Kapitel 8 - Weiße Hosen und rosa Hemden

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"Lotta?", hörte ich eine hohe Männerstimme fragen.

Ich wirbelte herum und sah in das Gesicht eines fremden Mannes.

"Ja?"

Er lächelte.

"Ich bin es. Jonathan."

Meine Kinnlade klappte nach unten und es tat mir leid für ihn, dass ich meine Reaktion nicht hatte verbergen können.

Das war Jonathan?

Der Mann, der vor mir stand, hatte optisch nichts mit dem Mann auf den Fotos zu tun. Und das lag nicht nur daran, dass er in diesem Moment eine Brille trug.

Die Haare waren deutlich lichter, die Figur viel schmächtiger, der Bart ungepflegter und auf einmal hatte er Sommersprossen. Die Haare waren auch eher rot als braun und selbst die Augen war nicht so hell wie auf dem Foto.

"Hallo", brachte ich hervor. "Ich habe dich gar nicht erkannt."

Er sah verlegen zu Boden. Natürlich musste auch er wissen, dass sein Foto ein einziger Fake war.

"Na wie gut, dass ich dich erkannt habe", versuchte er von der eigentlichen Problematik abzulenken.
Ich war kein oberflächlicher Mensch und suchte meine Partner nicht nach dem Aussehen aus, aber ich fühlte mich trotzdem hintergangen, wenn man mir falsche Vorstellungen machte. Bevor unser Date überhaupt begonnen hatte, wusste ich, dass ich mit diesem Menschen nichts mehr zu tun haben wollte.

Doch ich konnte jetzt schlecht einfach wieder gehen. Also musste ich mich wohl oder übel auf dieses Date aus Höflichkeit einlassen. Was für eine Zeitverschwendung. Das war einer der Gründe, warum ich Online-Dating verabscheute.

"Wollen wir ein bisschen am Ufer schlendern?", fragte er und lächelte mich auf eine Art und Weise an, wie es sonst nur Psychopathen in Horrorfilmen taten. Ich sollte definitiv aufpassen, mit ihm keine einsame Nebengasse zu betreten.

"Gern", sagte ich gezwungen und ärgerte mich, dass ich kein Backup hatte.
Ich hätte mit Constance eine Absprache treffen sollen, dass sie mich nach 10 Minuten anrufen soll.

"Wir war dein Tag?", fragte er unverfänglich.

Unser verrückter Stalker, der glaubte seine Frau wurde von Geistern entführte, hatte fünf Mal angerufen. So traurig und nervig das auch war, es war trotzdem die größte Spannung, die mein Tag zu bieten hatte.

"Gut, und deiner?", fragte ich unterkühlt, denn es interessierte mich nicht mehr.

Ihm schien es nicht einmal unangenehm zu sein, dass er für sein Profilbild einen komplett neuen Menschen kreiert hatte.

"Fantastisch. Ich arbeite ja als Immobilienmakler und bin heute eine Wohnung losgeworden, die ich schon ewig versuche an den Mann zu bringen. Es ist auch eine echt Bruchbude, aber der Wohnungsmarkt spielt mir in die Hände. Die Leute werden immer verzweifelter und so konnte ich sie heute an eine junge Familie vermitteln. Wäre ihnen nicht kurzfristig gekündigt worden, hätte sie die sicherlich nie genommen, aber sie hatten vermutlich keine Wahl. Da habe ich wirklich Glück gehabt."

Die Art, wie er es erzählte, war arrogant und selbstgefällig. Unterstrichen wurde das durch sein rosafarbenes Polohemd und der weißen Jeans. Er passte damit eher auf einen Golfplatz.

"Das ist aber ziemlich traurig, dass die Familie aus ihrer Not heraus in eine Bruchbude ziehen muss", sprach ich ehrlich meine Meinung aus.

"Wie das eben so ist. Des einen Leid, des anderen Freud", sagte er grinsend und löste bei mir damit einen Brechreiz aus. Wie konnte man innerhalb von wenigen Minuten schon so unsympathisch wirken?

Er sah mich skeptisch an, als er meinen kritischen Blick bemerkte.

"Bist du etwas so ein Gutmensch, der es allen Recht machen möchte und nett zu jedem ist?"

Was war das für eine Frage? Und was sollte ich darauf antworten?

Natürlich versuchte ich zu jedem nett zu sein. Wenn jeder das tun würde, wäre unsere Welt ein deutlich besserer Ort.

"Ich denke nicht, dass es falsch ist, zu versuchen, zu jedem nett zu sein."

"Oh jee", sprach er herablassend. "Das musst doch noch viel lernen. Die Welt ist ein Ort, wo sich nur die Starken durchsetzen und nicht die Rücksichtsvollen. Mit Nettigkeit kommt man nicht voran. Glaube mir!"

Ich blieb abrupt stehen und sah ihn verständnislos an. Ich würde keine Sekunde länger mehr für diesen Mann meine Zeit verschwenden.

"Ich glaube, wir sollten das hier beenden", sprach ich das aus, was ich schon von Anfang an gedacht hatte.

Diese zwei Minuten mit ihm waren schon kaum zu ertragen. Ich würde keine geschlagene Stunde mit ihm aushalten.

Ganz offensichtlich kränkte ihn die Tatsache, dass ich soeben unser Date beendet hatte. Er verzog sein Gesicht und sah mich an, als wäre ich ein Schwein, dass der gleich schlachten und braten würde.

"Du hältst dich also für etwas Besseres?"

"Nein, ich denke einfach nur, dass es zwischen uns nicht passt."

"Und das weißt du schon nach 2 Minuten?"

"Ja", antwortete ich ohne zu Zögern. Ich hatte dazu nicht einmal 2 Minuten benötigt.

"Auf diese Weise wirst du nie einen Typen finden. Wenn man schon äußerlich nicht viel zu bieten hat, sollte man zumindest intellektuell etwas drauf haben. Aber das scheint bei dir beides nicht sehr ausgeprägt."

Ich könnte mich auf diese niveaulose Diskussion einlassen und ihm erklären, dass er sich hier zum Volltrottel machte. Doch das war es nicht wert. Nicht eine Sekunde mehr würde ich ihm schenken. Meine Lebenszeit war mir zu kostbar und ich wusste, dass er im Unrecht war. Von ihm würde ich eh keine Einsicht erwarten können.

Also drehte ich mich einfach um und ging in die andere Richtung. Für einen Moment befürchtete ich, dass er mir folgende könnte. Ich hörte ihn tatsächlich noch lauthals meckern, doch immerhin ließ er mich von dannen ziehen.

Frustriert radelte ich mit meinem Fahrrad nach Hause. Ich würde nie einen Mann finden. Vielleicht lag es daran, dass ich einfach nicht bereit dazu war, mich unterzuordnen. Wenn ich etwas als unfair empfand, dann erhob ich auch meine Stimme. So hatten es mir meine Eltern beigebracht.

Als ich bei mir zuhause ankam und mein Fahrrad anschloss, lief mir der Schweiß über die Stirn. Noch immer zeigte das Thermometer Temperaturen von über 30 °C an. Nicht mal ein leichtes Lüftchen wehte. Die Heuschrecken zirpten laut und in der Luft lag der Geruch von Grillfleisch.

Ich brauchte so sehr eine Dusche und danach ein frisch bezogenes Bett, in das ich mich schmeißen und wo ich mir ein Kissen über meinen Kopf ziehen konnte, um einmal laut zu schreien.

Ich hatte gerade mein Haustürschlüssel aus meinem Rucksack gekramt, als mir plötzlich wieder der Zitronenbaum einfiel. Auch wenn ich keine große Hoffnung hatte, dass dort etwas liegen könnte, wollte ich zumindest nachschauen. Ich sah mich kurz um und ging auf den Baum zu, als ich mir sicher war, dass mich keiner beobachtete.

Als ich dort ankam, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Dort lag tatsächlich im Schatten des Stammes ein Umschlag.

Danke, Fremder!, dachte ich. Danke, dass du auch dieses beschissenen Tag rettest!

Letters from a StrangerWhere stories live. Discover now