~Loghrus~

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„Sie ziehen also nach Daulinien, Zwerg?", fragte er und drückte das Messer noch fester gegen die Kehle des kleinen Wurms. Diese kleinen Sturköpfe waren zwar hässlich und dumm, doch sie hielten dicht. Kein einziger von denen, die Loghrus befragt hatte, hatte geredet. Es war zu dumm, das Grimbold tot war. Er war einer der einzigen Zwerge gewesen, mit denen man verhandeln konnte. Aber das Kopfgeld war bei ihm zu hoch gewesen, seine Männer zu gierig. Es hatte nach dem kleinen Zwischenfall in den Höhlen von Taugrum einen Streit unter den Grackern gegeben. Jeder hatte Grimbold haben wollen, bis schließlich er, Loghrus, seinen Kopf an sich genommen hatte. Wenn er jetzt zurück zu seinem Gebieter ging würde er zehn Goldbarren erhalten. Ein breites Grinsen entfaltete sich auf Loghrus' Gesicht. Es tat gut, dass er der Anführer war. Sein Gefangener lachte heiser. 

„Schnauze!", fuhr Loghrus ihn an und der Zwerg lachte noch lauter. Der Gracker legte seinen Kopf schief und sah seinem Gegenüber in die Augen. „Was ist denn so lustig?", fragte der Feldherr und rückte nah an den Zwerg heran. Das Lachen des Bastards ging in keuchendes Husten über. Loghrus war sich seines Mundgeruches bewusst. Er zog die Nase hoch und hauchte dem Zwerg ins Gesicht. Mit einem Grinsen drückte er dann seine Messerklinge in den kurzen Hals. Der Zwerg grinste ihn an, dann sank er nach vorne und blieb liegen. Regen prasselte auf Loghrus nieder. Es war unsinnig, seine Zeit mit Zwergen zu vergeuden. Und noch unnützer, die Elfen zu befragen. Die beschissenen Spitzohren konnten verdammt nochmal gut reden! Loghrus hatte es schon aufgegeben. Es war ihm peinlich, von einem Elfen seinem Heer vorgeführt zu werden. Die Elfen wussten beängstigend viel über ihn.

Loghrus wandte sich an seine Krieger. Sie waren nicht, so wie die Gracker der anderen Feldherren, ungepflegte Arschlöcher, sondern sie waren Krieger! Krieger, die kämpfen konnten. Krieger, die Vernunft in ihrer Birne hatten und die nicht flohen, wenn das Schicksal es ihnen anders bestimmte, als sie es vorhergesehen hatten. Sie konnten Pläne schmieden und sie überdenken, hinterfragten die Befehle, die man ihnen sagte. Sie waren wahrlich Kämpfer! Es zürnte ihn, dass von den zweiundzwanzigtausend, mit denen sie aufgebrochen waren, nur noch zwanzigtausend weiterziehen konnten. Sie kämpften echt gut, ihre Gegner. Aber egal wie viel sie kämpfen würden, sie würden letztlich eh untergehen. Für die Elfen, Menschen und Zwerge war es nur noch eine Frage der Ehre. 

Ein Kamerad trat an Loghrus. Er hielt einen Menschenkopf in den Händen. Die Menschen hatten den geringsten Widerstand geleistet. Wenn man ihnen einmal drohte, etwas gegen ihre Familie zu unternehmen, so redeten sie. „Sie ziehen nach Daulinien", sagte der Krieger und deutete auf den Horizont, wo der Elfenwald liegen musste. Loghrus lachte laut auf. Er konnte sich beim besten Willen keine Zwerge, hässliche, vernarbte Halblinge, in dem so vollkommenen Elfenreich vorstellen. Das ging über sein Vorstellungsvermögen heraus. „Loghrus, es ist wahr! Es sprachen mehrere Menschen davon! Und auch ein Elf erzählte einem seiner Freunde etwas davon, wie schön der Wald im Abendlicht glänzt", sagte Loghrus' Kamerad eindringlich. Der Feldherr zog die Haut über seinem rechten Auge in die Höhe. Bei Elfen, Menschen und Zwergen säße dort eine Augenbraue, bei einem Gracker verunzierte kein Fell das Gesicht.

„Also gut", sagte Loghrus und erhob sich. Er stützte sich schwer auf seine Krücke. Sein rechtes Bein war kurz unter dem Knie abgetrennt. Einst, in seiner ersten Schlacht, hatte ein blaugewanderter Elf sein halbes Bein genommen. Seitdem hatte Loghrus ewige Rache geschworen. Und obwohl er nun schon seit so langem ohne sein rechte Bein lebte, spürte er noch immer seinen Fuß jucken. Oder seine Knochen knacken. Ein stechender Schmerz machte sich in der Gegend breit, in der sein Knie gewesen wäre. Loghrus wurde schwindelig und stützte sich auf seinen Kameraden. Er wusste seinen Namen gar nicht. Doch, er hatte ihn gewusst, aber wieder vergessen. Das war die Strafe des Alterns. Niemand kam ohne sie davon. Loghrus brauchte Hilfe beim Aufstehen und seine Sicht trübte sich. Sein Gehör ließ nach und sein ehemaliges Gedächtnis, das sich alles gemerkt hatte, blieb nur noch zu wünschen übrig.

Die verdorrten Gräser zu Loghrus' Füßen fuhren Karussell und verschwammen, als würden sie ein Meer sein. Seine Sicht wurde dunkler. So stark war der Schmerz nun schon, dass er auch schon seinen Geist beeinträchtigte! Loghrus schüttelte den Arm des Kriegers ab, der ihn gestützt hatte, und blickte nach Daulinien. Ja, er könnte sich sehr gut vorstellen, dass sie dorthin geflohen waren. Und er würde ihnen mit seinem Rudel folgen, mit seinem Heer. Allein schon seines abgetrennten Beines wegen. Und sollten die Elfen doch durch ganz Mittelland fliehen. Am Ende würden die Gracker siegen. Denn die Gracker waren geborene Jäger.

Das fünfte Amulett (Band II der Chronik von Mittelland)Where stories live. Discover now