10 (2020)

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Samstag, 10. Oktober 2020

Sanft rüttelt jemand an meinem Arm.

"Hey, Vincent. Wach auf", Larahs liebevolle Stimme dringt an meine Ohren.

Als ich meine Augen öffne, schaue ich direkt in ihr hübsches Gesicht. Sie hat sich neben mich auf das Klappbett gesetzt, ihre Haare mit einer Haarklammer zurückgesteckt und sich auch schon ein hellblaues Kleid angezogen.

Bei ihrem Anblick muss ich automatisch anfangen zu lächeln. Wie schön sie ist.

"Wie spät ist es?", frage ich mit meiner rauen, verschlafenen Morgenstimme.

"Gleich halb Zehn", gibt sie mir die Antwort. "Papa ist schon am Arbeiten und Cleo ist bei ihrem Verlobten. Emilio ist vor einer Viertelstunde aufgestanden und ich habe uns Frühstück gemacht. Magst du auch mitessen?"

Ich nicke. "Gerne."

Einen Moment lang, habe ich das Gefühl, sie würde zu mir heranrücken, doch das musste ich mir wohl eingebildet haben. Zögernd hebt sie ihre zierliche Hand und fährt mir anschliessend durch das dunkle Haar.

"Ich bin nun doch froh, dass du da bist", flüstert sie. "Gestern hast du mich total überrumpelt, tut mir leid, wenn ich etwas abweisend rüberkam."

Mein Herz zieht sich bei ihren Worten zusammen und schmerzt. Ich setze mich auf. "Du brauchst dich doch nicht bei mir zu entschuldigen, Larah."

"Doch, muss ich. Ich habe genau gewusst, wie es dir nach..."

"Sag es ruhig. Du kannst es sagen."

"...nach Charlies Tod ging. Und ich habe trotzdem erwartet, dass du mir sofort zurückschreibst und auf all meine Nachrichten antwortest. Ich habe dir keine Zeit gegeben, um in Ruhe zu trauern und das tut mir leid."

Ich greife nach ihrer zierlichen Hand und umfasse sie mit beiden von meinen. "Mir tut es leid, dass ich dich ein ganzes Jahr lang ignoriert habe und, dass ich gestern einfach so reingeplatzt bin, ohne vorher etwas zu sagen."

"Vergeben und vergessen?"

"Vergeben und vergessen."

***

Während Larah die letzten zwei Toasts in den Toaster steckt, stehe ich schweigend im Wohnzimmer und sehe mich um. Mein Blick fällt auf das grosse Bücherregal, wandert weiter zu der orangefarbenen Couch und bleibt schliesslich an dem schwarzen Klavier hängen.

Es hat sich so unglaublich viel verändert.

Ich habe nicht gemerkt, dass Larah hinter mich getreten war. "Wenn du willst, darfst du mir was vorspielen."

Ich schüttelte langsam den Kopf, ehe ich emotionslos sage: "Ich spiele nicht mehr."

Meine Gedanken, wandern an letztes Jahr zurück. Wie ich hier schonmal sass und ihr etwas vorgespielt hatte, und wie wir danach miteinander geschlafen haben.

Larah legt mir eine Hand auf die Schulter. "Lass und jetzt erstmal frühstücken, und wenn dein Zimmer dann schon frei ist, bring ich dich da hin."

Ihr kleiner Bruder Emilio starrt mich während des gesamten Frühstücks ununterbrochen an und vergisst dabei ganz, sein Spiegelei zu essen.

"Emilio, iss", muss ihn Larah bestimmt fünfmal daran erinnern.

Als ich es nicht länger aushalte, lege ich meine Gabel beiseite und sage zu ihm: "Wenn du was fragen willst, dann darfst du das. Du weisst doch noch wer ich bin, oder?"

Er nickt. "Du bist Vincent, Charlie war dein Freund."

"Emilio!"

"Schon gut, Larah", winke ich leise ab. Emilio ist schliesslich noch ein Kind.

"Ja, das war er. Und er ist es sogar immer noch, auch wenn ich ihn nicht mehr sehen kann."

"Warum bist du wieder hier?", fragt er mich. Seine schwarzen Locken sind von der Nacht immer noch ganz verstrubelt.

Ich holte tief Luft. "Weil ich eine kleine Auszeit von zuhause gebraucht habe. Es war höchste Zeit für mich, einmal abzuschalten und mich ein bisschen zu entspannen."

"Hast du Larah vermisst?", will Emilio weiter wissen.

Ich spüre, wie mir Larah einen kurzen Blick zuwirft. "Ja, ich habe sie vermisst."

"Mich auch?"

"Dich auch", schmunzle ich und spüre, wie Larah unter dem Tisch kurz meine Hand drückt.

***

Nach dem Frühstück, half ich Larah dabei, abzuwaschen und die Küche aufzuräumen. Danach spielten wir lange UNO mit Emilio.

Jetzt sind wir auf dem Weg zu meinem Zimmer für die kommende Zeit. Ich weiss noch nicht genau, wie lange ich hier sein würde.
Wir betreten, die Rezeption, damit Larah den Schlüssel holen kann. Ich trete nach ihr ein und falle in das Blickfeld von Señor Sànchez, der gerade etwas in den Computer eintippt.

Er reist seine Augen weit auf, als er mich erkennt. "Vincent", sagt er überrascht, "seit wann bist du denn hier?" Sein Akzent ist nicht zu überhören.

"Seit gestern Abend, Matteo."

Matteo, Señor Sànchez, presst die Lippen zusammen, steht mit einem Ruck auf, schreitet zügig auf mich zu und umschlingt mich mit beiden Armen.

Ich bin so perplex, dass ich Larah einen kurzen, Hilfe rufenden Blick zuwerfe. Als sie mir aufmunternd zunickt, schliesse auch ich meine Arme um Matteo.

"Mein Junge", sagt er unter Tränen.

Was ist denn mit ihm los? Wir hatten letztes Jahr zwar eine enge Bindung aufgebaut, aber ich dachte nicht, dass die nach einem Jahr immer noch so stark ist.

"Du bist hier immer willkommen, immer!"

"Danke, Matteo."

Er löst sich von mir und wischt sich eine Träne aus den Augen. Larah schmunzelt und sagt zu ihrem Vater irgendetwas auf spanisch, was ich nicht verstehe. Matteo nickt daraufhin und lächelt mich ein letztes Mal an.

Larah und ich verlassen die Rezeption. "Süss, dein Papa." Larah zuckt mit den Schultern. "Er mag dich halt."

"Hm", mache ich. "Willst du einen Schlüssel zum Surfboard-Schuppen haben?", fragt Larah.

Ich verspüre einen Stich in meinem Herz. "Nein. Ich surfe nicht mehr."

"Du spielst nicht mehr Klavier, du surfst nicht mehr..."

"Es hat sich eben viel verändert, Larah." Ich will nicht darüber sprechen. Nicht jetzt.

Larah verstummt. Sie scheint gemerkt zu haben, dass es für dieses Thema einfach der falsche Zeitpunkt ist.

„Alter, du Lahmarsch, komm jetzt. Kein Bock immer auf dich zu warten."
„Halt die Klappe. Immerhin schleppe ich hier auch deine Sachen."

Ich erstarre augenblicklich und drehe mich um. Was war das denn?

Larah, die meinen Blick bemerkt hat, sagt "oh scheisse, die hab ich ja total vergessen" und zieht mich sanft weiter.

"Egal, kann dir egal sein, Vincent. Jetzt bloss nicht aufregen."

Bereitwillig lasse ich mich von ihr weiter ziehen. "Was machen die hier? Was soll das?", frage ich sie dennoch.

"Die kommen jedes Jahr hier her, weisst du doch. Sie sind schon am Mittwoch angekommen."

Ehe wir um die Ecke biegen, drehe ich meinen Kopf nochmals um und werfe Sam und Timo einen letzten Blick zu, ehe sie aus meinem Blickfeld verschwinden. Sie haben mich nicht bemerkt.

***
Late night Kapitel für euch❤️
Bin gerade mit meinem Freund in Stuttgart und besuche meine gesamte Familie. Momentan sind wir bei meiner Oma und morgen kommt meine Cousine mit ihrem Kind vorbei.
Freue mich sehr, da ich sie vor einem Jahr circa das letzte Mal gesehen habe.... :/

Habt ihr Familie, die in einem anderen Land wohnt?🌎🌍🌏

Gefährliche Wellen | ✔️Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang