Kapitel 14: Eine Handvoll Buntes

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Es hatte eine Weile gedauert, bis er den nötigen Schwung gefunden hatte, sich nicht mehr nur eine ferne Zukunft auszumalen, sondern auch seine Gegenwart zu klären. Ihm war klar, dass er keine andere Wahl hatte als zu tun, was Benito und damit auch Camilo von ihm verlangten. Zumindest für eine Weile.

Joaquin hatte da glücklicherweise schon ein paar Abnehmer im Sinn gehabt und so stand Rico nun mit ihm und drei Idioten aus der Oberstufe neben dem Schulgelände, die ihm noch seltsam bekannt vorkamen und alle die gleiche Ration kauften.

Eigentlich sollte ihn das nicht wundern. Joe machte schon seit geraumer Zeit Werbung für Eddies Gras und wenn das so gut war, wie er sagte, konnten die Pillen nicht schlechter sein. Ein Grund, einfach alles mit auf ihren Speiseplan für Freitagabend zu setzen, war das aber noch lange nicht.

»Klar, wenn du Bock auf Halluzinationen und Angstzustände hast, leg' los. Aber ich will keine Beschwerden hören, wenn dein Kumpel vom Dach springt, weil er denkt, er könnte plötzlich Backflips hinlegen.«

Das dämliche Kichern der Drei Stooges verstummte wie ein abgerissenes Tonband, während Rico scheinbar ungerührt die Bezahlung nachzählte. Wenn er etwas von Benito gelernt hatte, dann war es, unerwünschte Nebenwirkungen effektiv zu vermeiden.

»Ernsthaft? Was verkaufst du uns denn für einen Mist?«

»Das liegt nicht an der Ware, du Genie, sondern an den chemischen Reaktionen bei Mischkonsum.«

Eine fragwürdige Lehre, sicher, und eigentlich sollte er wohl lieber die berauschende Wirkung und den Reinheitsgrad anpreisen, auf den man in Green Point so stolz war. Und obwohl Joaquin bei seiner Erklärung mahnend den Kopf schüttelte, hielt Rico es für wichtiger, den Knallköpfen auch die Gefahren zu schildern.

Denn offenbar hatte keiner von denen auch nur eine Ahnung davon, was diese lustigen bunten Substanzen mit dem menschlichen Körper anrichteten.

»Ihr puncht euch nur die Wirkung 'raus, wenn ihr alles auf einmal nehmt. Genießt lieber, was ihr da habt. Und wenn es euch gefällt, sagt Bescheid.«

Damit die Typen ihren ersten richtigen Rausch nicht bereuten oder sogar noch vom Kauf zurücktraten, gab Joe ihnen lieber eine Anleitung mit auf den Weg. Und das lief sogar noch besser, als Rico erwartet hätte.

Nicht zu fassen. Wenn sein Kumpel auch sonst nicht gerade ambitioniert war, im Vertrieb war er wirklich zu gebrauchen. Würde er weniger kiffen, wäre das vielleicht sogar eine Option für die Zukunft.

»Die Jungs könnten Stammkunden werden«, bemerkte Joe und zog gelassen an seiner Zigarette. Wie immer lehnte er dabei cool an einer bröckeligen Wand und wirkte dabei auf gewisse eine Weise interessant. »Ich behalt' sie mal im Auge. Wie viel hast du noch übrig?«

Gerade kam es Rico vor, als würde vielmehr er selbst unter Beobachtung stehen. Er hatte sich und auch ihn schon gefragt, was genau er nun eigentlich für Benito tat, aber mehr als die Bestätigung seiner Annahme hatte er nicht aus ihm herausbekommen.

Joe verhielt sich seltsam ruhig, seit er ihn zur Übergabe mitgenommen hatte. Entweder plante der Kerl etwas oder er nahm diese Aufgabe doch ernster als er es ihm zugetraut hätte.

Wobei, dass Joe mehr plante, als lediglich die kommende Woche zu überstehen, war eine beinahe utopische Vorstellung.

Rico rechnete kurz nach, was er in den letzten Tagen losgeworden war und wie viel er selbst davon abbekommen würde, und befand das Ergebnis leider für gut. Es lohnte sich tatsächlich, nicht nur zwischen Abhol- und Übergabeort zu pendeln.

»Nicht mehr so viel. Noch etwa sechs Tüten und eine Handvoll Buntes.«

Sein Freund nickte, ließ die Zigarette fallen und trat sie mit seinen abgewetzten Lederstiefeln aus. Dann schob er sich das Haar aus der Stirn und griff in seine Jackentasche. »Willst du noch was loswerden?«

»Inwiefern?«

»Ich nehme zwei Tüten. Kleine Vorbereitung aufs Wochenende.«

Rico lachte trocken. »Du weißt, dass das nicht mein Vorrat ist. Der kostet dich das gleiche wie die anderen auch.«

Als Joe kommentarlos nicht einmal kleine Scheine abzählte, hätte Rico nicht sagen können, ob er ihn nun zu einer soliden Einnahme beglückwünschen oder sauer auf ihn sein sollte, weil er das verdiente Geld gleich wieder zum Fenster hinaus warf.

»Zwei für vierzig. Ich kenne die Preise.«

Noch zögerte er, ihm etwas von seiner Ware zu geben, und das nicht nur, weil es gesünder für ihn wäre, seinen Konsum zu reduzieren. Ganz einstellen würde er ihn ohnehin nicht.

Nein, vielmehr bekam er bei seinem einstmals besten Freund zunehmend ein komisches Gefühl. Er hatte nicht ganz verstanden, warum Joe sich nicht über seinen Neueinstieg bei Applebys freuen konnte. Mittlerweile hatte er ein paar Theorien aufgestellt.

Einerseits hatte er angenommen, Joe ginge es vorrangig darum, seinen steten Nachschub zu gewährleisten. Rico hatte sich also fragen müssen, ob er wirklich so egoistisch war? Leider ja.

Ja, das hätte er drauf. Joe war immer ein bisschen heimlichtuerisch gewesen, hatte nie mit offenen Karten gespielt, wenn er einen Verlust gewittert hatte. Das war in gewisser Weise sogar verständlich. Ihm gegenüber hatte er sich aber nie so seltsam abweisend verhalten.

Nun, alles in allem hatte er das Gefühl, diese Freundschaft, so lange sie auch wehrte, würde allmählich bröckeln. Und das bereitete ihm Bauchschmerzen. Er wollte ihn auf keinen Fall verlieren, aber seit einer Weile schon schien es so, dass sich ihre Wege allmählich trennten.

»Apropos Preise«, holte Joe ihn nun aus seinen Gedanken. »Ich kenne da ein paar Typen von der Maspeth High. Die wollen am Wochenende eine kleine Party veranstalten, wenn du verstehst. Ich sagte ihnen, ich wüsste, wie sie kriegen, was sie suchen. Und da sie das Zeug unbedingt haben wollen, zahlen sie gut. Mehr als sonst üblich.«

»Und wieso das?«

»Offenbar sitzt ihr Dealer gerade ein und der Nachschub bleibt aus. Sie kennen sonst niemanden.«

Aber du, dachte Rico spöttisch.

Scheiße. Er war hin und her gerissen. Einerseits wäre das leicht verdientes Geld, andererseits gefiel es ihm nicht, dass Joe jetzt schon seine Geschäfte regelte. Wenn das so weiterginge, wäre er bald mehr als nur reiner Packer in Green Point.

Er schüttelte den Kopf. »Dafür müsste ich erstmal selbst welchen haben und den habe ich nicht. Außerdem kenne ich die Typen nicht. Das ist mir zu unsicher.«

»Verstehe ich«, gab Joe zurück. »Wenn du es dir anders überlegst, lass es mich wissen. Ein Anruf genügt. Und jetzt gib mir meine Wochenendbelohnung, ich muss zum Englischkurs.«

Nur widerwillig drückte er ihm die zwei gewollten Tüten Marihuana in die Hand und steckte sein Geld ein. Dass er nachgegeben hatte, machte ihn im selben Moment wütend, und es wurde auch nicht besser, als Joe sein spitzbübisches Lächeln aufsetzte und ihm wie gewohnt auf die Schulter klopfte.

Als der sich gerade in Bewegung setzte, rief Rico ihm noch einmal nach. »Übertreib' es nicht«, war alles, was er ihm mit auf den Weg gab.

Ein universeller Rat, den er wenigstens einmal in egal welcher Lage beherzigen sollte.

Joe grinste ein letztes Mal unschuldig und Rico sah ihm nach, bis er in dem rostroten Betonklotz verschwand. Unverbesserlich.

Erst jetzt fiel ihm auf, dass Joe ihn nicht zu sich eingeladen hatte, wie er es sonst an fast jedem Wochenende tat, besonders wenn er wieder etwas auf Vorrat hatte.

Jetzt war er sich sicher, dass hier etwas gewaltig nach hinten los ging.

Er musste unbedingt mit Benito reden. Joe durfte nicht in die gleiche Scheiße geraten, in der er feststeckte, denn der würde darin baden, bis er an all dem Mist erstickte.

Er war kaum zwei Meter weit gekommen, als ein Ruck am Arm ihn sehr effizient ausbremste. Im nächsten Moment prallte er mit dem Rücken gegen die Wand, an der Joe eben noch gelehnt hatte, und sah zuerst eine breite Brust vor sich. Er musste den Blick ordentlich heben, um das Gesicht des Fremden zu sehen.

»Was, zum Teufel, tust du da?«

Queens BlvdWhere stories live. Discover now