~Asren~

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Asran drehte sich nicht um. Er wollte seine Gedanken nicht an Altes hängen, wollte seinem Schicksal ins Antlitz sehen. Beinahe wie eine Berührung lastete der Blick Grorphils auf ihm. Und doch brachte Asran es nicht über sich, zurück zu sehen und in des Zwergen Augen zu blicken. Der silberne Pfad zu Asrans Füßen schimmerte wie der Mond. Weißes, grelles Licht lag links und rechts zu Asran. Immer schneller pulsierte es und immer schneller schien es an dem Elfen vorbei zu rasen. Ein unsichtbarer Sog, der Asran in eine andere Welt ziehen würde. Asran bäumte sich mit seiner ganzen Körperkraft gegen die unsichtbare Macht und doch konnte er ihr nicht entfliehen. Panik ergriff ihn. Hatte er bei dem Zauber doch etwas falsch gemacht? Lief alles so, wie Grorphil es gesagt hatte?

Immer noch wuchs die Kraft des Sogs und immer noch wurde Asran weitergezogen. Die Füße in den Boden gedrückt schlitterte Asran auf ein stets größer werdendes, schwarzes Tor zu. Asrans Gedanken rasten, hatte er sein Ziel erreicht? Das Ende des Weges kam bedrohlich näher, wuchs bedrohlich zu einem großen, klaffendem Maul an. Asran konnte noch nicht einmal nachdenken, dann durchquerte er das Tor und augenblicklich verebbte die Kraft des Sogs. Hart prallte Asran auf steinigen Boden auf. Etwas nasses lief dem Elfen über die Wange. Blut? Er wusste es nicht. Trotz seiner Elfenaugen erkannte er nichts, der Raum, in dem er sich befand, wurde von keiner einzigen Fackel erhellt. 

Asran packte das Amulett. Es schmiegte sich in seine Handfläche. Der Elf spürte die Macht, die von dem wertvollen Gegenstand ausging und er versuchte, sie zu sich zu rufen. Als er glaubte, die Macht stünde neben ihm, ließ er das Amulett aufglühen. Mit den kräftigsten und zärtlichsten Grüntönen glomm es in seiner Hand. In dem zentralen, tiefgrünen Stein in der Mitte züngelte eine kleine Flamme, die merkwürdige Schatten in Asrans Hand warf. Tief wie ein Auge konnte der Stein einen manchmal ansehen, und starr wie ein Fels dar liegen. Kleine, zu Schwertern geformte Steine lagen um den grünen Stein. Sie hatten die Farbe vom tiefsten Rot, von dem dunkelsten Schwarz, dem hellsten Blau und dem zärtlichsten Violett. 

Asran schloss die Augen. Er war dem Amulett verfallen, ganz und gar. Er liebte das Werk seines Vaters, und er liebte seine Aufgabe, egal wie viel Schmerz und Leid er erfahren musste. Er konnte sich auf das Amulett und auf die Magie, die es in sich trug, verlassen, das wusste er. Und er verstand den dunklen Lord, der alle Amulette besitzen wollte. Wenn sie genauso schön waren, wie seins... Asran fühlte sich mächtig, unbesiegbar. Er fühlte sich, als wäre er der einzige, der den Amuletten würdig war. Der Elf zog genüsslich die stickige Luft ein. Er würde die Welt besitzen, wenn er überlebte. Er würde alles haben, alles würde seins sein. Asran lachte. Er war dem Amulett verfallen, und es ihm, ganz und gar.

Plötzlich fühlte sich der Elf unbedeutend. Und er fühlte sich einsam. So unendlich einsam. Er mochte sich nicht vorzustellen, was Lasyn getan hatte, als ihr Lyvaron genommen wurde. Er brauchte Familie. Jemanden wie Moserim. Ob er noch lebte? Er brauchte seinen Vater, jemanden, der ihm die Last dieser Reise erleichtern konnte. Asran sank auf den Boden und krallte sich an das Amulett. Eingerollt schluchzte er wie ein kleines Kind. Es war ihm egal. 

Ein helles Licht erschien und augenblicklich hob Asran den Kopf. Eine weiß leuchtende Gestalt kam auf ihn zu. Sie trug ein grelles Gewand, weiß, mit silbernen Adlern. Silberne Haare flossen der Gestalt auf die Schultern, das Gesicht wirkte, als würde es von Mondlicht beschienen. Braune Rehaugen blickten Asran an. Es waren die Augen, die er selbst auch hatte. Und die Körperhaltung. Die Gestalt legte die Hand an Asrans Kinn. Es war, als würden kühle Sonnenstrahlen ihn berühren. Die Silhouette ging vor Asran in die Knie. Es war ein Elf. „Wer bist du?", brachte Asran hervor. Statt zu antworten sagte der Elf: „Mein Junge, es ist das erste Mal, dass ich dich erwachsen sehe. Glaub mir, ich ging nicht ohne Grund. Du warst immer mein Adler, das stärkste Tier! Es war nicht meine Schuld." Tränen füllten die Augen des anderen Elfen. Asran erkannte sich selbst in den Zügen wieder. 

„Vater?", fragte er und hob den Blick. Asren nickte. „Ich... es tut mir Leid. Ich hätte dir diese Last niemals aufbürden sollen! Du hast es nicht verdient. Ich hätte es nicht getan, nicht mir selbst das grüne Amulett der Macht gegeben, wenn ich gewusst hätte, dass deine Mutter Leben in sich trägt. Dich in sich trägt. Wirklich, ich hätte es nicht gemacht", sagte Asren. Asran war sprachlos. Seine Gedanken rasten. Wie konnte Asren hierherkommen? War es ein Trugbild? War es wirklich sein Vater? War er selbst verrückt? Oder war es die Welt? War er überhaupt an seinem Ziel angekommen? War das der Tod, den er womöglich auf dem Weg gefunden hatte? Asran beschloss, Asren Glauben zu schenken.

„Wenn du mein Vater bist, dann sage mir, wie ich siegen kann. Wie ich die Welt vor dem Untergang und meine Familie wieder zusammen führen kann. Du hast die Amulette erschaffen, du weißt, wie sie zerstört werden können", sagte Asran. Asren schwieg, dann erwiderte er: „Führe alle fünf Amulette zusammen. Ich erschuf sie alle miteinander. Keines war später als die anderen geschmiedet worden. Führe sie zusammen und sei mit allem im Reinen. Erst dann ist dein Geist frei genug, um die Kraft zu haben loszulassen und die Amulette zu zerschmettern."

„Das ist unmöglich! Bei diesem Versuch werde ich sterben!", begehrte Asran auf. Die Augen seines Vaters glänzten. „Es tut mir so Leid", sagte er und seine Gestalt verschwamm. „Verliere nie dein Ziel aus den Augen und kämpfe nur für das, für was sich ein Kampf lohnt. Öffne deine Augen und sieh die Welt mit anderen Sichten. Durchschaue mich, dann durchschaust du auch die Pläne des dunklen Lords. Ich bin bereits von dieser Welt gegangen, ich werde deine Ahnen von dir grüßen, mein Sohn. Es tut mir so Leid", sagte er, dann war seine Gestalt verschwunden und Asan blieb allein zurück. Allein mit sich, den Worten seines Vaters und der Dunkelheit.

Das fünfte Amulett (Band II der Chronik von Mittelland)Où les histoires vivent. Découvrez maintenant