Kapitel 7

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Sie hatten die Zeit vollkommen vergessen. Es war, als hätte sie jemand angehalten. Das Encanto wirkte weit weg, als wäre es nur ein Dorf in weiter Ferne, obwohl es doch in ziemlicher Nähe lag. Die Vögel zwitscherten und das Wasser plätscherte. Lucias Brust hob und senkte sich durch ihren Schluckauf und Bruno versuchte sich das Lachen zu verkneifen. Er fand ihren Schluckauf niedlich, aber er wusste, dass Lucia das wohl nicht so empfand.

Keiner von ihnen wusste, wie lange sie dasaßen und sich gegenseitig trösten. Bruno genoss diese Nähe, er fühlte sich von Lucia verstanden, auch wenn sie kein einziges Wort sprachen. Er war sich nicht sicher, ob sie ihn schon vorher verstanden hatte oder es erst dazu kam, weil sie selbst von ihrer Familie enttäuscht wurde – oder besser gesagt, weil sie selbst ihre Familie enttäuscht hat, aber es kümmerte ihn auch gar nicht so sehr. Ihm war es wichtiger, dass Lucia gerade bei ihm war und er bei ihr.

„Ich glaube, wir müssen mal aufstehen", meinte Lucia irgendwann. „Meine Füße sind eingeschlafen.", Bruno löste seine Arme von ihr und sie stand auf. „Das ist so ein ekliges Gefühl", jammerte sie, während sie einen ulkigen Tanz aufführte.

Bruno musste lachen, er konnte es sich nicht einfach verkneifen. Lucia sah ihn böse an. „Ich schwöre, ich wünsche dir, dass dir deine Ärmel beim Händewaschen herunterrutschen."

„Oh, nein!", Bruno warf sich dramatisch in Pose. „Wie kannst du mich denn nur verfluchen? Ich dachte, wir hätten eine besondere Verbindung und jetzt fällst du mir einfach in den Rücken? Schäm dich!"

Sie sahen sich eine halbe Minute lang an und dann brachen sie beide in lautes Lachen aus – nun, Brunos Lache war laut, Lucias blieb stumm.

Als sie sich wieder beruhigt hatten, liefen sie zurück ins Dorf. Es war früher Nachmittag und es herrschte viel Trubel. So wie es aussah wurden die ersten Vorbereitungen für La Fiesta de la Vela, ein Fest, welches seit fast zwanzig Jahren im Laufe der Sommermonate gefeiert wird, getan. Es ist ein Fest als Dank für das Wunder, welches Encanto hat entstehen lassen. Man würdigt die magische Kerze und ist dankbar für all das Schöne, was einem umgibt. Bruno hatte fast vergessen, dass es in den nächsten Tagen stattfinden würde, normalerweise stand er an der Seite und beobachtete die Musiker mit ihren Akkordeons, Gitarren und Trommeln und den Bewohnern Encantos, wie sie zu der Musik tanzten oder sich leckere Speisen schmecken ließen. Aber dieses Jahr würde es bestimmt anders werden, dachte Bruno, denn Lucia war da.

„Was machen die hier?", fragte Lucia, während sie die Männer beobachtete, die Laternen zwischen den Häusern aufhängten. „Sie schmücken für La Fiesta de la Vela", erklärte Bruno. „Ich hatte dir ja von der Kerze in Casita erzählt, nicht wahr? Das Fest ist dafür da, um ihr für das Wunder zu danken. Es wird in ein paar Tagen stattfinden und dann wird einen ganzen Abend lang getanzt, gegessen und natürlich an die schönen Dinge im Leben gedacht und gedankt."

„Gehen wir zusammen hin?", fragte Lucia geradeheraus. „Ähm – klar", auch wenn Bruno davon ausgegangen war, dass sie zusammen dort den Abend verbringen würden, war er dennoch kurz etwas überrascht gewesen.

„Ich freue mich", grinste Lucia. „Ich finde die Geschichte von Encanto so interessant. Die Tatsache, dass das ganze Dorf mehr oder weniger aus reiner Magie besteht ... das fasziniert mich so sehr."

„Ich würde dir noch mehr erzählen, wenn es noch mehr gäbe, aber ich glaube, dass du bereits alles weißt.", meinte Bruno.

Sie gingen weiter durch das Dorf und unterhielten sich über Encanto und das anstehende Fest, während Bruno gebannt bemerkte, wie sich die Strahlen der Sonne in den Grüntönen von Lucias Augen verfingen und sie zum Leuchten brachten. Aber nicht nur ihre Augen leuchteten, sondern auch ihr Lächeln, ein wunderschönes Lächeln, wie er anmerken musste. Er war froh darüber, dass sie wieder dazu in der Lage war, wo doch nur wenige Stunden zuvor ein Teil ihres Herzens zerbrochen wurde.

Ich sehe dich, BrunoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt