand auf sein Arm und schaute ihn verständnisvoll an. "Alles gut Kadir. Wir haben uns ja jetzt wieder. Jetzt kannst du mich am besten trösten. Ich brauche dich heute viel mehr, als vor sechs Monaten." "Wieso? Was ist heute?" "Mein Geburtstag und der Todestag meiner Mutter." Kadir schaute mich mitleidig an und ich weinte wieder los, wie die letzten Monate zuvor.

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