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Donnerstag, 15. Oktober 2020

Auf einmal wache ich auf und bin hellwach. Ob es wegen des vorbeifahrenden Autos ist, welches man durch das geöffnete Fenster hört oder wegen der Uhr, die gleichmässig tickt, weiss ich nicht.

Ich beuge mich vorsichtig über Larahs schlafenden Körper und greife nach meinem Handy. Der helle Bildschirm blendet mich, weswegen ich kurz die Augen schliessen muss. 23:57 Uhr.

Noch vorsichtiger klettere ich über Larah, ziehe mir Socken und Jogginghose wieder an und verlasse ihr Zimmer.

Unten im Wohnzimmer angekommen, öffne ich die Balkontür und setzte mich auf einen der Stühle neben den Tisch mit den Mosaiksteinen. Aus der Tasche meiner Jogginghose hole ich die Zigarettenschachtel und ein Feuerzeug raus.

Ich stecke mir die Kippe in den Mund, zünde sie an, atme den Rauch tief in die Lunge ein und blase ihn danach wieder aus.

Die Nacht ist still, ausser dem beruhigenden Meeresrauschen ist nichts zu hören. Meine Gedanken wandern zu Charlie. Ich kann es nicht verhindern.

Es ist genau so eine Nacht gewesen. Das schreckliche Schuldgefühl kommt zurück und ich mache mir plötzlich wieder Unmengen an Vorwürfen. Ist es meine Schuld gewesen? Hätte ich es verhindern können?

Ich ziehe erneut an der Kippe, und nochmal, und nochmal, und nochmal. Dann drücke ich sie auf dem Boden aus, zünde eine neue an, ziehe daran, und nochmal, und nochmal, und nochmal.

Die Sicht wird glasig, da sich meine Augen mit Tränen gefüllt haben.

Ich will nicht weinen. Hier in Noja, hier bei Larah, geht es mir besser. Ich habe das Gefühl Fortschritte gemacht zu haben. Jetzt zu weinen, wäre ein Versagen, denke ich.

"Was machst du da?", höre ich plötzlich Larahs schöne und sanfte Stimme hinter mir. Schnell wische ich mir die Tränen ab, ehe ich mich zu ihr umdrehe. "Rauchen", antworte ich. "Ich konnte plötzlich nicht mehr schlafen. Hab ich dich geweckt?"

"Ich wollte mich an dich kuscheln, aber da war kein Vincent mehr." Sie lächelt. Schlagartig ist ihr wunderschönes Lächeln verschwunden und ihr Blick wird ernst. "Hey, weinst du etwa?"

Sie setzt sich auf den zweiten Stuhl. Zwischen uns der Tisch mit den Mosaiksteinen. "Nein", lüge ich, obwohl ich genau weiss, dass sie mir das nicht abkauft.

"Natürlich weinst du. Willst du darüber reden?"

Ich schüttle den Kopf. Sie weiss doch sowieso, weshalb ich weine.

"Gibst du mir dann eine davon?" Sie deutet mit dem Zeigefinger auf die Zigarettenschachtel. Etwas erstaunt frage ich seit wann sie denn bitte schön raucht? Letztes Jahr hatte sie einmal an meiner Kippe gezogen und sie fand es eklig.

"Ach weisst du", sie zuckt mit den Schultern, "man gewöhnt sich an den Geschmack."

Immer noch etwas erstaunt gebe ich ihr eine von meinen Kippen und das Feuerzeug. Elegant hält sie die Kippe zwischen ihren zarten Fingern.

Es ist komisch ihr beim Rauchen zuzusehen. "Ich hoffe, dass du nicht wegen mir angefangen hast mit dem Rauchen", sage ich und sie schüttelt den Kopf. "Weiss Matteo davon?" Sie schüttelt schon wieder den Kopf.

"Warum hast du damit angefangen?"

"Weil du Recht hattest. Es hat tatsächlich eine beruhigende und befreiende Wirkung. In manchen Situationen tut es mir gut. Und es ist ja nicht so, dass ich jeden Tag rauche, so wie du."

"Ich rauche nicht jeden Tag", behaupte ich und sie schaut mich daraufhin prüfend an. "Bist du dir sicher?"

Diesmal bin ich derjenige, der mit den Schultern zuckt.

Einen Moment schweigen wir beide, bis Larah fragt, ob ich ihr jetzt erzählen möchte warum ich vorhin geweint habe.

Ich antworte: "Charlie."

Sie nickt langsam und verständnisvoll. "Das ist völlig in Ordnung. Immerhin ist es bald soweit und sein Todestag jährt sich."

"Ich will gar nicht daran denken." Ich starre auf die Kippe in meiner Hand und schaue ihr dabei zu, wie sie langsam niederbrennt.

"Wenn du möchtest können wir an dem Tag etwas zusammen unternehmen. Was auch immer du willst. Etwas, bei dem du dich ihm nahe fühlst."

"Surfen", schmunzle ich.

"Okay", stimmt Larah zu, "dann gehen wir surfen."

"Mal schauen", entgegne ich leise.

Und ich weiss nicht, was in diesem Moment in mich gefahren ist, aber irgendetwas muss es gewesen sein, denn ansonsten, hätte ich das nicht gesagt: "Ich glaube, ich muss dir was beichten." Ich schlucke schwer.

Larah drückt ihre Zigarette aus und hebt den Kopf. "Was denn?"

"Ich hätte es dir eigentlich sofort sagen sollen, gleich nachdem es passiert ist, aber ich hatte unglaubliche Angst vor deiner Reaktion und die habe ich immer noch." Mein Herzschlag beschleunigt sich, so wie er es immer tut, wenn ich nervös bin. Fast wird mir schlecht. Meine Haut beginnt zu kribbeln. Aber es ist nicht das schön angenehme Kribbeln, sondern das schlechte.

"Was denn?", wiederholt sie.

"Ich habe Mary geküsst."

Larah sagt nichts.

"Naja, eigentlich hat sie mich geküsst und nicht ich sie. Aber ich habe den Kuss erwidert und ich weiss, dass das falsch war. Ich hätte sie wegstossen müssen."

Sie sagt noch immer nichts.

"Kannst du bitte was sagen?" Ich traue mich fast nicht sie anzusehen, doch ich tue es trotzdem, da ich wissen will wie ihr Gesichtsausdruck aussieht. Er verrät mir jedoch nichts.

Sie seufzt. "Was soll ich denn sagen? Passiert ist passiert. Und schliesslich hast du das Recht jede Frau zu küssen, die du willst, auch wenn ich nicht begeistert davon bin."

"Ich wollte sie doch gar nicht küssen", wehre ich ab. "Bist du mir böse?"

"Nein."

Ich tippe mit der linken Hand leicht auf meinen Oberschenkel. Larah erhebt sich, setzt sich auf meinen Schoss und legt mir den Arm um die Schultern. Ich halte sie an der Taille fest und lege meinen Kopf oberhalb ihrer schönen Brust ab.

Sie seufzt. "Danke, dass du es mir trotzdem gesagt hast."

"Musste irgendwie raus. Und ausserdem ist sie ja schon wieder weg. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, dass ich es nochmal tun würde."

"Schon in Ordnung." Ihre Stimme klingt so schön. Leise und sanft.

Auf einmal fängt sie an zu grinsen.

"Was ist?", will ich wissen.

"Die war doch bestimmt zehn Jahre älter als du." Sie lacht. Sie lacht tatsächlich.

Ich kneife ihr in die Taille und sie schreit lachend auf. "Hör auf", lache auch ich.

Sie hört tatsächlich auf und umfasst mein Gesicht mit beiden Händen. Sie schaut mir tief in die Augen und fragt, ob wir einen Deal machen können.

Ich sage ja, ohne zu wissen, was das für ein Deal ist.

"Keine anderen Frauen mehr küssen, okay?"

"Okay, ich möchte sowieso niemand anderen küssen ausser dich."

Bei diesen Worten fängt sie an zu Lächeln. "Gut so."

Sie beugt sich zu mir herab und legt ihre sanften und wunderschönen Lippen auf meine.

***
Wie schon gesagt... mein absolutes Lieblingskapitel 😍
Wie fandet ihr es?

Gefährliche Wellen | ✔️Where stories live. Discover now