~Vazyllanne~

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Thorwin drehte sich im Kreis. Er war beeindruckt, und das ärgerte ihn. Die Stämme der Bäume glänzten golden im untergehenden Sonnenlicht. Sie hatten ihre Äste stolz erhoben. Wie im Boden steckende Speere sahen die Bäume aus: Hochgewachsen und schlank. Die Luft hier war rein, frei von jeglicher, trüber Stimmung. Thorwin blickte zu seinen Gefährten und biss sich augenblicklich auf die Unterlippe. Es schien, als wäre er der einzige, der die Wunder des Elfenwaldes bestaunte. Azariel und Asran beachteten den Wald noch nicht einmal. 

Nincoril führte die Gefährten zielsicher über silberne Wege. Thorwin mochte den Elfen nicht. Von allen Spitzohren war er der Schlimmste. Nincoril hielt sich für erhaben und stolz, doch in Wahrheit war er ein eitler Sack. Thorwin musste lächeln. Er hatte das feurige Blut seines Großvaters in den Adern. Aber was sollte man von Nincoril sonst halten? Er hielt sich für so gut, dass er nicht mit den Gefährten sprach. Thorwin ballte die Hände. Wenn sie Nincoril nicht bräuchten hätte er dem Elfen schon lange den Hals umgedreht!

Der Blaue blieb stehen und rief in seiner Sprache etwas. Wieder so eine Sache, die Thorwin hasste. Die Elfen hatten eine eigene Sprache erfunden, anstatt die der Menschen zu sprechen. Er würde dieses Volk nie mögen können, aber er durfte sie auch nicht herausfordern. Er wusste, dass sie herausragende Kämpfer waren. Ein Elf kam auf sie zu. Er trug eine silberne Rüstung, von der man bestimmt ein ganzes Gehöft hätte kaufen können. Thorwin schüttelte den Kopf. So waren sie, die Elfen.

„Es gehört eigentlich nicht zu unseren Sitten, dass wir unsere Gäste nicht ruhen lassen. Doch die Zeit drängt, Asran wird im Thronsaal von Vazyllanne erwartet", sagte Nincoril. Er deutete auf den anderen Elfen: „Das ist Ilymus, der Kommandant unserer Wache. Er wird Durgrim in den steinernen Wald bringen." „Der steinerne Wald?!", empörte sich der Zwerge und trat einen Schritt auf Nincoril zu: „Ich scheiß' auf den steinernen Wald! Ich...!" Athavar unterbrach ihn. „Durgrim. Mach es nicht schlimmer, als es schon ist", sagte er müde. Durgrim zog die Brauen zusammen.

„Mach es nicht schlimmer, als es ist?", wiederholte er und stemmte die Arme in die Hüften. „Besteht nicht auch die Möglichkeit hier zu warten?", fragte Thorwin so freundlich es ging. Er bemitleidete Durgrim. Der steinerne Wald war einst eine wunderschöne Landschaft gewesen, in der dutzende, verzierte Steine gestanden hatten und klare Quellen entstanden waren. Jetzt war er zerstört. Zerstört von der Kraft des dunklen Lords. Nincoril schüttelte den Kopf. „Dann werde ich mit ihm gehen!", sagte Thorwin fest und stellte sich an Durgrims Seite. Ilymus und Nincoril sahen Thorwin belustigt an. „Wenn Ihr es wollt, so habt Ihr natürlich die Erlaubnis", sagte Nincoril und Ilymus übernahm die Führung, während sich Nincoril an die anderen Gefährten wandte.

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Asran folgte Nincoril. Er war entwaffnet worden. Er spürte, dass das Schwert an seiner Seite fehlte. Gleichzeitig wirkte die Klinge von Nincoril umso bedrohlicher. Der blau gewandete Krieger führte ihn zu der Festung Dauliniens. Der Wald wurde lichter, immer mehr Strahlen der Abendsonne legten sich auf sie nieder. Vor ihnen tat sich eine riesige, fünf Schritt hohe Mauer auf. Sie bestand aus weißen Steinen, die in regelmäßigen Abständen gesetzt worden waren. Wachen in schillernden Rüstungen patrouillierten auf dem Wehrgang hoch über ihnen. Aus den Schießscharten lugten Spitzen von Pfeilen. Die Bäume hinter ihnen spiegelten sich in dem blanken Metall. 

Das Stadttor war aus massivem Eisen gefertigt. Gitterstreben verliefen quer und senkrecht, dahinter war eine feste Eichentür. Zwölf Krieger auf jeder Seite des Tores hielten Wache. Sie hatten ihre Piken erhoben. Ohne Widerstand wurden Asran und Nincoril durchgelassen. Rasselnd öffnete sich das Gitter, dann schwangen die Eichentore auf. Nincoril führte Asran durch verwinkelte Gassen. Große, weiße Häuser hatten keinen einzigen Schmutzfleck an ihren Wänden. Sie wirkten edel. Goldene Runen und Buchstaben waren in die Wände geritzt und ließen die Häuser mystisch wirken. 

Nach ein paar Minuten hatten Nincoril und Asran den Thronsaal Vazyllannes erreicht. Er war in einem riesigen Gebäude, dessen Ausmaß sich Asran nicht bewusst war. Glänzende Marmorsplitter waren auf dem Boden zu einem riesigen Mosaik zusammengefügt. Sie zeigten die Amulette. In der Mitte des Saals waren sie zum einem Punkt vereint. Hinter dem jeweiligen Amulett stand ein Heer. Und jedes Heer wurde von einem Drachenreiter angeführt. 

Die Zwerge trugen kostbare Kettenhemden. Lange Seidenbanner zeigten die Axt, jenes Wappen der Zwerge. Ihr Heer war anders aufgebaut als Asran es kannte und dennoch wirkten die Streitmacht diszipliniert. Sieben Zwerge ritten auf wolfsähnlichen Wesen. Sie hatten sich an ihr Heer gewandt und schrien Anweisungen, die für immer stumm bleiben würden. Schräg über ihnen waren die Elfen dargestellt. Die Spitzen ihrer Speere schillerten. Edel und anmutig blitzten ihre Augen durch die Sehschlitze ihrer Helme. Das Heer war geordnet und wartete auf den Angriff des unsichtbaren Gegners. Die Riesen, links der Elfen, trugen keinerlei Rüstung. Sie waren einzig mit einem Lendenschurz bekleidet. Auch ihre Waffen waren grob. Schlicht, so hässlich wie die Riesen selber. Kein Eisen glänzte in diesem Abteil des Mosaiks, die Riesen trugen einzig Holzkeulen. Das Heer der Nixen war unter Asrans Stiefeln dargestellt. Die blauen Wesen besaßen nur vier Finger, weshalb sie keine Schwerter trugen. Auch konnten sie durch ihre Spannhaut zwischen den Fingern nicht Bogen schießen. Sie trugen nur Speere und Piken. Allein die Zauberer besaßen kein Heer. Eine Schlachtreihe aus zwanzig Druiden war versammelt, mehr nicht. 

„Dies wäre die Zukunft gewesen, wie ich sie vorhergesehen hatte", sagte eine Frauenstimme. Eine hochgewachsene Frau trat hinter einer der Säulen hervor, die den Saal stützten. Nincoril kniete nieder, Asran aber senkte nur den Kopf. Er hatte nur einen König, und der war Laurentius. Asran zeigte den anderen Königen stets Respekt, doch nur vor Laurentius kniete er nieder. „Es gehört sich vor Vazyllanne zu knien!", zischte Nincoril neben ihm. Vazyllanne richtete ihre Aufmerksamkeit nun auf ihren Diener. „Du erfülltest mir meinen Wunsch. Nun gehorche mir wieder und verlasse diesen Saal!", ihre Stimme klang nun nicht mehr länger lieblich. Nincoril erhob sich, verneigte sich und sagte: „Zu Befehl Herrin. Doch lasse dich nicht gehen." Dann verließ er steif den Raum. Nun war Asran ganz alleine mit Vazyllanne in dem Thronsaal. Asran sah sie an. 

Die Elfenkönigin hatte goldblondes Haar. Ein Silberreif hielt es zurück. Ihre Züge waren weich, ihre Augen hellbraun. Vazyllanne trug ein weißes Kleid. Es war schlicht gehalten. Die Elfenkönigin schritt auf Asran zu. Er vermutete, dass sie barfuß war, sie machte keinerlei Geräusche. „Ich freue mich, dass du hier bist", sagte sie mit klarer Stimme, „doch dürft ihr nicht verweilen. Ich fürchte den Krieg. Zu oft habe ich wichtige Elfen verloren. Jetzt schaue ich mit meinem Volk nur noch zu. Auch die Schöpfer unserer Welt verließen uns. Sie sind da, sie sind gebannt, doch unternehmen sie nichts, um ihren Kindern zu helfen. Sie könnten entkommen, doch fügen sie sich dem Willen des dunklen Lords, der in Begriff ist, die Welt zu zerstören. Ich weiß, wer er ist. Ich weiß um deine Zukunft, Asran." 

Asrans Mund wurde trocken. „Wer ist der dunkle Herrscher, Vazyllanne? Wenn wir wissen wer er ist, können wir seine stärkste Waffe gegen ihn richten. Jedes Geschöpf ist verwundbar. Und das nicht immer nur durch Eisen!", sagte der Elf aufgebracht. Vazyllannes Blick wurde melancholisch: „Ich weiß um deine Hoffnungen. Ich kann dir nicht sagen, wer er ist. Ich sehe die Zukunft voraus, und wenn ich dir sagen würde, was dein Schicksal ist, so wirst du anders handeln und so die Zukunft ändern." „Aber..." „Schweig! Noch morgen vor den ersten Sonnenstrahlen werdet ihr aufbrechen. Ich helfe euch, wo ich euch unterstützen kann, doch wenn ihr bleibt, wird durch das Amulett mein Königreich zerstört. Verstehst du nicht? Das grüne Amulett ist verflucht. Dort wo es auftaucht, werden Schlachten gefochten! Wichtige Krieger werden sterben. Und ich werde nicht zulassen, dass dies hier geschieht!"

Das fünfte Amulett (Band II der Chronik von Mittelland)Onde histórias criam vida. Descubra agora