41

1.3K 72 40
                                    

Elisabeth wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber dass sie nun vor einem alten Mann in feinstem Anzug stand, der eine sehr junge, sehr hübsche Blondine an seiner Seite hatte, die ihn offensichtlich anhimmelte, war eine Überraschung. Im Auto hatte sie noch scherzhaft darüber gesprochen, alle Anwesenden für Gauner zu halten, und jetzt fand sie einen Mann vor, der in seiner ganzen Art jedes Klischee zu erfüllen versuchte, das man so über die Mafia hat. Sie hatte ihm höflich die Hand geschüttelt, ebenso wie seiner Begleitung, doch mehr als eine kurze Begrüßung hatte sie nicht über die Lippen gebracht.

Die andere Frau, die mindestens einen Kopf größer war als sie selbst, hatte sie dann sofort zur Seite gezogen, damit die beiden Männer miteinander sprechen konnten, während sie offenbar auf weitere Gäste warteten. „Ich bin Nicole", wiederholte die schlanke Frau, während sie gemeinsam an das Fenster des riesigen, privaten Raums traten.

„Ich bin Lily", sagte auch Elisabeth erneut. Sie ließ ihren Blick über die Hochhäuser schweifen, die sich vor ihr auftaten. Auch wenn natürlich keine europäische Stadt mit einer Skyline, wie sie Städte in den USA hatten, mithalten konnte, liebte sie es doch, ihre Heimatstadt von oben zu sehen. Moderne Bauten und einige erhaltene alte Stadtvillen reihten sich hier aneinander und in der Ferne konnte man noch die Speicherstadt ausmachen.

„Da hat der alte Michail es also doch noch geschafft, Alex zur Vernunft zu bringen." Nicole stellte diese Aussage einfach so in den Raum, als erwartete sie, dass Elisabeth wusste, was gemeint war.

Diese hob fragend eine Augenbraue und blickte zu ihrer Gesprächspartnerin auf. Da diese wie sie selbst High Heels trug, war der Größenunterschied sehr auffällig. Nicole strich sich ihre blonden Haare hinters Ohr, während sie eine ungefähre Bewegung in die Richtung der beiden Männer machte. „Dass Alex eine Begleitung mitbringt. Ich glaube, Michail hat es ihm diesmal direkt befohlen, damit Alex endlich mal eine Frau dabei hat."

Elisabeths Blick wanderte kurz zu Alexander. „Er nimmt sonst nie jemanden mit?"

Nicole machte große Augen. „Das wusstest du nicht? Alexander ist bekannt dafür, ewiger Junggeselle zu sein, der es strikt ablehnt, Privates und Berufliches zu mischen. Frauen hätten keinen Platz in seinem Leben, das ist seine Devise."

Jetzt musste Elisabeth lachen. So gesehen hatte er ja auch keine Frau in seinem Leben, er bezahlte sie lediglich für ihre Dienste. Das war auch eine Art, einen aufdringlichen Chef zum Schweigen zu bringen. Sie versuchte sich an einem verliebten Blick zu Alex, ehe sie antwortete: „Nun, dann fühle ich mich direkt doppelt geehrt, hier sein zu dürfen."

Ehe Nicole darauf etwas sagen konnte, ging die Tür auf und zwei weitere Männer traten ein, begleitet von zwei sehr unterschiedlichen Frauen. Der eine, dessen Name laut Nicole Fjodor war, war offensichtlich schon fortgeschrittenen Alters und hatte eine Frau an seiner Seite, die tatsächlich dazu passte. Grigorij, wie der andere ihr von Nicole vorgestellt wurde, hatte ebenso wie Michail eine deutlich jüngere Frau dabei. Obwohl sie stark geschminkt war und ihre pechschwarzen Haare kunstvoll hochgesteckt hatte, fragte Elisabeth sich doch, ob sie überhaupt schon jenseits der achtzehn Jahre alt war.

Sie schloss sich Nicole an, um die neuen Gäste zu begrüßen. Die Frau an Fjodors Seite, Katharina, begrüßte Nicole wie eine alte Freundin, während die vierte in der Runde sich als Mimi vorstellte und offensichtlich ebenso wie Elisabeth selbst das erste Mal dabei war.

Nachdem alle Hände geschüttelt waren, kamen zwei Kellner, die auf Tabletts Sekt servierten. Obwohl sie diese Form von Alkohol verabscheute, griff Elisabeth zu und stieß mit den anderen zusammen an – auf erfolgreiche, neue Geschäftsideen. Sie nahm einen großen Schluck, bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck und schluckte die perlende, bittere Flüssigkeit hinunter. Dann wurde endlich zu Tisch gebeten.

Der Tisch war rund, so dass niemand am Kopf der Tafel sitzen konnte. Sie war froh, dass sie neben Alex sitzen konnte und zu ihrer Linken Nicole saß, die bisher einen sehr zugänglichen Eindruck gemacht hatte. Sie warf einen kurzen Blick auf das Menü, das an jedem Platz auslag – drei Gänge, jeder davon mit Fleisch, dazu eine Auswahl an Nachspeisen – ehe sie sich demonstrativ nach links wendete, um sich Nicole gegenüber offen zu zeigen. Sie spürte, wie Alex neben ihr sich ebenfalls umwendete, um mit Fjodor zu sprechen.

„Es ist lange her, dass ich in so einem feinen Restaurant war", warf sie wie nebensächlich in den Raum. Wenn sie ehrlich war, war sie das letzte Mal vor einem halben Jahr im Sommer mit ihren Eltern fein Essen gewesen, doch das musste für den Moment niemanden interessieren.

Nicole schien sich begeistert auf das Thema zu stürzen. „Ich liebe es, hier zu essen. Michail sucht sich nur die besten Restaurants in Hamburg aus, aber das hier mag ich am liebsten. Bevor ich ihn kennengelernt habe, kannte ich sowas gar nicht." Sie grinste schief und strich sich erneut ihre glänzen Haare hinter ein Ohr. „Wenn man nicht viel Geld hat, kann man sich sowas nicht leisten."

Kurz huschte Elisabeths Blick zu dem alten Mann. Sie konnte verstehen, warum jemand wie er sich eine Schönheit wie Nicole als Freundin zulegte, doch warum Nicole, die wirklich gut aussah und zumindest bisher durchaus intelligent wirkte, sich auf ihn einließ, wollte ihr nicht in den Kopf.

„Frag nur", lachte Nicole da plötzlich. „Ich sehe es dir doch an, du fragst dich, was ich von Michail will."

Während die Kellner den ersten Gang brachten, eine Fischsuppe, nickte Elisabeth ihrer Sitznachbarin zu. Am ganzen Tisch waren Gespräch im Gange, so dass ihre leise Unterhaltung nicht weiter auffiel und sicher nicht belauscht wurde. Sie konnte also ein wenig neugierig sein.

„Da hast du meine Gedanken gelesen, das habe ich mich wirklich gerade gefragt", gab sie zu.

Nachdem alle ihre Schüssel serviert bekommen hatten, legte sich Elisabeth die blütenweiße Stoffserviette auf den Schoß, legte ihren linken Arm leicht auf dem Tisch ab und griff nach dem Löffel. Nicole neben ihr schien auch zunächst das Essen probieren zu wollen, ehe sie antwortete. Also tunkte sie vorsichtig den Löffel in die Cremesuppe, ließ ihn kurz darüber schweben und führte ihn dann an den Mund. Sie musste zugeben, die Suppe war von herausragender Qualität. Reichhaltig, ohne schwer zu sein, mit klarem Fischaroma, ohne fischig zu schmecken.

„Er hat mich wortwörtlich gerettet", griff Nicole das Gespräch wieder auf. Ihr linker Ellbogen war auf den Tisch gestützt, während sie mit der rechten Hand die Suppe in wenigen Zügen in sich hinein schaufelte. „Kam einfach so angerollt in seiner Limousine mit den verdunkelten Fenstern, ist ausgestiegen und hat die Kerle zum Teufel gejagt, die mich gerade belästigt haben."

"

Oops! This image does not follow our content guidelines. To continue publishing, please remove it or upload a different image.
EnsnaredWhere stories live. Discover now