„Warum nicht?" Ich ziehe meine kleinere Schwester kurz in meine Arme, bevor ich mich Safaa zuwende und auch der Jüngsten eine Umarmung gebe. „Ich verspreche nicht mehr." Mit einem letzten kleinen Lächeln verschwinde ich aus dem Wohnzimmer, werde im Flur gleich geschockt von Mum angestarrt.

„Du bist so egoistisch, Zayn." Wirft sie mir vor, während bei diesen 4 Wörtern die ganze Wut in mir wieder hochkocht. Ich schnaube wütend. Egoistisch. Egoistisch, weil ich von hier abhaue und ihr keinen Teil mehr von dem eh schon so knappen Gld, welches ich verdiene abgeben kann?

„Und ich bin's gerne." Ich drehe mich zu ihr um, schenke ihr ein übertrieben gefaktes Lächeln und setzte meinen Weg fort. „Wenn du jetzt gehst, brauchst du auch nicht mehr wiederzukommen." Erneut drehe ich mich zu ihr um, funkle sie an und hebe die Augenbrauen. „Hör auf dich in mein Leben einzumischen." Dieser Satz hatte meinen Mund als einziges Knurren verlassen, sie erschrocken die Augen aufreißt. Lustig, dass ich selbst auf meine Mutter so eine Wirkung habe. Jedoch fasst sie sich schnell wieder und stolziert schließlich den Flur entlang. Ich werfe meine Tasche auf den Beifahrersitz, lasse mich dann auf den Fahrersitz fallen und starte den Motor. Während ich durch die Straßen Londons fahre, ebbt meine Wut ein wenig ab, ist aber sofort wieder da, wenn ich an die letzte halbe Stunde denke. Mein Ziel war unser Haupttreff. Unsere Gang hat seit einem knappen Jahr ein eigenes Haus als Treff, dass alle 12 Mitglieder zusammen finanzieren. Manche mehr manche weniger. Ich zum Beispiel eher weniger, Harry und Liam mehr. In diesem Treff trafen wir uns Nachmittags oft, außerdem hatten wir dort einen eigenen Boxraum, in dem Liam und ich viel trainieren. Es ist nicht weit entfernt, weshalb ich schon nach ein paar Minuten vor dem Gebäude parke, dass auch schon mal weißer ausgesehen hat. Die Außenwände waren teilweise mit vielen bunten Mustern besprüht, besonders stach die schwarze ‚101' hinaus. Unter diesem Namen war unsere Gruppe schon öfter unangenehm aufgefallen. 101 hießen wir einfach nur aus dem Grund, dass wir nicht sonderlich kreativ sind und unser erster Treffpunkt die Hausnummer 101 hatte.

Auch wenn ich einen Schlüssel habe, drücke ich mehrmals hintereinander auf die Klingel bis mir ein sehr verschlafenes Gangmitglied die Tür öffnet. Ju. Hätte ich mir schon denken können.

„Hey, Boss." nuschelt er unverständlich und tritt einen Schritt zur Seite. Ich schüttle belustigt den Kopf, als er mich wie immer begrüßt. Die gesamte Gang sieht mich als Anführer an. Ich denke nicht, dass wir so jemanden haben, aber irgendwie ist es einfach so gekommen. Vielleicht, weil ich schon immer Spaß daran hatte andere herumzukommandieren. Ein Problem damit habe ich allerdings ganz und gar nicht.

Ju war derjenige, der dieses Haus wirklich bewohnt. Wir hatten ihn damals von der Straße aufgesammelt. Weshalb er bei einem solchen Unwetter in der dunklen Gasse neben diesem Haus hocken musste, wissen wir bis heute nicht. Er beteuerte dauernd, dass er damals von zuhause abgehauen war, doch ich konnte mir ziemlich gut denken, dass da mehr hinter steckt.

„Ich leiste dir für ne Weile Gesellschaft. Ist das Gästezimmer frei?" Unachtsam kicke ich meine Schuhe in die Ecke unter der Garderobe und werfe meine Jacke über das Geländer. „Bist du jetzt endgültig rausgeflogen?" Ich konnte Ju's Grinsen schon beinahe riechen, drehe mich zu ihm um und funkle ihn an. Abwehrend wirft er die Hände in die Luft und schiebt sich dann an mir vorbei. War das jetzt ein ja oder ein nein oder ein weiß-nicht-ich-geh-mal-gucken? Schulterzuckend trage ich meine Tasche die Treppe hinauf und schiebe die Tür zu unserem Gästezimmer auf, dass wie eigentlich immer leer steht. Mein Blick wandert zum einzigen Fenster dieses Zimmers, von dem man die gesamte Straße überblicken konnte. Ein paar Straßenlaternen erhellen die Gasse und lassen einen die etwas herunter gekommene Gegend sehen.

Ich ziehe eine Sporthose aus meiner Tasche, dazu ein einfaches Tank-Top und ziehe mir die Sachen über, laufe dann die Treppe wieder nach unten, bis in den Keller und schiebe die schwere Tür zum Boxraum auf. Es ist zwar nicht umbedingt die beste Idee, jetzt - wo es schon beinahe halb 12 ist - noch zu boxen, aber schlafen könnte ich wahrscheinlich erstmal nicht. Die ganze Nacht hätte ich kein Auge zugemacht, da immer wieder die Gedanken an den Streit hochgekommen wären. Es hätte mich fertig gemacht und irgendwann hätte ich wutentbrannt auf irgendwas eingeschlagen. Da doch lieber mitten in der Nacht trainieren. Und das tat ich. Bis spät in die Nacht musste der Boxsack immer wieder meine Schläge einkassieren. Meine Wut verblasste mit jedem Schlag ein Stückchen mehr, bis ich so lange trainiert habe, dass leichte, blutende Wunden meine Fingerknöchel zieren. Mein Top, das mittlerweile in der Ecke des Raumes gelandet war, sammle ich auf und begebe mich in die Küche. Im Kühlschrank konnte man, wie gedacht nicht vernünftiges vorfinden. Ich verstehe nicht, wie Ju hier wohnen kann. Was trinkt der denn zum Frühstück? Cola oder doch gleich Wodka? Irgendwo schaffe ich doch noch eine Flasche Wasser auftreiben und lasse mich auf den Küchenstuhl sinken, nur um gleich wieder aufzuspringen. Stillsitzen ist das letzte, was ich jetzt kann. Dauernd sah ich das Bild meiner enttäuschten Schwestern wieder vor mir. Ich hatte sie enttäuscht. Und vor allem hatte ich Doniya enttäuscht. Ich hatte die womöglich einzige Person, die immer zu mir gehalten hätte enttäuscht.

if love was a crime • zouis ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt