24 (2020)

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Larah hat mir geschrieben und gefragt, ob wir uns heute Abend treffen wollen. Ich antworte ihr nicht, denn mein schlechtes Gewissen bringt mich um.

Streng genommen habe ich nichts falsch gemacht. Es war bloss ein Kuss, fast wie ein Abschiedskuss, doch es fühlt sich trotzdem falsch an. Trotzdem fühle ich mich beschissen.

Ich mache den Kühlschrank auf und stelle fest, dass er ausser einem Apfel und ein angefangenes Joghurt nichts beinhaltet. Also schnappe ich mir meinen Geldbeutel und mache mich auf den Weg in den kleinen Supermarkt.

Auf dem Weg dahin klingelt mein Telefon. Es ist meine Mutter.

"Hallo Mama", sage ich und kneife die Augen zusammen, da mich die Sonne blendet.

"Hallo Liebling, wie geht es dir?"

"Gut, ich war surfen", berichte ich ihr von meinem Fortschritt.

"Oh wie toll, das ist ja fantastisch. Fühlst du dich denn wohl in Noja? Ich muss zugeben, ich mache mir immer noch Sorgen und möchte am liebsten, dass du wieder zurück kommst."

Ich seufze und biege rechts ab. Ein schwarzes Auto fährt an mir vorbei. "Das geht aber nicht, Mama."

"Wie lange hast du denn noch vor dort zu bleiben? Vincent, ich weiss nicht ob..."

"Mama", unterbreche ich sie augenverdrehend. "Es geht mir gut hier. Ich weiss noch nicht wie lange ich bleibe. Eine Woche wahrscheinlich, vielleicht aber auch länger, vielleicht nicht. Ich gebe dir auf jeden Fall Bescheid, versprochen."

"Hast du denn noch genügend Geld?"

"Ja."

"Soll ich dir was überweisen?"

"Nein."

"Bist du sicher?"

"Ja."

"Und wenn du das brauchst, dann meldest du dich sofort, verstanden?"

"Ja."

Sie seufzt. Ich merke ihrem Tonfall an, dass sie besorgt ist.

"Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, wirklich nicht."

Aus der Ferne kann ich den Supermarkt schon erkennen. "Eine Mutter macht sich immer Sorgen um ihre Kinder." Sie seufzt nochmal. „Ich muss jetzt weiterarbeiten. Bis bald, in Ordnung?"

"Ja, tschüss Mama." Ich lege auf und mein Blick fällt auf die ungelesene Nachricht von Larah. Schnell lasse ich mein Handy in der Hosentasche verschwinden.

Als ich den Supermarkt betrete klingelt es und der Verkäufer hinter der Kasse wünscht mir einen guten Morgen. Ich nicke ihm zu und schnappe mir einen Einkaufskorb.

Ziellos schlendere ich durch die Regale. Ich lege eine Packung Nudeln und Tomatensauce im Glas in den Einkaufskorb. Dazu noch Toastbrot, Frischkäse, eine Packung Chips und gleich noch eine. Ich biege links ab um zum Bier zu kommen, als ich abrupt stehen bleibe.

Vor dem Bierregal stehen Sam und Timo. Als hätte das Universum mein gestriges Gespräch mit Larah mitbekommen und dafür gesorgt, dass ich ihnen ausgerechnet heute über den Weg laufe, obwohl es mir wegen des Kusses sowieso schon beschissen geht.

Reglos stehe ich da und hätte am liebsten wieder kehrt gemacht, doch ich wollte Bier haben, weshalb ich stehen blieb.

Sams Haare kamen mir noch röter vor als letztes Jahr. Er studierte die Rückseite einer Bierflasche. Idiot, denke ich, wer liest das denn schon. Timo bemerkt mich zuerst.

Er hebt seinen Lockenkopf und schaut direkt in meine Richtung. Ich sehe ihm an, dass er ziemlich überrascht ist. Seine Muskeln scheinen sich innerhalb dieses einen Jahres regelrecht verdoppelt zu haben.

Er stupst Sam an und nickt in meine Richtung. Auch Sam sieht erstaunt aus.

Ich hole tief Luft und laufe auf die beiden zu. Zufällig greife ich nach einem Bier und lege es in den Einkaufskorb.

Timo räuspert sich: "Hallo, Vincent."

"Hallo", sage ich, längst nicht so nett, wie Timo.

Ich lege noch ein paar weitere Bierdosen zu meinen restlichen Einkäufen. Ich habe überhaupt keine Lust mich mit ihnen zu unterhalten, aber Larah hat schon Recht. Leider hat sie das ziemlich oft. Ich würde wohl kaum um ein Gespräch mit ihnen herum kommen und jetzt, da sie wissen, dass ich auch hier bin, schon gar nicht.

"Wie geht es dir?", fragt Timo.

"Gut", lüge ich, "und euch?"

Sie nicken. "Sind Ester und Hanna auch hier?"

Timo schüttelt den Kopf. "Nein, dieses Jahr nicht. Hanna macht ein Austauschjahr in Amerika und Ester... ja keine Ahnung, warum Ester nicht mitgekommen ist." Er schaute hilfesuchend zu Sam, welcher sagte: "Genau, ich schätze die wollte einfach nicht." Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: "Und du? Was machst du denn hier?"

"Urlaub", antworte ich.

"Allein?"

Bei diesem Wort verspüre ich einen Stich im Herzen. Timo rammt ihm unsanft seinen Ellenbogen in die Seite und schaut ihn blöd an. Es war ein Blick der sagte warum-fragst-du-das-du-Idiot.

Ich beisse die Zähne zusammen und nicke kurz. Ich merke den Beiden an, dass sie mit meiner Anwesenheit ziemlich überfordert sind. Sie haben wahrscheinlich nicht damit gerechnet, dass ich jemals wieder kommen würde, was ich ja auch nicht erwartet habe.

Sam entschuldigt sich und fragt, ob ich Lust habe mal was mit ihnen zu unternehmen. Bei dieser Frage werde ich fast ein bisschen wütend.

"Nein", sage ich hart, "und wir müssen auch nicht so tun, als wäre nichts zwischen uns geschehen. Darauf habe ich keine Lust."

Timo nickte verständnisvoll. "Ja, klar. Das verstehen wir. Wir wollten dir auch nicht zu nahe treten, wegen Charlie." Sam nickt eifrig.

Charlie war mein Stichwort. "Wie auch immer." Ich ging ohne mich zu verabschieden zur Kasse und auch ohne mich umzudrehen, spürte ich die brennenden Blicke in meinem Rücken.

***
Zwischen Vincent, Sam und Timo scheint dicke Luft zu sein.
Ich weiss ja warum, aber habt ihr eine Ahnung? Was könntet ihr euch vorstellen?

Bin gespannt was ihr denkt❤️

Gefährliche Wellen | ✔️Where stories live. Discover now