Kapitel 11 - Unter uns

1.1K 143 3
                                    

"Er hat geantwortet? Das ist ja der Wahnsinn!", sagte Wilma, als ich ihr davon berichtete. "Wie geht es jetzt weiter mit euch?"

Ich zuckte mit den Schultern. Wenn ich das nur wüsste.

"Mal schauen."
Wilma legte ihren Kopf schief und sah mich an, als wüsste sie mehr als ich.

"Lotta, ich sehe dir doch an, dass du in Gedanken schon wieder fünf Schritte zu weit bist. Gehe es langsam an! Du setzt dich selbst doch viel zu sehr damit unter Druck. Lass einfach mal etwas auf dich zukommen und plane nicht schon die Blütenfarbe deines Hochzeitsstraußes."

"Ich habe keine Zeit es langsam angehen zu lassen. Ich bin 30", rechtfertigte ich mich.

Mitleidig sah sie mich an.

Das Ticken meiner biologischen Uhr wurde mit jedem Tag lauter. Es war so laut, sodass es mich manchmal irre machte. In ganz dunklen Momenten kam mir sogar der Gedanke, dass ich mich einfach von einem One-Night-Stand schwängern lassen sollte. Dann hatte ich zwar immer noch keinen Mann, aber wenigstens ein Kind. Glücklicherweise waren diese Momente der Dummheit selten und die Vernunft gewann schnell wieder Oberhand. Doch die Tatsache, dass es solche Momente gab, zeigte sehr deutlich, wie verzweifelt ich war.

"Tu nicht so als wärst du 80. Lass dich für ein paar Wochen auf diesen Briefaustausch ein und schau wohin es führt. Die paar Wochen machen sowieso keinen Unterschied und du kannst dich doch trotzdem noch mit anderen Männern treffen."

Ich wollte mich aber nicht mehr mit anderen Männern treffen sondern nur mit diesem einen. Ich wünschte, ich wüsste zumindest seinen Namen.

Wilma sah auf ihre Uhr.
"Oh jee, so spät schon. Ich muss los. Ich habe meine Mittagspause schon 5 Minuten überzogen." Dann gab sie mir einen Kuss auf die Wange. "Halt mich auf dem Laufenden, okay?"

Ich nickte und packte dann meine Brotdosen in meinen Stoffbeutel. Ich hatte lediglich ein bisschen Wassermelone gegessen, die ursprünglich nur als Dessert geplant war. Doch bei der Hitze hatte ich mich dazu entschieden, dass ich meinen Nudelsalat lieber zum Abendbrot essen würde.

Ich schlenderte zurück zur Wache. Uwe und Leon kamen gerade von einem Einsatz zurück. Sie hatten einen Mann bei sich, der stark nach Urin und Erbrochenen roch. Ich sah wie die beiden selber mit dem Würgereiz kämpfen mussten.

Das war einer der Gründe, warum ich selbst nie Polizistin geworden war. Es war zu viel Kontakt mit Körperflüssigkeiten und Gerüchen fremder Menschen - tot und lebendig. Mal ganz abgesehen davon, dass man sich nie sicher sein konnte, ob man am Ende des Tages auch wieder mental und körperlich unversehrt nach Hause kam. Es war daher nicht verwunderlich, dass die Suizidrate bei Polizisten höher war als beim Durchschnitt der Bevölkerung.

Zwar hatte sich auf unserer Wache noch nie jemand versucht das Leben zu nehmen, doch es kam immer wieder vor, dass auch einer unserer Kollegen einen Einsatz nicht gut verkraftete und blass in die Wache zurückkehrte. Die Geschichten, die sie dann erzählten, ließen mich schon als Zuhörerin erschaudern.

"Frau Maguschka, kann ich sie kurz sprechen?", sprach Herr Wagens mich an, als ich in mein Büro zurückkam.

Er lächelte freundlich und ich mochte diese Ruhe, die er grundsätzlich ausstrahlte. Er wirkte immer so, als hätte er alles im Griff. Doch leicht hatte er es nicht mit seinem neuen Job. Seitdem Herr Wagens hier war, hatte man ihm mit jedem Tag mehr angesehen, wie sehr ihm die Arbeit zu schaffen machte. Aller Anfang war schwer und seiner besonders. Sein Telefon hatte nicht still gestanden. Sein großes Pech war es, dass es ein Verfahren gegen einer unserer ehemaligen Kollegen gab. Es war die Öffentlichkeit gekommen, dass er in der rechtsextremen Szene aktiv gewesen war. Für die Presse war das ein gefundenes Fressen und somit musste sich Herr Wagens momentan mehr mit der BILD auseinandersetzen, als mit Schwerverbrechern. So hatte er sich seinen Job sicherlich auch nicht vorgestellt.

"Natürlich", antwortete ich und folgte ihm in sein Büro. Sein Schreibtisch war makellos aufgeräumt. Selbst seine drei Kugelschreiber waren nach Größe sortiert und an der unteren Kante auf einer Linie ausgerichtet.

Da auch schon sein Vorgänger Herr Luschke es minimalistisch gehalten hatte, hatte sich in dem Raum nicht viel geändert. Lediglich ein kleiner Kaktus war neu miteingezogen. Auf dem Topf stand "I will survive" und ich tippte darauf, dass er diesen von seiner Mutter bekommen hatte.

"Wie kann ich Ihnen helfen?", erkundigte ich mich, als er die Tür hinter mir geschlossen hatte.

Die Art, wie er mich nun ansah, war anders als sonst. Er hatte sein sonst so professionelles Auftreten abgelegt und sah mich ein wenig verzweifelt an.

"Es geht um etwas Privates", sagte er und ich konnte ihm deutlich ansehen, wie unangenehm ihm das war. Ich hätte nicht vermutet, dass in ihm ein so unsicherer Kern steckte. Seine gesamte Fassade begann in diesem Moment zu bröckeln.

"Okay", sagte ich zögerlich, denn ich hatte nicht den blassesten Schimmer, um was es gehen sollte.

"Sie sind doch mit Constance Müller gut befreundet. Nicht wahr?"

Ich wurde hellhörig. Stand er etwa doch auf sie?

"Wir verstehen uns gut", korrigierte ich ihn. "Wir treffen uns nicht privat, aber da wir die einzigen Frauen hier sind, schweißt das zusammen. Als Freundin würde ich sie jedoch nicht bezeichnen. Wieso fragen sie?"
Er atmete tief ein und seufzte.

"Ist Frau Müller früher auch schon immer halbnackt in die Männerumkleide gegangen?" Ihm fiel ganz offensichtlich auf, dass mich diese Frage ein wenig vor den Kopf stieß. MIr großen Augen starrte ich ihn an. "Tut mir leid", ruderte er sofort zurück, während ich versuchte die Farbe meines Gesichtes unter Kontrolle zu bekommen. "Ich sollte sie da nicht mit reinziehen. Das war unprofessionell, Sie das zu fragen. Ich dachte nur, dass Sie mir Auskunft geben könnten, ob das auch schon beim Vorgänger ein Problem war. Aber das finde ich auch selber raus. Vergessen Sie bitte, was ich sie gefragt habe."

Er redet schnell und hastig. Manche Worte kamen nur undeutlich über seine Lippen. Constance musste es wirklich übertrieben haben.

"Ich kann mit ihr reden, wenn sie das wollen", bot ich an und ging nicht weiter auf das ein, was er zuletzt gesagt hatte.. "Von Frau zu Frau lässt sich so etwas entspannter klären."

Dankbar sah er mich an. In seinem Blick lag eine Mischung aus Verzweiflung und Hoffnung.

"Würden Sie das tun? Sie müssen nicht, wenn sie nicht wollen. Eigentlich ist es die Aufgabe des Chefs. Ich-."

"Schon okay", unterbrach ich ihn. Dann zögerte ich kurz und sah ihn an. Ich konnte durchaus verstehen, warum Constance auf ihn stand. Er war wirklich hübsch. In diesen blauen Augen konnte man sich verlieren. Seine Gesichtszüge waren markant und doch wirkten sie geschmeidig. Ganz abgesehen davon schätzte ich seine Art mit Menschen umzugehen. Er war kein Mann, der aufbrausend wurde, wenn etwas nicht funktionierte. Stattdessen suchte er immer nach einer Lösung. "Sie stehen nicht auf sie, oder?", hakte ich vorsichtig nach. "Ich glaube, es hilft, wenn ich ihr das mitteilen kann."

Er deutete ein Kopfschütteln an. Eine Sekretärin und ihr Chef sollten nicht solche Unterhaltungen führen. Dessen waren wir uns beide bewusst.

"Nein", fügte er schließlich noch hinzu.

Ich nickte zur Kenntnis nehmend.

"Okay, ich kümmere mich darum. Kann ich dann wieder gehen?"
Zwischen uns war eine seltsame Atmosphäre entstanden, von der ich befürchtete, dass sie länger anhalten würde.

"Ja, tut mir leid, dass ich Sie da mitreingezogen habe. Ich weiß nicht genau, was ich mir dabei gedacht habe. Als Mann ist es nicht so einfach das anzusprechen. Man steht schnell als Sexist da. Wissen Sie, was ich meine?"

Ihm war es wirklich unangenehm. Er konnte nicht einmal still auf der Stelle stehen.

Ich nickte ihm zu.
"Schon okay. Ich verstehe. Es bleibt unter uns. Und ich verpacke es bei Constance so, als hätte es kein direktes Gespräch zwischen uns über sie gegeben."

Letters from a StrangerWhere stories live. Discover now