Kapitel 10 - Hallo Unbekannter

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Hallo Unbekannter,

ich habe eigentlich gar nicht mit einer Antwort deinerseits gerechnet. Umso mehr habe ich mich jedoch gefreut, einen Brief unter dem Zitronenbaum vorzufinden.

Ich habe dir heute auch wieder mit Freude zugehört und mir ist nicht entgangen, dass du noch lauter als sonst gesungen hast. Vor allem bist du aber von deiner 80er-Songauswahl abgewichen. "Fremde wie ich" von Tarzan war aber auch ein fantastischer Titel und ich bilde mir einfach mal ein, dass du ihn für mich ausgewählt hast ;)

Über mich gibt es nicht viel zu erzählen: Mein Leben ist nicht unbedingt durch Spannung und Action geprägt. Mein Job fordert mich nicht heraus, aber ich kann damit meinen Lebensunterhalt bestreiten. Darauf kommt es doch an, oder nicht? Und falls sich das für dich schon langweilig anhört, wird dich mein Privatleben noch mehr enttäuschen. Abgesehen von ein paar Freundinnen, mit denen ich mich regelmäßig treffe, gibt es nichts zu berichten.

Dein Leben hat sicherlich mehr zu bieten. Vermutlich hat jedes Leben mehr zu bieten.

Ich hielt inne. Erstens schrieb ich hier gerade meine intimsten Gedanken auf und zweitens ließen diese mich nicht unbedingt in einem positiven Licht dastehen. Doch ich sollte es nicht beschönigen. Wenn ich wirklich an einer gesunden Partnerschaft interessiert war, sollte ich mich nicht verstellen.

Aber ich arbeite daran, fügte ich hinzu. Ich habe mich in den Kriegsschauplatz des Online-Datings begeben. Vielleicht bringt das ein bisschen Farbe in mein Leben.

Ich freue mich von dir zu hören.

Falls er auf diesen Brief antworten sollte, konnte ich mir sicher sein, dass ich zumindest eine Chance hatte. Und immerhin hatte ich deutlich gemacht, dass ich Single war. Vielleicht war das der Wink mit dem Zaunpfahl, den er brauchte.

Ich legte den Brief wieder vor seiner Tür ab und nicht unter dem Zitronenbaum. Ich hoffte,, dass er zufällig die Tür öffnete, damit wusste, wie er aussah. Sicherlich könnte ich auch einfach klingeln, doch das traute ich mich nicht. Schließlich hatte er in seinem Brief auch keine Andeutung gemacht, dass er an einem Treffen interessiert ist. Er hätte auch seine Nummer in den Brief schreiben können, doch auch darauf hatte er verzichtet.

Aber eine Brieffreundschaft war besser als nichts. Ich musste mich wohl oder übel in Geduld üben.

Letters from a StrangerWhere stories live. Discover now