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"Da ist ein Land der Lebenden und ein Land der Toten. Und die Brücke zwischen ihnen ist die Liebe, das einzige Bleibende, der einzige Sinn."

~ Thornton Wilder



Ein leiser Gesang erfüllte die Luft. Es war ein Lied, so leise wie das Rauschen der Blätter im Frühlingswind, so rein wie die Bäche, die sich durch das Land wanden, und so gefühlvoll wie kein anderes. Es erzählte von dem Tod, die Töne lagen schwer in der Luft, doch es hatte eine Leichtigkeit in sich, die man weithin spürte. Die leisen Harmonien wurden begleitet von einer Harfe, sanft klangen die Töne durch den Wald, die Lichtung war erfüllt von der Melodie, und trotzdem war die Trauer so spürbar, als wäre sie ein dichter Nebel, der der die Luft verdrängte und die Herzen schwer machte.

Die Lichtung war gefüllt von Elben, sie alle standen dort mit gesenktem Kopf und hatten die Augen geschlossen. Sie summten diese bewegende Melodie, die den Eindruck erweckte, die Zeit würde stillstehen.

In der Mitte der Lichtung lag ein Sarg. Sein mattes Holz war weiß und schien im Sonnenlicht, das durch die Blätter fiel, zu leuchten.

Ganz vorne stand ein Mann und ein kleiner Junge. Sie hielten sich an der Hand, als müssten sie sich gegenseitig festhalten. Beide hatten auffallend helles Haar, welches ihnen bis zum Rücken reichte und glatt herunterfiel, sowie eine schlanke Statur. Die Augen der beiden waren leuchtend blau und die des Kindes waren feucht von den schimmernden Tränen, die ihm die Wangen herunterglitten.

Thranduil.

Das war der Name des Mannes. Doch er war nicht irgendein Mann. Er war der Elbenkönig des Düsterwalds, jenes Waldes, in dem die die Elben jetzt standen. Auch ohne seine Krone, die aus Blättern und dünnen Ästen geflochten war und auf seinem silberblonden Haar lag, sowie seinem majestätischen Umhang, konnte man erkennen, dass er königliches Blut hatte. Die Ausstrahlung, die ihn umgab, flößte jenen, die zu ihm traten Respekt ein und ließ sie unterwürfig den Kopf neigen.

Der Elbenkönig stand leicht gebückt, als ob ihm eine schwere Last auf den Schultern läge und sein Kopf war leicht gesenkt. Sein Gesicht war ebenmäßig und ohne jeden Makel. Die helle Haut schimmerte leicht im Sonnenlicht, dass jedoch nicht in das Herz des Mannes vordringen konnte. Der Blick aus seinen eisblauen Augen ließ weder Trauer noch Schmerz erkennen und in ihnen waren keine Tränen. Sein Gesicht war wie eine Maske, unter der er den Schmerz verbarg, der ihn mitzureißen drohte.

Als der Gesang langsam verstummte und die letzten Melodien verklangen, sah er auf. Langsam ging er vor zu dem Sarg, ohne die Augen von ihm zu wenden. Einen Augenblick verharrte er von dem Sarg, schien kurz zu erstarren, dann sank er auf die Knie. Ein letztes Mal schloss er die Augen und hauchte leise mit erstickter Stimme: "Melin..." (Ich liebe dich). Selbst jetzt verließ keine einzige Träne seine Augen, doch der Schmerz und die abgrundtiefe Trauer, die sein Herz auseinanderzureißen drohten und ihm die Luft zum Atmen zu raubten spiegelten sich in dem leuchtenden Blau seiner Augen wider. Seine Frau. Seine geliebte Frau. Tot.

Unwillkürlich stiegen Erinnerungen in ihm auf. Ihre zarte Gestalt würde er nie vergessen. Ihr wunderschönes Gesicht, dass immer von einem Lächeln geschmückt war, die Augen, aus denen so oft Liebe und Güte gesprochen hatte... Sie war so sanft gewesen, so liebevoll. So selbstlos. All das, was er so oft nicht sein konnte, war sie gewesen. Sie war eine der wenigen Personen gewesen, die ihm ein Lächeln entlocken konnten, immer war sie an seiner Seite gewesen. Sie war alles für ihn gewesen und so hätte es bleiben sollen, noch viele Zeitalter lang. Wie hätte er ahnen können, dass ihnen nur so wenig Zeit vergönnt, war... Und doch hatte sie ihn nicht alleine zurückgelassen. Sie hatte ihm einen Sohn geschenkt. Legolas.

Sein Blick fiel auf den kleinen Jungen, der einsam dastand, die Augen mit Tränen gefüllt auf seinen Vater gerichtet. Sein Sohn hatte sie geliebt, genauso wie er selbst. Der junge Prinz hatte seine Mutter verloren und in seinem kindlichen Verstand konnte er nicht begreifen, warum sie für immer fort war. So wie er selbst es nicht begreifen konnte. Es nicht begreifen wollte. Ein letztes Mal sah er zu dem Sarg, zu der wunderschönen weißen Rose, die neben ihm lag, taubedeckt und schimmernd. Eine Rose zum Abschied. Ein bitteres Gefühl vermischt mit ohnmächtigem Schmerz stiegen in den Elben auf und er atmete tief ein, ehe er die Blume vorsichtig, ja fast zärtlich, in die Hand nahm. Wie die Tradition es verlangte, neigte er seinen Kopf leicht und küsste die Rose sanft. Seine Augen schlossen sich und die Zeit schien für einen Moment stillzustehen. Selbst das Rauschen der Blätter im Wind verstummte und das Vogelgezwitscher in den Zweigen erstarb. Als er die Augen wieder aufschlug, war jegliches Gefühl daraus verschwunden, sie waren emotionslos, ja geradezu leer. Er hob seinen Kopf und legte die schimmernde Rose mit solch einer Zärtlichkeit auf den Sarg, als wäre sie ein lebendiges Wesen.

Sobald die Rose auf dem Sarg lag, schien es, als würde der Elbenkönig aus einem Traum aufwachen. Er stand in einer geschmeidigen Bewegung auf und ging zu seinem Sohn, der ihn mit feuchten Augen ansah. Zärtlich hob er ihn hoch und drückte ihn an seine Brust. Legolas klammerte verzweifelt sich an ihn, vergrub sein Gesicht an seinem Hals und schluchzte leise. Die Trauer seines Sohnes war für Thranduil fast noch schlimmer als seine eigene, denn er konnte ihm keinen Trost bieten. Sein Herz blutete, wenn er in die tränenüberströmten Augen des Jungen sah, wie gerne würde er ihm sagen, dass alles in Ordnung war, dass seine Mutter wieder zurückkommen würde. Doch das würde sie nicht. Zumindest nicht in den Lebensjahren, die seinem Sohn in diesem Leben noch vergönnt waren. "Du wirst sie wiedersehen, mein Sohn. Irgendwann wirst du sie wiedersehen." Die Stimme des Elben klang gebrochen, doch er versuchte, soviel Liebe hineinzulegen, wie es ihm nur möglich war. Wie gerne wollte er seinen Sohn trösten, ihn beruhigen, doch wie sollte er ihm Halt und Hoffnung geben, wenn er doch selbst in dem Strudel aus Schmerz und Verlust zu ertrinken drohte?

Er wandte den Kopf herum und sah zu dem Sarg, der langsam in den Boden versenkt wurde. Sein Blick begleitete das weiß schimmernde Holz, bis es nicht mehr zu sehen war. Erst dann schloss er die Augen, um die Gefühle, die ihn erneut zu überwältigen drohten, zu verbergen.

Er würde sie nie vergessen. Niemals.







Ein Herz aus EisOnde histórias criam vida. Descubra agora