Kapitel 12 - Ich bin nicht die verrückte Oma

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Hallo Unbekannte,

vielleicht sind wir uns doch ähnlicher als wir denken. Zwar fordert mich mein Job heraus, doch um so leerer ist mein Privatleben. Eine Partnerin zu finden, ist nicht so leicht, wie es in Filmen und Büchern im dargestellt wird. Sie sitzt nicht plötzlich neben einem an der Bar und leider rette ich sie auch nicht zufällig vor einem heran brausenden Auto. Ich habe es auch schon mit Online-Dating probiert, doch dieses Grauen habe ich mir drei Mal angetan und dann aufgegeben.

Vielleicht singe ich die Songs unter der Dusche auch so leidenschaftlich mit, weil sie mich in eine andere Welt katapultieren. Eine bessere Welt.

Ich sollte mich eigentlich nicht beklagen, denn ich haben einen guten Job, bin kerngesund und habe eine tolle Wohnung (abgesehen von der Stalkerin gegenüber ;) ). Doch ohne Partnerin ist das Leben wirklich manchmal einsam.

Es ist übrigens nur der Tatsache zu verdanken, dass wir Briefe schreiben und wir nicht voneinander wissen, wer wir sind, dass ich mir dir so öffnen kann. Nicht einmal mir selbst gegenüber kann ich mir manchmal diese Wahrheit nicht eingestehen.

Du hast mich wirklich nachdenklich gemacht:

Was will ich im Leben?

Wofür lebe ich?
Was fehlt mir wirklich im Leben?

Auch wenn die Fragen und vor allem die Antworten schmerzhaft sein können, bin ich dir für deinen Brief sehr dankbar.

Auch wenn ich unseren kurzen Briefaustausch sehr genieße und ich es nicht überstürzen will, dachte ich, dass wir uns vielleicht treffen könnten. Oder wenigstens mal am Fenster winken? ;) Ich bin schon ein bisschen neugierig und im Gegensatz zu dir, weiß ich nicht einmal in welcher Wohnung du genau wohnst. Ich hoffe nicht, dass du diese Oma bist, die immer die Stiefmütterchen auf dem Grünstreifen abschneidet, um sie sich dann als Strauß auf ihr Fensterbrett zu stellen.

Ich musste schmunzeln.

Während ich diesen Brief las, stand ich am Fenster und hörte ihm beim Singen zu. Ob er gerade auch an mich dachte?

In meiner Vorstellung wurde er immer attraktiver, falls das überhaupt noch möglich war. Vielleicht waren wir die verlorenen Seelen, die zueinander gehörten.

Ich entschied mich ihm sofort zu antworten. Es war dieses Mal nur eine kurze Notiz.

Keine Sorge. Ich kenne diese Oma zwar auch (und sie macht noch viel verrücktere Dinge, als nur die Stiefmütterchen abzuschneiden), aber ich bin das nicht. Diesbezüglich kann ich Entwarnung geben.

Ich würde mich sehr über ein Treffen freuen. Wann? Wo? 

Letters from a StrangerWhere stories live. Discover now