9. Kapitel

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     Nachdem ich mein Handy mit dem Fernseher verbunden hatte, mit einem Kabel, dessen Namen ich nicht kannte, sahen wir uns „The Witcher" auf Netflix an, in der Hoffnung, dass das Dardan von dem Sturm ablenken würde, der draußen noch immer tobte. Bis jetzt hatte ich ihm nicht gesagt, wie stark ein Jugo werden konnte. Der Sturm, der in Kroatien vom Meer her kam. Generell hatte ich noch gar nichts in diese Richtung gewagt. Ich wollte ihm einfach keine Angst machen, die hatte er eh schon.
     Eigentlich war „The Witcher" eine gute Serie, die einen in ihren Bann ziehen konnte, doch Dardans Blick glitt immer wieder nach draußen. An Geralt van Riva fand er anscheinend kein Interesse. Oder der Sturm machte ihm mehr zu schaffen, als er zugeben wollte. Sein Körper wurde immer wieder von einem Zittern geschüttelt und sein Blick war auf die Bäume gerichtet, die im Sturm eher wie aus Gummi wirkten, so wild bewegten sie sich im Wind. Dardan versuchte es noch immer nicht zu zeigen, doch ich wusste, dass er Angst hatte. Angst vor dem, was noch kommen könnte und vermutlich kommen würde. Das hier war erst der Anfang.
     Das Licht hatten wir ausgemacht. Nur das Licht der kleinen Kerzen die ich aufgestellt hatte, flackerte an den Wänden, während wir die Serie ansahen. Immer wieder grollte der Donner über uns, während der Wind heulte. Ab und an sah man am Fenster etwas vorbeifliegen, aber nur, wenn es wirklich nah war, da es langsam dunkel wurde und die dichten Wolken und der Regen die Sicht erschwerten. Ich musste nicht hinaussehen um zu wissen, was dort herumflog. Blätter, Luftmatratzen, Müll... Noch waren die Menschen ruhig. Bis jetzt hatte ich niemanden nach Hilfe rufen hören und das war das Wichtigste. Im Sturm konnte schnell etwas passieren. Etwas, was ich niemanden wünschte.

     Niemand sollte einen geliebten Menschen verlieren. Luftmatratzen und all das waren egal. Mehr als egal. Man konnte neue kaufen. »Also stehst du auch auf diesen Geralt?«, fragte Dardan mich nach einer Weile, in der wir beide nichts gesprochen hatten. Ich sah ihn an und grinste. »Wer mag ihn nicht?« Dardan rollte mit den Augen, trotzdem zupfte ein kleines Schmunzeln an seinen Lippen. »Er ist ziemlich grummelig«, meinte Dardan. Leise lachte ich. »Wenn er es nicht wäre, wäre er nicht Geralt.« Daraufhin schien er nichts mehr zu wissen und wieder senkte sich Stille zwischen uns.
     Genau wusste ich nicht, was ich sagen oder tun sollte... zwischen uns war ein Knistern, das ich nicht richtig deuten konnte. Kam es von Anspannung oder etwas anderem? Ich wusste es nicht. Blind griff ich meine Tüte mit den sauren Gummibärchen und verdrückte davon gleich mal drei auf einmal. Genießerisch schloss ich die Augen und genoss den sauren Geschmack auf meiner Zunge. »Kann ich auch welche haben?«, hörte ich Dardan fragen. Überrascht sah ich ihn an. »Die sind aber sauer.« Er grinste. »Genau deswegen ja.« Etwas unsicher sah ich ihn an. »Darfst du das eigentlich? Ich meine, es gibt Leute in deinem Glauben, die Essen keine Gummibärchen und so... also das habe ich mal gehört...« Plötzlich kam ich mir blöd vor und wurde rot.
     Dardan seufzte. »Ganz ehrlich? Es gibt Dinge von denen ich verstehe, dass sie verboten sind aber manche Dinge sehe ich nicht ein. Jeder sollte machen, was er will. Religion sollte in meinen Augen nicht die Macht über einen haben etwas zu bestimmen. Versteh mich nicht falsch, das ist nur meine Meinung. Jeder sollte selbst bestimmen können, was er essen möchte und was nicht. Ich verurteile aber auch niemanden, der sich strickt daran hält. Jeder darf tun, was er möchte. Und ich möchte jetzt saure Gummibärchen.« Erwartungsvoll streckte er mir die Hand. Lächelnd legte ich vier Stück in seine Hand.

     Sorgfältig probierte er eins nach dem anderen. Bei dem gelbem das zitronig war, verzog er das Gesicht, kaute aber fleißig. Beinahe hätte ich bei dem leidenden Ausdruck in seinem Gesicht gelacht. Beinahe. Hinterher aß er ein rosafarbenes Gummibärchen und fühlte sich gleich besser. Sein Gesicht entspannte sich wieder. Es war nicht ganz so sauer wie das gelbe. Für einen Moment schien er alles zu vergessen. Ein Teil in mir war froh, dass er keine Panikattacke zu bekommen schien. Nach einer Weile stellte ich die Tüte in unsere Mitte und wir sahen die Serie an.
     Wie viel Zeit verging? Ich wusste es nicht mehr. Wir waren bei Folge drei. Vermutlich etwas mehr als drei Stunden, da jede Folge eine Stunde dauerte. Draußen war es nun stockdunkel. Das Einzige, was die Straßen erhellte, waren die Straßenlaternen der Hauptstraße. Wir hatten Glück, dass das Bungalow in der Nähe der Hauptstraße war. Weiter hinten gab es keine Lichter. Allerdings schien Dardan das nicht genug. Je später es wurde, desto öfter sah er nach draußen. Die Angst, dass er gleich eine Panikattacke haben könnte, setzte sich in mir fest wie ein Geschwür.
     Nicht, dass ihm das peinlich sein müsste. Im Gegenteil. Doch ich... ein Teil in mir wollte ihn nicht so sehen, weil ich es kannte. Dieses beklemmende Gefühl in der Brust, die Art wie das Blut in den Ohren rauschte und wie sich die Brust in unregelmäßigen Abständen hob und senkte. Die Wände schienen bei Panikattacken immer näher zu kommen und die Luft schien auf einmal viel zu wenig. Genau deswegen wollte ich nicht, dass er in eine Panikattacke verfiel. »Also wissen deine Eltern nicht, dass du hier bist?«, fragte ich, um ihn abzulenken. Sein Blick glitt zu mir.

Das Rätsel der LiebeWhere stories live. Discover now