~Die Schlacht um Mittelland~

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„Macht die Geschütze klar! Nehmt eure Posten ein!", schrie Asran aus Leibeskräften und die Katapulte wurden herbei geschoben. Schwere Steine wurden häufchenweise neben sie gelegt, hunderte Krieger stellten sich zu den Wachen auf den Wehrgang. Vor drei Tagen bereits hatte Nincoril die Gracker gesichtet. Vor drei Tagen! Warum hatten sie nichts unternommen? Die Gracker hätten jeden Moment angreifen und sie überrennen können! Stattdessen hatte man die Diener des dunklen Lords munter lachen hören, und sie, die Könige und deren Berater, hatten sich in dem gottverfluchten Saal verbarrikadiert und hätten ihren Kriegern den Tod überlassen! Vazyllanne schien feige zu sein, aber nur für all jene, die sie nicht näher kannten. Asran, der ständig mit ihr diskutiert hatte, kannte sie besser. Sie war nicht feige, nur blind. Doch entschuldigte das ihre Taten und ihre Reaktionen nicht. Was ging in ihrem Kopf vor, dass sie in so einer Situation nicht gehandelt hatte? 

Asran stützte sich auf die breite, weiße Mauer Dauliniens. Sein Atem ging keuchend, im gesamten südlichen Teil des Elfenreiches hatte er für Ordnung gesorgt. Er hatte Strategen rufen lassen und ihre Bitten und Vorschläge erhört. Er hatte die Krieger bereit für den Kampf gemacht, ihre Angst vor dem Tod genommen. Er hatte die Nahrungsaufteilung übernommen, bestimmt, wieviel an welchem Tag für wen da sein würde. Er hatte die Lager der Heiler besichtigt und Schutzwälle um sie herum errichtet. Und er hatte diese verdammten Kriegsräte mit Aristeas, Athavar, Obsukrin, Thorwin, Grorphil, Aznael, Vazyllanne und Laurentius abgehalten. Sie hatten nie etwas gebracht, stets war die Meinung der Leitenden verschieden gewesen. 

„Ihr habt gute Arbeit geleistet, mein Herr, wenn ich mir das erlauben darf. Also das zu sagen, meine ich", sagte ein Zwergenkrieger mit braunem Bart. Er erinnerte Asran an Durgrim. Der Elf vermisste die störrischen Handlungen des Zwerges, vermisste seine rohe Art. Mit ihm war es nie langweilig gewesen. Warum mussten immer nur die Guten sterben? Viel lieber hätte er sich von Vazyllanne getrennt...

Asran erschrak. So etwas durfte er nicht denken! Nie wieder! Er straffte sich. „Noch ist noch nichts entschieden", sagte er dann und mied den Blick des Kämpfers.

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Man spürte es in der Luft. Das nahende Unheil. Athavar zog die Luft ein und wandte sich an Obsukrin. Er schätzte die Gesellschaft seines alten Freundes. Und dennoch waren seine Gedanken bei Asran. Der Elf hatte sich sehr verändert in letzter Zeit. Er war unnahbarer, reizvoller geworden. Athavar nahm seinen Harnisch und legte ihn an. Er verzichtete auf die Hilfe Obsukrins. Seinen letzten Weg würde er alleine gehen! Sein Brustpanzer lag eng an, das dicke Leder war wie eine zweite Haut. 

Nicht nur Asran hatte sich verändert, sondern auch er selbst. Er mochte die Elfen nicht mehr, jetzt, wo er in ihrem Reich war. Ihn machte es wütend, dass die Elfen aus dem Moraldwald und die Elfen aus Daulinien die Menschen aus Romak als Freunde bezeichneten und ihnen doch nicht halfen. Romak war pleite, immer mehr Menschen zogen aus. Und Athavar hatte nicht das Gold oder Silber, um sie bei der Stange zu halten. Und die Elfen, die hatten Gold und Edelsteine im Überfluss! Kein Baum war nicht mit dunklen Smaragden verziert, keine Säule besaß keine goldenen Schriftzeichen. Athavar rückte sein Schwert zurecht. Draußen, außerhalb seines Lagers, ertönten die ersten Schreie. Die Schlacht begann. Obsukrin wollte etwas sagen, doch Athavar nahm wortlos seinen Helm und trat hinaus. Er würde mit seinen Männern sterben!

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Grorphil rammte einem Gracker die Axt in die Fresse und lachte gehässig, als dieser wieder hinabstürzte zu seinen Kameraden, die wie Ameisen die großen Leitern herauf krabbelten. Die Leitern hatten Widerhaken, wenn sie sich einmal an der Mauer eingehakt hatten, dann konnte niemand sie stürzen. Schon gar nicht ein Zwerg! Noch ein Grund mehr, die Schlacht um Mittelland lieber bei den Höhlen von Taugrum ausgetragen zu haben. Grorphil würdigte Asran und sah ihn auch als sein König an, aber dennoch vermisste er Grimbold. Der tote Zwerg hatte stets einen Ausweg gewusst, war immer bedächtig gewesen. Asran hingegen konnte man nicht durchschauen. Er handelte mit Vernunft, aber niemand verstand seine Taten. 

Noch war der Wehrgang voll mit ihren Männern. Sie würden ihn noch mindestens eine Stunde halten können. Aber was dann? Irgendwann würden die Gracker durchbrechen. Grorphils Axt fand ihr Ziel in dem kahlen Schädel einer seiner Feinde. Mit aufgerissenen Augen kippte er nach hinten. Ein Speer streifte Grorphils Gesicht, ein Schwert verfehlte seine Beine nur knapp. Ein Zwerg ging schreiend zu Boden und Grorphil sah ihn traurig an. Aber er konnte ihm jetzt nicht helfen! Er parierte einen Hieb, trennte dem Gracker den Arm ab und stieß das andere Ende seiner Axt in dessen Gesicht. Dann wirbelte er herum und glitt flüssig an einem Pfeil vorbei. Er war wie in Trance. Spürte nichts und roch nichts. Die Schrecken, die er sah, realisierte er nicht. Neben ihm spannte sich das Katapult und warf einen riesigen Stein in die braune Masse der Gracker. 

„Sie wollen die Katapulte einnehmen!", schrie ein Zwerg und augenblicklich rückten alle seiner Art näher an die großen Bauten. In einem unaufmerksamen Moment traf eine Klinge Grorphil in der ungeschützten Wade und sofort realisierte er das Grauen der Schlacht. Der Gestank nach Blut und nach Toten erfüllte die Luft. Der Zwerg spürte deutlich das Blut seiner Feinde auf seinen Unterarmen und in seinem Gesicht. Der Helm konnte ihn nicht vor Blut schützen. Grorphil vermied es, auf den Boden zu sehen. Er wollte diese Grauen nicht realisieren! 

Grorphils Blick glitt zurück in die inneren Festungsringe. Irgendetwas sagte ihm, dass etwas faul an diesem Angriff war. War es das Bauchgrummeln, das ihn schon die ganze Zeit verfolgte, oder aber sein juckender Zeh heute morgen? Er wusste es nicht so recht.

Der Zwerg wandte sich wieder seinen Gegnern zu. Ihm war eigentlich relativ egal, was da drinnen geschah. Er vertraute darauf, dass Asran sie ihm Notfall retten würde. Er hatte viel Glauben in den Elfen gesteckt, in ihm lauerte Potenzial. Wenn sie das hier überleben würden, würde Asran eine glorreiche Zeit bevorstehen.

Und selbst wenn nicht: Grorphil fürchtete den Tod nicht. Wenn er sterben würde, dann würde er sterben, so einfach war es. Er würde Grimbold, Durgrim und seiner Familie folgen. Ihm graute es schon lange nicht mehr vor dem ewigen Schlaf.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als ein Schwert auf ihn zurauschte. Im Krieg suchte man nicht nach Gegner, man fand sich einfach. Ein beinahe fröhliches Knurren entrang seiner Kehle, als der nächste Hieb auf ihn niederschlug

Das fünfte Amulett (Band II der Chronik von Mittelland)Where stories live. Discover now